Aus dem Sonderheft Dienstleister: Digitale Veranstaltungen

Erfolgreich mit Digitalevents

9. Juni 2021
Kai-Uwe Vogt

Für viele Verlage sind Webinare und Hybrid-Events inzwischen ein tragfähiges Erlösmodell. Viele Arbeitsschritte können Unternehmen sinnvoll auslagern – an spezialisierte Dienstleister und Agenturen. 

Spätestens der Corona-Lockdown hat Webinar-Tools wie »Zoom«, »Go to Webinar«, »wonder.me« und Microsoft »Teams« salon­fähig gemacht. Schon zuvor haben vor allem Fach- und Publikumsverlage auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern oder Kundendaten (»Leads«) Webinare für sich entdeckt. Doch auch heute bieten Anbieter den Nutzer*innen oft weniger, als möglich wäre. Die Wortschöpfung »Webinar« verspricht ja eine Mischung aus »­Seminar« und »Web«. »In der Praxis sehen wir nach wie vor oft Livewebcasts. Die Beteiligung und die Interaktionsmöglichkeiten für die Teilneh­mer*innen sind ziemlich überschaubar«, fasst Okke Schlüter zusammen, der seit mehr als zehn Jahren an der Hochschule der Medien in Stuttgart zum Thema forscht. Natürlich gibt es Gegenbeispiele, zum Beispiel den Kosmos Verlag, der mit seinem Webinarprogramm und Onlinekursen ein breites Publikum anspricht. Hunde-erziehung, Spiritualität – es sind die Ratgeberthemen der Stuttgarter, die mit Frage-und-Antwort-Formaten nicht nur live sehr gut funktionieren, sondern auch in Form längerer Videokurse. Der Verlag prüft die Einführung eines Flatrate-Modells. 

Non-Fiction-Content bietet erst einmal mehr Einsatzmöglichkeiten als Belletristik. Auch hier sind Autorentreffen und Events möglich. Gezahlt wird aber für die Lösung eines Problems.

Okke Schlüter, Hochschule der Medien in Stuttgart

Medienneutrales Denken

Das Beispiel ist kein Zufall. Fach- und Ratgeberverlage haben im Markt die Nase vorn: »Non-Fiction-Content bietet erst einmal mehr Einsatzmöglichkeiten als Belletristik. Auch hier sind Autorentreffen und Events möglich. Gezahlt wird aber für die Lösung eines Problems«, bringt Schlüter es auf den Punkt. Für sein Buch »DesignAgility« (mit Stefanie Quade, Schäffer Poeschel) hat Schlüter systematisch verschiedene Medienprodukte einer Stärken- und Schwächenanalyse unterzogen. Sein Fazit: »Durch den Livecharakter geht von Webinaren ein großer Reiz aus. Andere Medien lassen sich hervorragend integrieren, es ist partizipativ und vor allem visuell und auditiv sehr attraktiv.« Auch die Herausforderungen des Neulands seien für Neuanbieter beherrschbar, sagt der Medienforscher: »Webinare sind stark inhaltsgetrieben, das können Verlage sehr gut. Das Problem liegt darin, medienneutral zu denken. Das erfordert andere Kompetenzen als die üblichen Medienprodukte der Verlage.« Auch fehle vielen Anbietern ein langer Atem, sagt Schlüter. Denn sinnvoll sei es, Webinare als ein Produkt in einer langen Kette zu sehen, als einen Livebaustein eines größeren Blended-Learning-Systems. Zumindest die Möglichkeit, vertiefende Angebote wie Coachings durch Au­tor*innen zu machen oder ein abgestimmtes Buch zur Webinarreihe anzubieten (Crossselling, Upselling), sollten sich Verlage nicht nehmen lassen. Am besten, so Schlüter, denkt man sie von Anfang an mit. 

Verlage können durchaus mit Bordmitteln einsteigen, insbesondere wenn sie zuvor ihren Eventbereich personell verstärken, erläutert Schlüter. Zwar sollten Unternehmen wichtige Lernchancen immer ergreifen, aber gerade im Hinblick auf ein kleinteiliges Angebot gibt er zu bedenken: »Robuste Prozesse sind elementar, sonst war es das schnell mit der Rentabilität.« Will ­heißen:

  • Software
  • Produktionsmittel
  • Administration 

können Neueinsteiger guten Gewissens an Dienstleister abgeben.

