Interview mit Lyrik-Verleger Dinçer Güçyeter

"Wenn man nichts zu verlieren hat, kann man gut frech sein"

15. März 2023
Nils Kahlefendt

Der Verleger und Lyriker Dinçer Güçyeter erhält am 28. April den mit 15 000 Euro dotierten Kurt-Wolff-Förderpreis. Ein Gespräch über Brotjobs, Verlagsförderung und Kochen für Autor:innen.
 

Dinçer Güçyeter

Wie geht es dem Verleger Dincer Gücyeter, wenn der Autor Dincer Gücyeter gerade auf Lesetour ist, sich Arte und das ZDF die Klinke in die Hand geben – und durch den Hinterkopf womöglich noch das schreckliche Erdbeben in der Türkei und in Syrien spukt?

Ich bin 43 Jahre alt, in Deutschland geboren. Die Türkei war für mich ein Urlaubsland. Erst jetzt merke ich, wie eng ich mit diesem Land verbunden bin. Wir sehen eine Katastrophe, die mindestens die nächsten 20 Jahre beeinflussen wird. Wir haben mit Elif eine kleine Kampagne gemacht, bei der 6000 Euro zusammenkamen. Die habe ich nach der ersten Woche der Katastrophe an den Verein Ahbap, eine türkische Hilfsorganisation mit Sitz in Istanbul, überwiesen. 

Während es viele Kreative in die Zentren, die Metropolen zieht, leben und arbeiten Sie dort, wo Sie 1979 geboren wurden, in Nettetal, nahe der niederländischen Grenze. Welche Vorteile hat die Existenz am Rand?

Zuerst die Geborgenheit, die für mich immer wichtig war. Und: Die Provinz, also Nettetal, ist auch eine Art Manhattan. Eine Metropole! Legionen von Fernfahrern, die nach England und Frankreich, oder umgekehrt, nach Polen oder in die Ukraine, wollen, kommen hier durch. Mein Vater führte hier die Kneipe, dank derer ich die Möglichkeit hatte, all diese Menschen kennenzulernen, mir ihre Geschichten anzuhören. Deshalb hat mich Nettetal auch ein bisschen festgehalten. Mittlerweile denke ich, dass Berlin manchmal provinzieller ist. Wir bauen unsere Welt ja nicht nur aus Holz, Beton und Glas, sondern auch mit unseren eigenen Phantasien. Meine Arbeit war, aus diesem kleinen Dorf eine Wunderwelt zu schaffen.  

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