Gastspiel von Constanze Kleis

Manna für die Frauenseele

16. Juni 2023
Redaktion Börsenblatt

Das Romance-Genre treibt viele Blüten. Und das ist auch gut so, meint Constanze Kleis, die einschlägige Erfahrungen mit einer Vorgängerversion hat: den Liebesgeschichten in Heftchenform.

Ich hatte mal einen Freund, dessen Mutter sogenannte Heftchen-Romane schrieb. Es ging um Krankenschwes­tern, die sich unsterblich in total sensible, wahnsinnig attraktive Kinderärzte verliebten und ihren Traumprinzen nach spätestens 120 Seiten an die breite Brust sinken konnten. Oder um unerfahrene Mauerblümchen, die kurz davor waren, den Avancen eiskalter Geschäftsmänner zu erliegen. Bis gerade noch rechtzeitig ein herzensguter, wahnsinnig attraktiver und nur vorübergehend verarmter Adeliger als Retter auftauchte. 

Es stimmte also nicht, was die kroatisch-mazedonische Schlagersängerin Ljupka Dimitrovska damals Anfang der 1980er sang: »Es gibt keine Liebe mehr!« Selbstverständlich gab es sie noch. Jeden Monat eine neue. Sie wurde in einem Reihenhaus in einem hessischen Vorort von einer ketterauchenden Endvierzigerin mit einem Faible für Weißwein in Serie produziert. Für 1 000 Mark pro Happy End. Und nein, ich fand den Blick in den Romantik-Maschinenraum nicht ernüchternd. Im Gegenteil. Ich fand es eine schöne Ironie, wie ausgerechnet die total überzuckerte Illusion vom perfekten Rosarot einmal etwas tat, was man ihr sonst kaum zutraut: einer Frau finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen. 

Sage also keiner, der Liebesroman habe so gar kein emanzipatorisches Potenzial und sei im Gegenteil bloß Sänftenträger des Patriarchats. Es steckt sehr viel mehr in ihm. Das erleben wir auch gerade beim Romance-Boom. Nicht nur, dass das Genre sehr vielen Autorinnen eine beachtliche Karriere und ein noch imposanteres Auskommen beschert. Galt für Lore-Heftchen noch: ein Konzept für alle, so kennt der heutige Liebesroman beinahe so viele Varianten wie der Schellack-Kosmos Farben.

Der Liebesroman ist bloß Sänftenträger des Patriarchats? Von wegen.

Constanze Kleis

Schoko-Liebe

Es gibt etwa solche, in denen höhere Gewalt in Form von liegen gebliebenen Autos oder stecken gebliebenen Aufzügen zusammenbringt, was zusammengehört (»Forced Proximity«) und solche, in denen Schokolade eine Hauptrolle spielt (»Chocolate of Romance«). Es gibt eine Turbo-Variante, die sich »Confession Causes Consummation« nennt und bei der es bereits nach der ersten Liebeserklärung erotisch rund geht. Nicht zu vergessen die Highschool-Romance, die Variante »Fake Lover« sowie die Metamorphose »Friends to Lovers«. 

Praktisch jede Beziehungsannäherungs-Spielart hat mittlerweile ihre eigene Schublade, ihr eigenes Etikett. Zwar fehlen im Moment noch Labels für Varianten, in denen etwa Katzen, Gel-Nägel oder Vorstandsposten den Raum einnehmen, den sie ja gewöhnlich auch in den realen Frauenleben haben. Aber eines wird jetzt schon klar: Romance bringt Frauen zusammen. Rund um das Genre hat sich eine solide Fanbase gebildet – die als Eintrittskarte in ihren exklusiven Club nicht nur immer neues Insider-Know-how kreiert, sondern auch über einen regen Austausch in den einschlägigen Portalen das Qualitätsmanagement und damit ihre Marktmacht fest im Griff hat. 

Gut, man könnte all diese Energie auch in den Kampf um eine verbindliche Frauenquote, die Abschaffung des Paragrafen 218 oder mehr Kinderbetreuungsplätze investieren. Aber irgendwo muss man sich ja die Kraft für diese enervierenden Kämpfe holen. Am Ende verhält es sich mit dem Luftschloss-Bauboom auf dem Buchmarkt ja wie mit Cheese Macaroni oder Spaghetti Bolognese und all dem anderen Trostessen – das literarische Comfort Food ist Manna für die Frauenseele.

Ob wir das noch brauchen, wenn endlich einmal wirklich weltweit die Gleichstellung von Männern und Frauen realisiert ist? Wir werden es nie erfahren. Gerade hat die UNO ausgerechnet, dass dieses Fernziel frühestens in 300 Jahren erreicht sein wird. Bis dahin werden wir noch einige Romance-Bücher sehr dringend brauchen. Ich würde sogar noch eine Lasagne dazu nehmen.