Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung

Subversive Kraft

26. März 2025
Redaktion Börsenblatt

Der belarussische Exilautor Alhierd Bacharevič erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Sein Roman "Europas Hunde" erfindet Welten – und eine eigene Sprache. 

Alhierd Bacharevic

Julia Cimafiejeva

Mit seinem 740-Seiten-Roman "Europas Hunde" (Voland & Quist) holt der Schriftsteller Alhierd Bacharevič sein hassgeliebtes Heimatland Belarus aus dem literarischen Abseits nach Europa. Es ist ein Werk, das virtuosen Aberwitz mit einer leidgeprüften Ernsthaftigkeit vermählt, die regionalen Ursprungs ist: "Geboren werden heißt für Osteuropäer, lebendig begraben zu werden." So liest man es im Roman und so fühlt sich die Hauptfigur Oleg Olegowitsch – ein erfolgloser Autor, verschreckter Ehemann und begnadeter Eskapist, der sich Welten aus Papier baut und irgendwo in Minsk in einer "räudigen Einraumbutze" lebt. Außerdem laboriert er an der Sprachkrise: "Euer Russisch hab ich auch so was von über, ich kann es gar nicht sagen." Es sei eine "mit Angst infizierte" Sprache, die nach "Durchsuchungsbefehl" und "Wohnraumverwaltungskommis­sion" klinge. 

Linguistik und Punk

Oleg Olegowitsch erfindet deshalb Balbuta, eine Kunstsprache, die "unfähig zu Knute und Erniedrigung" sein soll. "Wo aber eine Sprache ist, muss ein Wörterbuch sein." Tatsächlich ist dem Roman ein kleines Heft mit Balbuta-Vokabeln plus Grammatik beigegeben. Das braucht man auch, um sich einige der Dialoge in Olegs kleiner Bal­buta-Gemeinschaft zu übersetzen. Aber auch diese Gemeinschaft ist keine ideale; die Flucht in eine abgeschirmte Kunstwelt jenseits der Minsker Misere will nicht gelingen. Es gibt einen Toten. Oleg Olegowitsch sitzt deshalb zu Beginn des Romans beim polizeilichen Verhör. 

Dass dieser Roman nicht nur Welten, sondern dazu auch eine eigene Sprache erfindet, mag damit zu tun haben, dass Alhierd Bacharevič Linguistik studiert hat. 1975 in Minsk geboren, provozierte er als junger Mann zudem mit der Punk-Band Pravakacyja und gehörte zur neodadaistischen Literaturgruppe Bum-Bam-Lit, die sich von der ­sowjetischen Vergangenheit absetzte, indem sie den totalen Individualismus proklamierte. Im heutigen Belarus wären solche Frei­zügigkeiten undenkbar. Seit zwei Jahrzehnten sind zahlreiche Autorinnen und Autoren von Zensur, ­Publikationsverbot und Inhaftierung betroffen; viele sind emigriert. Bacharevič ging 2020 ins Exil, nachdem er sich an den Protesten beteiligt hatte, die der erneute, umstrittene "Wahlsieg" des Diktators Lukaschenka ausgelöst hatte. Derzeit lebt er in Hamburg. Als er sich in einem offenen Brief mit der überfallenen Ukraine solidarisierte (man habe "einen gemeinsamen Gegner"), wurden seine Werke in Belarus als "extremistisch" verboten. 
 

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