»Hier können Agenturen als Full-Service-Partner ebenso ins Spiel kommen wie bei Einzelthemen, etwa Streaming oder Chatbetreuung«, sagt Roland Große Holtforth, Gründer und Geschäftsführer von Literaturtest. »Ein schönes, bei uns gefragtes Beispiel für eine punktuelle Unterstützung ist auch die Schulung von Autor*innen in ihrer digitalen Präsenz«, so Große Holtforth. Er sieht im Markt auch für Belletristik-Verlage und Buchhandlungen Möglichkeiten: »Emotionen, Figuren und Geschichten: Hier warten jenseits der Fachverlage wahre Schätze darauf, in neuen digitalen Formaten gehoben zu werden. Inhaltlich wie wirtschaftlich.« An Beispielen zählt er »Helden­stückeLIVE«, »future!publish«, »Bookstock« von Hugendubel, die »Ladies Night« der Düsseldorfer Buchhandlung Bolland & Böttcher und »buch@handel« auf. Sein Tipp für Digitalevent-Neulinge: Kooperationen schmieden für Kostenersparnis und Reichweitensteigerung. »Wenn ich etwa die Monetarisierung von Videoformaten zum Thema Bergwandern für eine gute Idee hielte und über attraktive Inhalte verfügte: Ich würde sofort andere Buch- und Zeitschriftenverlage sowie ein paar führende Ausrüster ansprechen – und dann schauen, mit wem sich hier etwas Gescheites auf die Beine stellen lässt.« 

Ein schönes, bei uns gefragtes Beispiel für eine punktuelle Unterstützung ist auch die Schulung von Autor*innen in ihrer digitalen Präsenz. 

Roland Große Holtforth, Literaturtest

Onlinemarketing

Nicht nur Konzepte, Technik und Personal können Anbieter mieten, sondern auch Marketingreichweite: Der VNR Verlag für Deutsche Wirtschaft AG zum Beispiel expandiert gerade stark – von 46 Online-Events im Jahr 2020 auf voraussichtlich 200 in diesem Jahr. Zunächst wurden die sieben Fachverlage der Gruppe mit ihren 450 Mitarbeitern bei Digitalprojekten unterstützt, längst ist VNR aber auch unter der Marke platform X (www.pl-x.de) für externe Kunden als Dienstleister unterwegs – auch mit eigenem Videostudio. Das vierköpfige Event-Kernteam wird dafür je nach Bedarf erweitert, »vor allem, wenn es um professionelle Videoaufnahmen geht«, berichtet Bastian Rechmann, Teamleiter Event Management. Von Kochshows über Aufräum-Webinare mit Werner Tiki Küstenmacher (der auch Redakteur bei VNR ist) bis zu Börsentipps ist alles dabei. Der Onlinekongress »Assistants’ World« zum Beispiel ist ein anspruchsvolles Großprojekt. Welche Softwarelösungen zum Einsatz kommen, wird im Einzelfall mit den Kunden entschieden. 

»Der Umgang mit unserer Marketing-Reichweite und die Direktmarketing-Vertriebsstärke ist die Basis unseres Erfolgs. Wir investieren hier große Beträge«, sagt Rechmann. Ein Lead monetarisiere sich oft nicht sofort. »Aber am Ende lohnt sich die Arbeit«, weiß Rechmann. In Sachen Online-Marketing-Investitionen ist der VNR Verlag nach eigenen Angaben unter den Top-5-Anbietern in Deutschland, vermietet nicht nur seine Reichweite, sondern stellt auch intelligente Prozesse für Double-Opt-ins und Marketing-Automatisierung sowie Conversion-Optimierung zur Verfügung. Die eigens entwickelten Anmeldeflächen lassen sich auch bei den Kunden einbinden und erlauben eine solide Automatisierung bis ins E-Mail- und Telefonmarketing. »Wir arbeiten auch mit Influencern und helfen, Traffic zu messen und zu analysieren«, so Rechmann. 

