Frau Jennicke, nach der Bundestagswahl finden wir uns in einer zutiefst polarisierten Gesellschaft wieder – und blicken erschrocken auf Deutschlandkarten, in denen das Staatsgebiet der alten DDR tiefblau dargestellt ist. Soll es jetzt die Kultur richten – und die Demokratie retten?
Skadi Jennicke: Kultur ist nicht die Krankenschwester der Nation. Statt vorschnell Schlüsse zu ziehen, orientiere ich mich an soziologischen Untersuchungen, wie von Steffen Mau, der in "Ungleich vereint" einige plausible Erklärungen für die Wahlergebnisse – auch schon der vergangenen Jahre – formuliert. Er zeigt, wie sich Ost und West trotz aller Annäherungen und positiver Entwicklungen weiterhin in Sozialstruktur, Demografie oder politischer Kultur unterscheiden. Die von ihm beschriebenen Herausforderungen im Osten Deutschlands – etwa die Verhärtung sozialer Unterschiede, das Abwandern der Bevölkerung oder das Gefühl mangelnder Selbstwirksamkeit – müssen zuvörderst politisch gelöst werden. So sehe ich es auch. Zugleich spielt Kultur dabei für mich eine wichtige Rolle. An Kulturaktivitäten teilzuhaben heißt, selbst wirksam zu werden, andere Sichtweisen zu verstehen oder sich ehrenamtlich zu engagieren. Hier werden "demokratische Kompetenzen" eingeübt. Bei Büchern wird es offensichtlich: Sie klären auf, informieren, schaffen Verständnis, geben Rat und stärken die Debatten- und Demokratiefähigkeit. Insofern werde ich nicht aufhören, den Zusammenhang von Kultur und Demokratie zu betonen und für Kultur zu streiten, ohne sie als Retterin der Demokratie zu verklären.