Norwegen Gastland der Leipziger Buchmesse

Nordlichter

20. März 2025
Nils Kahlefendt

Norwegen ist Gastland der Leipziger Buchmesse. Eine Reise zur tollsten Bibliothek der Welt, zu Verlagen, Buchläden, Autoren.

Zentrale der Stadtbibliothek in Oslo: Keine Spur von gedämpfter Atmosphäre.

Wer in der Deichman Bjørvika, der 2020 eröffneten Zentrale der ­Osloer Stadtbibliothek, über steile Rolltreppen nach oben fährt, kann von jeder der sechs Etagen in die andere blicken – und fühlt sich tatsächlich wie in einem summenden, brummenden, tageslichtdurchfluteten großen Wohnzimmer: Kinder krabbeln durch wattierte Tunnel und spielen an großen Bildschirmen, Junge und Alte lesen, lernen, unterhalten sich, ohne vom Personal zurechtgewiesen zu werden. Man isst, trinkt, spielt und geht doch respektvoll miteinander um. Das eindrucksvolle, für 230 Mil­lionen Euro neben Opernhaus und Munch-Museum an den Oslofjord gewuchtete Gebäude entspricht tatsächlich nicht dem Klischee einer Bibliothek mit meterhohen Bücherregalen und gedämpfter ­Atmosphäre. 

Um den Bibliotheksbesuch für möglichst viele Bevölkerungsgruppen interessant zu machen, gibt es rund um die Büchertürme diverse Werkstätten, Räume für Kurse und Konferenzen. Unterm Dach, wie eine Bienenwabe aus hellem Holz, die Future Library, ein Projekt der schottischen Künstlerin Katie Peterson – ein Raum, dessen Wände aus 100 Reihen kunstvoll übereinandergeschichteter Holzklötzchen bestehen, statt Fenstern gibt es beleuchtete Glasbausteine. Dahinter: Texte von Autorinnen und Autoren wie Margaret Atwood, Karl Ove Knausgård und Judith Schalansky, die erst in 100 Jahren gedruckt und gelesen werden sollen. Noch nie waren wir dem Bücher- und Lese­himmel näher als in der Osloer Deichmanske Bibliotek, der – da ­legen wir uns fest – tollsten Bibliothek der Welt.

Größter Buchplayer: Gyldendal Norsk

Hinter der alten Fassade am Osloer Sehesteds Gate, wo Gyldendal ­Norsk seinen Sitz hat, öffnet sich ein imposanter Saal-Neubau, in dessen Zentrum – wie Jonas im Bauch des Wals – ein zweistöckiges Haus steht: die Replik des dänischen Gyl­dendal-Verlagsgebäudes. Die Geschichte Gyldendal ­Norsks beginnt 1925, als das dänische Unternehmen seine norwegischsprachige Abteilung an Investoren aus Norwegen verkauft. Der "Rückkauf" (Hjemkjøpet) der "Großen Vier" – Henrik Ibsen, Bjørnstjerne Bjørnson, Alexander Lange Kielland und Jonas Lie – aber auch von Zeitgenossen wie Knut Hamsun, von Harald Grieg nach Oslo gekabelt, galt als Coup. Gyldendal Norsk ist heute der größte Player in der norwegischen Buchindustrie. Zum Konzern gehören nicht nur zahlreiche Imprints und Geschäftsbereiche, etwa für Bildung und wissenschaftliche Literatur, sondern auch die mit 150 Filialen größte Buchhandelskette des Landes, ARK, ­Onlineshop und App inklusive. 

Seit Juni 2024 wird Gyldendal Litteratur von Ingeborg Volan geführt – die Managerin, die zuvor CEO des Norwegischen Buchklubs und in Führungspositionen von Print- und elektronischen Medien war, vereint Liebe zur Literatur mit profunder Kenntnis aktueller Technologie-Entwicklungen. Warum hat sie sich in Zeiten wie diesen auf einen Buchverlag eingelassen? "Ich bin eine passionierte Leserin! Und muss dennoch sehen, dass diese gute, alte Kulturtechnik in unserer Gesellschaft ein Stück weit auf dem Rückzug ist. Ich möchte dazu beitragen, dass Autoren und Literatur bei uns eine Zukunft haben." Während Verlegerinnen mit journalis­tischer Vergangenheit wie Felicitas von Lovenberg bei Piper hierzu­lande eher eine Seltenheit sind, scheint es in Norwegen gerade eine Art Brain Drain starker Medien­macherinnen in Verlage zu geben. "Herausforderungen wie Digitalisierung oder künstliche Intelligenz haben die Medien schon länger getrieben als die oft etwas traditioneller aufgestellte Buchindustrie", mutmaßt Volan. "Wir haben unsere Lektion gelernt." Eine ähnliche Entwicklung wie beim Gyldendal-­Konzern ist bei Norwegens größtem Verlag Cappelen Damm, einer 100-prozentigen Tochter des dänischen Egmont-Konzerns, zu be­obachten: Dort hat Sarah Willand, die zuvor für TV 2, den größten kommerziellen Fernsehsender des Landes, tätig war, nach 44 Jahren Tom Harald Jenssen als CEO abgelöst. Eine Zeitenwende. 

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