Mitten in der Pandemie hat die Vogel Communications Group mit Vogel Event Solutions eine eigene Agentur an den Start geschoben. Dort wurden Bereiche gebündelt, in denen die Würzburger schon zuvor stark aufgestellt waren. In der Agentur arbeiten mehrere Teams an Eventkonzeption und -umsetzung, Videotechnik sowie Messen und Kongressen. Das 3 000 Quadratmeter große hauseigene Kongresszentrum Vogel Convention Center (VCC) mit zwei Hallen und seinem beeindruckenden Curve Studio (Highlight ist eine 21 Meter lange, vier Meter hohe, geschwungene Leinwand) war bereits vor dem ersten Corona-Lockdown fertig. 

Der Umgang mit unserer Marketing-Reichweite und die Direktmarketing-Vertriebsstärke ist die Basis unseres Erfolgs. Wir investieren hier große Beträge.

Bastian Rechmann, VNR Verlag für Deutsche Wirtschaft AG

Hybride Tagungskonzepte

»Zehn Prozent unseres Jahresumsatzes von normalerweise 100 Millionen Euro erwirtschaften wir mit Events«, fasst Director PR Gunther Schunk die Dimensionen zusammen. Gegengeschäfte wie Barter Deals und andere Medienkooperationen nicht mit eingerechnet. »Die Customer Journey hat in den vergangenen Jahren ungleich an Bedeutung gewonnen«, gibt Matthias Brandstätter, Head of Digital Cooperation bei Vogel Communications zu bedenken. »Die richtige Anzahl und richtige Qualität der Besucher müssen stimmen, die Reichweite bei den definierten Zielgruppen. Es braucht ein holistisches Konzept«, sagt Brandstädtter, der auch den Aufbau von digitalen Plattformen und Communitys betreut.

Die Corona-Pandemie wird den Umgang mit Events und Kongressen verändern, ist man in Würzburg überzeugt. Bei Liveveranstaltungen, so die These, werden der Erlebniswert und das Netzwerken wichtiger. »Das muss triefen vor Erlebnis«, sagt Schunk, am Ende müsse ein Teilnehmer sagen: »Ich habe zehn neue Leute und fünf Tools kennengelernt und diese neue Hebebühne ausprobiert.« Einfach nur ein Vortrag nach dem anderem – das habe ausgedient. Eine zweite These: Die Zukunft der Tagungen ist hybrid. »Das bedeutet: Bei der Konzeption und der Dramaturgie haben wir es mit zwei Events zu tun. Es ist gut, mit zwei Moderator*innen zu arbeiten und den digitalen Teil kompakter zu gestalten und mit kurzen Feedbackrunden abzurunden«, erläutert Agenturchefin ­Alexandra Braun. Auch die Kommunikation der Teilnehmer untereinander sei wichtig und werde über Apps gesteuert. Ein positiver Aspekt: Die Ticketpreise zwischen Live- und Digitalevents unterscheiden sich zumeist nur im Punkt Catering. Für wen sieht sie den Eventbereich als Geschäftsmodell? »Fachverlage haben in ihren Branchen eine hohe Reichweite und eine klare Zielgruppe. Sie haben große Chancen, Events und Kongresse erfolgreich durchzuführen.« Erfolgreich heißt: vorab Ziele und Kennzahlen zu definieren, so Braun. »Geht es um Leads? Geht es um Reichweite in einer bestimmten Zielgruppe? Geht es ums Geld verdienen?« 

TIPPS FÜR WEBINAREINSTEIGER

  • Erst Ziele, dann Tools definieren
  • Software, Technik und Teilnehmer­management outsourcen
  • Prozesse automatisieren (z. B. »Zoom«-Webinare und »Eventbrite« fürs Ticketing, Kundendatenbanken)
  • In Reihen denken
  • Interaktion und kurze Digitalformate nutzen – nicht analoge Events »digitalisieren«
  • Flatrate Modelle anbieten
  • Cross-Selling und Upselling-­Möglichkeiten schaffen
  • Kongresse hybrid denken
  • Partner mit ins Boot holen

BÜCHER UND MEDIEN

Florian Rustler: »Werkzeuge für großartige Meetings«, Haufe, 192 S., 24,95 €

Andrea Heitmann: »Online-Meetings, die begeistern«, Haufe, 228 S., 29,95 €

Okke Schlüter, Stefanie Quade: »DesignAgility. Toolbox Media Prototyping«, Schaeffer Poeschel, 160 S., 24,95 €


28.9.2021: Onlineseminar mit Okke Schlüter: »E-Learning als Geschäftsmodell für Content-Anbieter«, Akademie der Medien

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