Gütesiegel Buchkita

"Meine Sprache hat hier Platz"

20. Februar 2025
Susanna Wengeler

Im Lübecker Haus in der Sonne ist das Vorlesen fest im Alltag und in der Projektarbeit verankert. Dafür ist die Kindertagesstätte mit dem Gütesiegel Buchkita belohnt worden.

Nach der Lektüre von "Das Farbenmonster" wollten die Kinder ihre eigenen Monster nähen – was flugs umgesetzt wurde.

In Kücknitz, dem alten Industrieviertel der Hansestadt Lübeck, wurden bis in die 1980er Jahre Roheisen, Koks, Zement und Kupfer hergestellt. Es ist ein vergleichsweise kinderreicher Stadtteil, in dem viele Nationen miteinander leben. "Es ist großartig, so viele Sprachen und Nationalitäten hier zu haben", meint Claudia Thee, die als Erzieherin im evangelisch-lutherischen Haus in der Sonne arbeitet. 85 Kinder werden dort von 18 pädagogischen Mitarbeiter:innen und zahlreichen Integrationshelfer:innen betreut. Die sechs Gruppen der integrativen Kita setzen sich jeweils aus elf »Regelkindern« und fünf Kindern mit erhöhtem Förderbedarf zusammen. Dass Bücher im Tagesablauf eine große Rolle spielen, liege an der Begeisterung aller Kolleg:innen fürs Lesen: Wer die Kita verlasse, sei zu 100 Prozent (vor-)lesegeprägt, ist sich Thee sicher.
 

Vorlesen als Ankommensritual

Für dieses Engagement erhielt die Einrichtung 2024 als eine von 61 das Gütesiegel Buckita. Zu Recht: Die Liste der Situationen, in denen Bücher zum Einsatz kommen, ist beeindruckend. Es beginnt beim täglichen Vorlesen, für viele Kinder ein Ankommensritual. "Die Möglichkeit, ein Buch auszuwählen, erleichtert ihnen die Ablösung von den familiären Bezugspersonen. Zudem genießen viele Kinder die körperliche Nähe zu einer Fachkraft, bis sie Sicherheit spüren und explorieren können." Beim Vorlesen kommen die Kinder miteinander ins Gespräch und treffen Verabredungen zum gemeinsamen Spielen.

Einmal in der Woche liest die ehemalige stellvertretende Kita-Leiterin ehrenamtlich Bücher vor, die sich die Kinder ausgesucht haben. Mit dem Ravensburger-Lesebär "Sami" steht zudem ein digitaler Vorleser zur Verfügung. Aber auch Eltern und Großeltern sind eingeladen, Bücher vorzulesen – gern auf Türkisch, Polnisch, Englisch, Rumänisch, Arabisch, Spanisch oder in anderen Familiensprachen. Dies erweitert zum einen den Horizont der Gruppe und zeigt zum anderen: "Meine Sprache hat hier Platz." Bücher können aus der Kita-Bücherei mit nach Hause genommen werden. Und bis zum Ende der Kita-Zeit gestaltet jedes Kind sein eigenes Buch mit Erinnerungen.

Vom Buch zum Hühnerverleih

Zu diesen alltäglichen Buchmomenten kommen größere Projekte hinzu. Claudia Thee berichtet beispielsweise von der Aktion Huhn: Ausgehend vom Band "Meine große Tierbibliothek. Das Huhn" (Esslinger) lernten Kinder das Tier zwei Wochen lang aus verschiedenen Perspektiven kennen. Die Erzieher:innen machten eine Adresse ausfindig, bei der man Hühner mieten kann. So wurden Kinder und Fachkräfte 14 Tage lang zur Pflegefamilie. Aus der Stadtteil­bücherei Kücknitz lieh man eine Medienkiste zum Thema Hühner aus, es wurde mit Eiern experimentiert und mit Federn gespielt. Ein ähnliches Projekt führte man rund ums Schaf durch und besuchte zur Lammzeit eine Herde des Landschaftspflegevereins. Eine Erkenntnis: Lämmer schreien genau so laut wie Kinder. Es sei wichtig, Inhalte von Büchern ins Leben zu transportieren, meint die Erzieherin, und anschließend zur Vertiefung wieder ins Buch zu schauen.

Buchinhalte werden direkt in den Kita-Alltag integriert – hier geht es um das Thema Schafe.

Als bewährtes Bilderbuch im Kita-Alltag hebt sie "Das Farbenmonster" von Anna Llenas (Jacoby & Stuart, als Pop-up bei Velber) hervor, das sich dem Thema Gefühle widmet. Die Beschäftigung damit brachte unter anderem eine "Monster-Gefühle-­Uhr" hervor, die je nach Gefühlslage der Kinder eingestellt wird und Gesprächsanlässe bietet. Die Kinder äußerten aber auch den Wunsch nach einem eigenen Monster – also besorgte man eine Nähmaschine, bat Eltern um Stoffspenden und legte los. Seitdem werden in der Kita auch andere Bilderbuchhelden genäht. 

Inspirationen und Vernetzung

Wichtig bei der Buchauswahl: Die Kinder müssen sich in den Büchern wiederfinden können. Neben der Stadtbücherei ist die Buchhandlung Buchfink ein guter Partner für die Recherche. "Von dort bekommen wir zum Beispiel Verlagsvorschauen, arbeiten sie durch und geben sie wieder zurück." Auf der regionalen Lübecker Buchmesse "Die Buchmacher" informiert sich das Team ebenso wie auf der Frankfurter Buchmesse. Dort hat Claudia Thee mit ihren Kolleg:innen etwa den Lauter Verlag entdeckt, der ein besonderes Erstlese-Konzept verfolgt. Weiterbildungsangebote vor Ort, wie vom Verein der Bücherpiraten und aus einer benachbarten Schule, werden gern angenommen und dienen nicht zuletzt der Vernetzung. So brechen im Schatten des einstigen Hochofenwerks in Lübeck-Kücknitz regelmäßig neue Leser:innen aus dem Haus in der Sonne in Richtung Grundschule auf – und das ist ausgezeichnet. 

GÜTESIEGEL BUCHKITA

Seit 2019 verleihen der Börsenverein und der Deutsche Bibliotheksverband das Gütesiegel Buchkita. Damit werden Einrichtungen prämiert, die im Bereich der frühkindlichen Leseförderung und der Lese- und Sprachentwicklung von Kindern besonders aktiv sind. Der nächste Bewerbungszeitraum startet im März. Wer eine Kita vor Ort zur Bewerbung ermutigen möchte: Alle Informationen gibt es unter www.guetesiegel-buchkita.de.