Fehlerkultur – Fehlerhype
Fuck-up-Days sind nicht für alle Berufsgruppen geeignet, Chirurg:innen und Lektor:innen etwa dürften wenig Lustiges zu erzählen haben. Man muss sich nicht mit Fehlern brüsten, um aus ihnen zu lernen.
Fuck-up-Days sind nicht für alle Berufsgruppen geeignet, Chirurg:innen und Lektor:innen etwa dürften wenig Lustiges zu erzählen haben. Man muss sich nicht mit Fehlern brüsten, um aus ihnen zu lernen.
Kennen Sie schon sogenannte Fuck-ups? Oder Fuck-up-Meetings, ganze Fuck-up-Days? Da erzählen sich Menschen im beruflichen Setting von ihren größten Fehlern. Es wird nicht hinterm Berg gehalten mit dem eigenen Versagen, mit den schlimmsten Momenten der Karriere, mit dem krassesten Berufstief. Und – wie Sie sich denken können – es bleibt nicht bei diesem Fehlerbericht, sondern danach geht es um die Learnings. Diese sind natürlich fast noch wichtiger. Man ist ja schließlich gewachsen an dieser Situation.
Ich bin absolut der Meinung, dass es nützlich ist, aus Fehlern zu lernen – ja, notwendig. Anders geht’s ja nicht. Aber sich mit diesen Fehlern zu brüsten, das muss man sich erst mal leisten können. Wenn man einen Haufen Geld in den Sand gesetzt hat, ist das zwar bitter, aber noch lange kein Weltuntergang. Ein Produkt ist gefloppt – meine Güte. Jetzt stellen Sie sich aber mal vor, ein Feuerwehrmann hätte aus Versehen Wathose und Schwimmweste angelegt, hätte damit das brennende Gebäude nicht stürmen und nicht die Menschen darin bergen können. Oder die Chirurgin hätte das rechte zu amputierende Bein mit dem linken verwechselt. Natürlich könnten diese beiden im Anschluss lustig erzählen, dass ihnen das nie wieder passiert, weil sie sich jetzt mit bunten Post-its behelfen. Aber das würde die Stimmung auch nicht mehr retten.
Und auch im Kleinen, in den wichtigen Details, werden allzu oft wenig herzeigbare Fehler gemacht – in Berufen, in denen Fehlerfreiheit eine erstrebenswerte Tugend ist, wie Buchhaltung oder Lektorat. Es ist eben auch nicht sehr unterhaltsam, wenn man erklärt, dass man wegen einer schlimmen Liebeskummerphase und Unkonzentriertheit die Bilanz eines Monats falsch berechnet oder Unmengen von Rechtschreibfehlern übersehen hat. Aus Fehlern dieser Art lassen sich selten lustige und medienwirksame Geschichten stricken, die bei einem Fuck-up-Abend gut ankommen. Das Storytelling hat irgendwo seine Grenzen: »Warum es in Wirklichkeit total gut war, dass mein Buch gefloppt ist« oder »Was ich daraus gelernt habe, dass die Autorin nach meinem Redigat ihren Text nicht mehr wiedererkannt hat und vom Vertrag zurückgetreten ist« – diese Aufhänger erzeugen schon beim Lesen ein flaues Gefühl im Magen. Die Berichte dazu möchte niemand hören.
Natürlich ist aber der bewusste Umgang mit Fehlern auch in diesen Berufen der »Fehlerlosen« wichtig. Immerhin arbeiten auch da trotzdem nur Menschen, die Schwächen haben. Bloß verlagert sich hier der bewusste Umgang mit Fehlern, das Reflektieren und Lernen nicht in eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit. Im Idealfall bespricht man offen mit den wertschätzenden Vorgesetzten, wie eine Situation oder Leistung verbessert werden kann. Schwächen zu zeigen, beweist Größe, Eleganz und Integrität. Und wer seine im Griff hat, ist erfolgreich. Ich möchte nur festhalten: Fehler sind nicht per se gut. Sie passieren, ja, aber manchmal sind sie fatal, oft genug peinlich und meistens einfach ungünstig und nicht gern gesehen. Hören wir bitte wieder auf, ständig mit Fuck-ups zu prahlen und sie wie Kondome im Bauchkasten infantil vor uns herzutragen.
Veronika Weiss (38) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) in Hamburg arbeitete sie dort als Lektorin. Seit 2021 ist sie frei als Texterin und Lektorin tätig. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.