Debüts des Monats - Mai 2022

"Aber was das Mädchen will, will keiner"

27. Mai 2022
Matthias Glatthor

Ein tolles Debüt legt Yade Yasemin Önder mit ihrer tragischen Heldin, Sproß einer deutsch-türkischen Familie, hin, die nach ihren Platz im Leben sucht. Ernste Themen verpackt sie dabei gekonnt in einen vor Komik funkelnden Stil.

Anarchisch, aberwitzig, metaphorisch, surreal, frech und mit herrlichen Wortkaskaden versehen ist Yade Yasemin Önders Debüt, das sich eigentlich um eine traurige Geschichte dreht. Was Önder aber daraus mit Witz und Ironie macht, ist stilistisch überraschend und einfach großartig.

Die Ich-Erzählerin, die "an einem Tag ein Jahr nach Tschernobyl auf einer Wiese" geboren wurde, als Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters muss viel Durchmachen. Durch einen tragischen Unfall stirbt ihr stark übergewichtiger, massiger Vater früh, als er ihr eine Schaukel bauen will. Ein Trauma, dass in ihr haften bleibt. Sie kommt mit ihrem Körper nicht klar, entwickelt eine Bulimie, landet schließlich in einer Klinik. "Immer was los ist da im Mädchen. Vorbei kommen Pizzen und Panikattacken, Ängste und Aufläufe, Gummitiere und Gewalterinnerungen." (S. 233). Probleme mit Beziehungen und Sexualität kommen hinzu, auch hier gelingt Önder bei aller Tristesse mehr als ein stilistisches Highlight: Ihre 55 Männer etwa bringt die Ich-Erzählerin in einer Liste (S. 135ff.) in wenigen, treffsicheren Strichen auf den ernüchternden Punkt. 

Die aus Facetten zusammengesetzte Geschichte, die zwischen Traumwelt und Realität schwebt, spannt sich von 1977 bis 2019, ein wichtiges Element sind auch die deutschen und türkischen Großeltern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, das Kind auf eine Zerreißprobe stellen ("Aber was das Mädchen will, will keiner"). Wird sie die Gespenster der Vergangenheit los?  

Übrigens: Besonders die Ich-Erzählerin in jungen Jahren erinnert in ihrer rotzigen Sprache an das wunderbare "Zazie in der Metro" (1959) von Raymond Queneau – und richtig: blättert man ans Ende des Buches, so liest man von der Autorin: "Die Kapitel 'Hymnen als Hindernis I + II' spielen mit Raymond Queneaus Modell der 'Stilübungen', das mich immer sehr fasziniert hat." Noch ein Aspekt des beeindruckenden Debüts, das hiermit wärmstens empfohlen sei.

Ihr Lektor Jan Valk ist zum ersten Mal auf Yade Yasemin Önder aufmerksam geworden, als er in der Vorjury des Open Mikes war "und das Glück hatte, ihre Einsendung in meinem Stapel zu finden", erklärt er auf Anfrage. Später habe das Romanmanuskript alle Mitlesenden im Verlag sofort entflammt. "Zu unserer Freude, entschied sich Yade dann tatsächlich für Kiepenheuer & Witsch als ihr Verlags-Zuhause." Die Auflage betrage mittlerweile 10.000 Exemplare.

Bibliografie:

Yade Yasemin Önder: "Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron", Kiepenheuer & Witsch, 256 S., 20 Euro, ISBN 978-3-462-00156-3