Man muss keinen Abschluss in Psychologie haben, um sich vorstellen zu können, wo man der ersten Leipziger Buchmesse seit vier Jahren am meisten entgegenfiebert. Natürlich: bei der Leipziger Messe-Gesellschaft, im Buchmesse-Team und bei zahllosen Pauschalkräften.
Maria Rehm arbeitet seit 15 Jahren auf der Messe, am häufigsten findet man sie am Drehkreuz beim Presseeingang. Nach dieser Buchmesse ist für Rehm, die im April 74 wird, Schluss. Ein letztes Mal wird es, auf vielerlei Weise, besonders: "Es sind mehr Medienleute da als auf anderen Veranstaltungen. Und es wird deutlich mehr gefragt – nach Programmen, Leseorten, Parkschildern." Schwierig wird es, wenn sich Vertreter der Weltpresse schon vor der offiziellen Hallenöffnung zu Interviews verabredet haben. Am Drehkreuz ist man immer auch ein wenig im diplomatischen Dienst.
Dort ist gefühlt auch Buchmesse-Direktor Oliver Zille unterwegs, seit er die Leitung der Veranstaltung 1992 übernommen hat. Für Zille begannen die "Meaoiswiamia"-Präliminarien des heurigen Gastlands schon in den vergangenen Wochen, etwa mit einem Gastspiel des Wiener Burgtheaters oder der Eröffnung einer Nicolas-Mahler-Schau im Literaturhaus. Während des Countdowns fährt der Buchmesse-Direktor zweigleisig: zum einen etwas mehr Sport, "zum Hirn auslüften". Zum anderen heißt es, auf sehr subjektive Weise das fulminante Programm zu scannen – was nicht nur die Vorbereitung auf Dutzende Gruß- und Dankesworte einschließt, sondern eigentlich die Gabe der Multilokation erfordern würde. "Als Gastgeber gilt es, all denen Aufmerksamkeit zu schenken, die sich hier ins Zeug legen. Und natürlich möchte man mehr als nur einen Zipfel vom vieltausendstimmigen Messegeist erhaschen. Es ist nicht immer leicht, all das auszutarieren." Auf dem Nachttisch liegt "Nach dem Gedächtnis", der 2018 erschienene Roman von Maria Stepanova, die am Eröffnungsabend im Gewandhaus den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhalten wird. Für Zille ist die oppositionelle Russin so etwas wie die "Autorin der Stunde".