Freundschaften sind nie ganz einfach, vor allem wenn die Erwartungen an sie hoch sind: Selene Mariani erzählt in "Ellis" in kurzen Sequenzen über die Beziehung zweier Mädchen.
Freundschaften sind nie ganz einfach, vor allem wenn die Erwartungen an sie hoch sind. Ellis etwa reagiert auf ihre Umwelt seismografisch, ist grüblerisch, introvertiert, fühlt sich zeitlebens rasch verletzbar. Als ein neues Mädchen in ihre Grundschulklasse kommt, sich mit ihr anfreundet und auch noch im selben Haus wohnt, ist Ellis gut gestimmt und umso enttäuschter, als sich Grace, die eigentlich Greta heißt, auch mit anderen anfreundet. Sie zeigt sich von ihrer wütenden, ablehnenden Seite, und es wird ein Auf und Ab in der Freundschaft, bis sich die Mädchen nach der Schule aus den Augen verlieren.
Dann treffen sie sich zufällig auf der Straße wieder, der Faden der Freundschaft wird wieder aufgenommen, sie knüpfen an frühere Erlebnisse an, sprechen offen über vergangene Erlebnisse, schwierige Mütter, treffen sich wieder, fahren schließlich gemeinsam in Urlaub zu Ellis‘ Großeltern nach Italien. Mehr und mehr fühlt sie sich von Grace angezogen, und das Verhältnis wird richtig kompliziert, als sich Grace vorübergehend in einen italienischen Jungen verliebt. Nicht einfacher wird es, weil Ellis als Wanderin zwischen der italienischen Welt des Vaters und der deutschen der Mutter versucht, Heimat und Zuhause zu verorten. Aber sowohl der Identitäts- wie der Annäherungsprozess gelingen. Die in Verona und Dresden aufgewachsene Selene Mariani erzählt in kurzen Sequenzen, mit permanenten Rückblicken von 2002 bis 2019, die eine innere Chronologie beim Lesen entstehen lassen. Sie fängt Momente ein, in denen Gefühle entscheiden und die letztlich Bilder sind – sie führen zu vielen Fragen, die im Raum stehen bleiben und auf Antworten warten, und schon sind die Leser:innen dabei, diesen Warteraum zu füllen.
Selene Mariani: "Ellis", Wallstein, 148 S., 20 €
