Leipziger Buchmesse

Atemlos durch die Nacht

13. April 2023
Nils Kahlefendt

Die Vorbereitungen für die Leipziger Buchmesse sind im vollen Gange. Leipzig-Korrespondent Nils Kahlefendt hat die Notizen aus dem Maschinenraum gesammelt und einige Highlights zusammengestellt. Die wichtigsten Termine auf der Leipziger Buchmesse gibt es hier kompakt als Download. 

Bald ist es endlich wieder so weit: Besucher:innen auf dem Weg in die Glashalle der Leipziger Buchmesse.

Zimmer frei: Für Nora Pester ist die Leipziger Buchmesse eigentlich ein Heimspiel. Nun kann sich die Verlegerin von Hentrich & Hentrich glücklich schätzen, wenigs­tens für einen ihrer Autoren ein Zimmer klargemacht zu haben: Im ­Dominikanerkonvent St. Albert in Leipzig-Wahren war noch etwas frei, weil eine Pilgergruppe abgesagt hat. Dass die Marktgesetze auch in der Hotellerie wirken, weiß man in den beiden deutschen Buchmessestädten aus leidvoller Erfahrung. Mit der pandemiebedingten Entscheidung, die Leipziger Buchmesse auf Ende April zu schieben, hat man sich nun ins Umfeld weiterer Groß-Events katapultiert: Nahezu zeitgleich zur Buch­messe locken fünf Konzerte des Superstars Helene ­Fischer in der Quarterback Immobilien Arena (25. – 30. April) und der ­Galerie-Rundgang auf dem Gelände der Leipziger Baumwollspinnerei (29. – 30. April). Die Folge: Die Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten ist am letzten Aprilwochenende extrem, die Hotelpreise gehen teilweise durch die Decke. Dennoch können Kurzentschlossene übers Hotelportal der Leipziger Buchmesse noch immer fündig werden, für 174,90 Euro etwa kann man im Motel One am Augustusplatz nächtigen. Independent-Verlage und ihre Autoren verlassen sich da eher auf das gute, alte Motto: Freunde von Freunden.

Kookbooks-Verlegerin Daniela Seel etwa checkte oft beim Leipziger Schriftstellerpaar Martina Hefter und Jan Kuhlbrodt in Schleußig ein. In diesem Jahr beherbergen die beiden ihren Freund und Schriftstellerkollegen Yevgeniy Breyger sowie Ulrich Leinz vom Berliner Gans Verlag. Wer, wie Joachim Helfer, Board-Mitglied beim PEN Berlin, kurzfristig noch Kontingente für eine Autorenrunde sucht, beißt schon mal in die Tischkante. Und wer, wie die Verlagsgruppe Penguin Random House, mit rund 120 Mitarbeiter:innen sowie 55 Autorinnen und Autoren an die Pleiße reist, hat besser früh gebucht. Rund 100 Auftritte wird die Autoren-Riege hinlegen; Ulrike Draesner und Regina Scheer sind gar Anwärterinnen auf den Preis der Leipziger Buchmesse.    

Maria Rehm arbeitet seit 15 Jahren bei der Messe - am häufigsten findet man sie am Drehkreuz beim Presseeingang.

Am Drehkreuz

Man muss keinen Abschluss in Psychologie haben, um sich vorstellen zu können, wo man der ersten Leipziger Buchmesse seit vier Jahren am meisten entgegenfiebert. Natürlich: bei der Leipziger Messe-Gesellschaft, im Buchmesse-Team und bei zahllosen Pauschalkräften.

Maria Rehm arbeitet seit 15 Jahren auf der Messe, am häufigsten findet man sie am Drehkreuz beim Presseeingang. Nach dieser Buchmesse ist für Rehm, die im April 74 wird, Schluss. Ein letztes Mal wird es, auf vielerlei Weise, besonders: "Es sind mehr Medienleute da als auf anderen Veranstaltungen. Und es wird deutlich mehr gefragt – nach Programmen, Leseorten, Parkschildern." Schwierig wird es, wenn sich Vertreter der Weltpresse schon vor der offiziellen Hallenöffnung zu Interviews verabredet haben. Am Drehkreuz ist man immer auch ein wenig im diplomatischen Dienst. 

