Interviews zum Jahreswechsel (4)

"Ich bin gebremst optimistisch"

8. Dezember 2022
von Michael Roesler-Graichen

Ohne Reserven wäre 2022 ein schwieriges Jahr für den Psychiatrie Verlag geworden. Die Umsätze gingen zurück, und nicht alle Bücher konnten wie geplant erscheinen. 2023 dürfte entspannter werden, weil Autor:innen und Kunden über den Krieg und Corona hinausdenken könnten, hofft Geschäftsführer York Bieger.

2022 war ein Jahr der Überforderung. Hatten Sie genug Reserven, um allen Widrigkeiten zum Trotz Ihr Programm zu machen?
Ja, wir haben die Überforderung gespürt, und ja, wir hatten genügend Reserven, um durch das Jahr zu kommen. Wir sind 2020 gut gefahren und hatten 2021 ein ausnehmend gutes Jahr. In diesem Jahr konnten wir alle Stellen halten, ohne Lohnkürzung.

Gab es Lichtblicke?
Im November, als der Abwärtstrend bei den Umsätzen erstmals wieder durchbrochen wurde. Im Übrigen hatten wir seit dem 24. Februar, dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, einen Umsatzrückgang im Buchbereich von rund 20 Prozent. Besonders stark sind die Bezüge über die Barsortimente und Amazon eingebrochen, während sich der Umsatz im stationären Buchhandel ungefähr auf Vorjahresniveau gehalten hat. Ähnlich wie uns ist es vielen Verlagen unserer Größenordnung ergangen. Die Insolvenz der Sozialistischen Verlagsauslieferung ist ein schlimmer Beleg dafür.

Wo liegen die Gründe für den Einbruch in diesem Jahr?
Im letzten Jahr gab es bei unseren Kunden "Vorholeffekte", es wurde viel in Fachliteratur für die Fortbildung investiert. Jetzt haben wir es mit einem Rückschlag-Phänomen zu tun; 30 bis 50 Prozent der Rückgänge sind auf diesen Effekt zurückzuführen. Außerdem hat der Schock des 24. Februar dazu geführt, dass viele Menschen ihren Fokus verschoben haben: Man hat jetzt andere Sorgen. Und ein dritter Grund: Wir müssen alle Geld sparen.

Ist die Luft für kleinere, unabhängige Fachverlage insgesamt dünner geworden?
Diesen Gedanken zuzulassen, macht die Luft jedenfalls nicht wieder "dicker". Viel wichtiger ist mir die Solidarität, die wir gerade erfahren. Sie kommt sowohl von der Autorenseite – einige Autor:innen boten spontan einen Honorarverzicht an – als auch von den 15 Gesellschaftern des Verlags, allesamt namhafte Institutionen, die im psychosozialen Bereich engagiert sind.

Was erwarten Sie von 2023?
Ich bin gebremst optimistisch. Der Vorholeffekt wird zwar aufgebraucht sein, vielleicht werden mehr Menschen wieder über Krieg und Corona hinausdenken können. Andererseits wird die Programmplanung weiterhin dadurch erschwert, dass viele Autor:innen ihre Manuskripte nicht wie vorgesehen fertigstellen können, weil sie in ihrer beruflichen Praxis zu sehr gefordert sind und den Kopf nicht frei haben. Das Positive: Die meisten der verspäteten Titel werden dann eben 2023 kommen können. Dann werden wir sicherlich auch gewinnbringende Effekte aus unserer noch neuen utb-Kooperation spüren. – Was mir Mut macht: die beeindruckende Stimmung auf der Frankfurter Buchmesse. Die Mehrzahl der Kollegen zeigte sich willensstark und in Feierlaune. Das ist eine gute Basis, um weiterzumachen.