Dort ist gefühlt auch Buchmesse-Direktor Oliver Zille unterwegs, seit er die Leitung der Veranstaltung 1992 übernommen hat. Für Zille begannen die "Meaoiswiamia"-Präliminarien des heurigen Gastlands schon in den vergangenen Wochen, etwa mit einem Gastspiel des Wiener Burgtheaters oder der Eröffnung einer Nicolas-Mahler-Schau im Literaturhaus. Während des Countdowns fährt der Buchmesse-Direktor zweigleisig: zum einen etwas mehr Sport, "zum Hirn auslüften". Zum anderen heißt es, auf sehr subjektive Weise das fulminante Programm zu scannen – was nicht nur die Vorbereitung auf Dutzende Gruß- und Dankesworte einschließt, sondern eigentlich die Gabe der Multilokation erfordern würde. "Als Gastgeber gilt es, all denen Aufmerksamkeit zu schenken, die sich hier ins Zeug legen. Und natürlich möchte man mehr als nur einen Zipfel vom vieltausendstimmigen Messegeist erhaschen. Es ist nicht immer leicht, all das auszutarieren." Auf dem Nachttisch liegt "Nach dem Gedächtnis", der 2018 erschienene Roman von Maria Stepanova, die am Eröffnungsabend im Gewandhaus den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhalten wird. Für Zille ist die oppositionelle Russin so etwas wie die "Autorin der Stunde".    
 

Oliver Zille

Prima Klima

Anfang 2021, als die Leipziger Buchmesse zum zweiten Mal Corona-bedingt abgesagt werden musste, entstand im unversehens offenen Raum die Klimabuchmesse (klimabuchmesse.de). Nach dem Pilotprojekt ging die Veranstaltung in Serie, Ausgabe drei ist nun wieder eine Premiere, denn sie findet erstmals in Kooperation mit der Leipziger Buchmesse statt.

Das Gros der Veranstaltungen geht in der Kulturfabrik Werk II über die Bühne – dort also, wo im vergangenen Jahr die buchmesse_popup für Begeisterung sorgte. Für Lesungen und Diskussionsrunden, ein Schul- und Fachprogramm kommen etwa die Norwegerin Maja Lunde, Deutschlands prominentester Förster Peter Wohlleben sowie die Kinderbuchautorin Kirsten Boie nach Leipzig. "Durch die Kooperation mit der Buchmesse und mit 'Leipzig liest' können wir viele Buchbegeisterte erreichen", sagt Projektleiterin und Klimabuchmessen-Kuratorin Gisela Wehrl. Die Großveranstaltung kann nur durch "unglaublich viele ehrenamtliche Stunden von ganz vielen Menschen" ermöglicht werden – auch aus den Verlagen, von Autor:innen sowie von "Leipzig liest"-Orten gab es enorm viel Solidarität. Inzwischen ist die Klimabuchmesse ein gemeinnütziger Verein: Fortsetzung folgt. 
 

Gisela Wehrl ist Kuratorin der Klimabuchmesse, die in diesem Jahr erstmals in Kooperation mit der Leipziger Buchmesse stattfindet. 

Gemischter Satz

Karsten Dehler von der Kurt Wolff Stiftung konnte den Konsum Leipzig als Getränkesponsor fürs Forum Die Unabhängigen gewinnen; der heiße Schwarze, der von Verlegerinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an der Kaffee-Bar ausgeschenkt wird, stammt von einer lokalen Rösterei. "Wer nicht scharf essen kann, ist kein Revolutionär", so soll es einst der Große Vorsitzende dekretiert haben. Im Chinabrenner des Leipziger Gastronomen Thomas Wrobel hing der Mao-Spruch prominent über den Köpfen der Gäste, die sich bis 2019 zum Independence Dinner trafen. Im vergangenen Jahr beendete Wrobel seinen langen Marsch – und wäre doch heuer, wie Axel von Ernst (Lilienfeld) berichtet, ums Haar mit einem popup_dinner zur Stelle gewesen.

Allein die Österreicher gingen von der Fahne, zu dicht das Netz ihrer Gastland-Aktivitäten, das auch kulinarisch gewebt ist. Tu felix Austria ist mehr als Wiener Schnitzel und Sachertorte! Überzeugen kann man sich davon im Café Grundmann, dem wienerischsten Kaffeehaus jenseits des Gürtels, wo Chef-Caterer Ecki Grundmann messetäglich ein "Meaoiswiamia"-Menü nach Kochbüchern aus der Alpenrepublik auftischt. Der Krimiabend "Gemischter Satz" am Messefreitag ist leider schon ausverkauft.

Richtig schlimm ist das jedoch nicht: Im Leipziger Felsenkeller ist für jenen Abend alles bereitet, um die 13. Indie-Party seit 2008 zu feiern. Zur Aufführung kommt eine Kreuzung aus buchmesse_popup und Party der ­jungen Verlage unter dem sinnigen Namen popup_party. Wenn es die DJs Donis und Booga an den Turntables krachen lassen, wird – Hand drauf! – auch bei in die Jahre gekommenen Büchermachern das Tanzbein zucken.

Im wienerischen Caféhaus Grundmann wird es messetäglich ein "Meaoiswiamia"-Menü nach Kochbüchern aus der Alpenrepublik geben..