"Meine Erfa-Gruppe ist für mich Gold wert"
Austausch von Kennzahlen, gegenseitige Store-Checks, offene Ohren füreinander, Unterstützung durch Berater*innen: Viele Buchhändler*innen schwören auf das Netzwerkformat Erfa-Gruppe. Warum ist das so?
Austausch von Kennzahlen, gegenseitige Store-Checks, offene Ohren füreinander, Unterstützung durch Berater*innen: Viele Buchhändler*innen schwören auf das Netzwerkformat Erfa-Gruppe. Warum ist das so?
»Die Mitarbeit in meiner Erfa-Gruppe ist für mich Gold wert – und in Corona-Zeiten ein wahrer Segen.« So schwärmt nicht nur die Buchhändlerin Ulrike Pitz, Inhaberin der Buchhandlung Merkle in Elzach. Auch andere Buchhändler*innen sind begeistert von »ihren« Gruppen, die ihnen und ihren Unternehmen helfen würden, sich stetig zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Dabei mutet der altbackene Begriff »Erfa-Gruppe« (Abkürzung von Erfahrungsaustausch-Gruppe) alles andere als sexy an, doch von einem verstaubten Image wollen weder die Berater*innen, die die Gruppen leiten, noch die Mitglieder etwas wissen. Im Gegenteil: »Durch die Konzentration bei Verlagen und Buchhandlungen stehen Einzelkämpfer eher auf verlorenem Posten«, sagt der Unternehmensberater Joachim Merzbach. Umso wichtiger sei der Austausch untereinander, der sich stark intensiviert habe. Während man sich früher vor allem zu den Erfa-Tagungen traf, sind die Gruppen seit Langem intensiv über die sozialen Medien vernetzt und teils täglich in Kontakt miteinander. »Das komplexe Umfeld erfordert viele, auch schnelle Entscheidungen und man hat die Möglichkeit, sich jederzeit Rat bei den anderen zu holen, die ja eben-falls Fachleute sind«, führt Beraterin Christiane Goebel aus. Darüber hinaus gibt es »Standard«-Programme und Regeln, die Erfa-Gruppen charakterisieren. Dazu zählen beispielsweise:
Wer sich auf all das einlässt, den erwarten teils jahrzehntelange Verbindungen, die sich zu intensiven Freundschaften auswachsen können. »Ein spannender Effekt ist, dass man die Entwicklung der Buchhandlungen über Jahre verfolgen kann, durch die Kontinuität und die Dokumentation von Zahlen und Plänen«, sagt Christiane Goebel. »Wir sehen, ob jemand seine Hausaufgaben macht – wenn nicht, kriegt er solidarisch Feuer unterm Hintern.«
Ein gutes Nervenkostüm brauchen die Buchhändler*innen vor allem dann, wenn ihre Buchhandlung an der Reihe ist und beim Store-Check seziert wird. »Wir schauen nicht nach toten Fliegen im Schaufenster oder kaputten Glühlampen«, merkt Gudula Buzmann an. »Diese Standards setzen wir voraus.« Stattdessen werde beispielsweise eine Regalmeteranalyse durchgeführt, Laufwege und Präsentationen werden mit Marketingaugen betrachtet sowie Arbeitsprozesse und vieles mehr unter die Lupe genommen. Die Kritikpunkte der Kolleg*innen würden ausgiebig diskutiert und dokumentiert – und die Anregungen von den Inhaber*innen oft umgesetzt. Das alles laufe nicht immer konfliktfrei ab, so die Erfahrung von Christiane Goebel. »Da in den Läden viel Herzblut steckt, ist das manchmal nicht einfach.« Daher fokussiere man sich in erster Linie auf streng professionelle Gesichtspunkte, unabhängig vom persönlichen Geschmack.«
Bei den Store-Checks sind neben den Chef*innen auch die Mitarbeitenden dabei, um die Anregungen aus erster Hand mitzubekommen. Um ihnen den Blick aus Chef*innen-Perspektive zu ebnen, gibt es bei Jörg Winter zudem mehrere Mitarbeiter-Erfa-Gruppen, in denen sich Mitarbeitende ähnlich wie die Unternehmer*innen austauschen. »Sie durchlaufen das gleiche Programm wie ihre Chefs, treffen sich, machen Laden-Checks und sprechen über wirtschaftliche und kommunikative Angelegenheiten«, berichtet Winter. Für ihn ist das »ein sehr effektives Format, mit dem sich Mitarbeiter*innen weiterbilden können«. Es erfordere jedoch Mut und Offenheit von den Unternehmern. Dass Mitarbeiter*innen auf demselben Kenntnisstand seien wie die Chefs, vor allem in wirtschaftlichen Details, sei längst nicht überall üblich.
Einen Sonderfall stellen Buchhandlungen mit christlichem Sortiment dar, darunter auch Klosterbuchhandlungen. Sie finden sich unter den Fittichen der MDG Medien-Dienstleistung wieder und werden dort von Bernhard Meiners betreut. Für sie gibt es sogar einen passgenau zugeschnittenen Betriebsvergleich des religiösen Buchs. »In unseren Gruppen wird gegenseitiges Helfen großgeschrieben«, berichtet Meiners. So hätten christliche Buchhandlungen bei den Ladenschließungen in der Corona-Pandemie vor einem großen Problem gestanden. Weil viele von ihnen keinen oder nur einen rudimentären Webshop hätten, habe man sich gegenseitig mit Produktbeschreibungen ausgeholfen, gemeinsame Werbeaktionen gestartet und Newsletter verfasst. »Größter Benefit ist, dass man auf den aktuellen Stand kommt und Fragen schnell beantwortet werden«, so Meiners. Er ist übrigens gerade mit sechs Interessenten im Gespräch – etwas, wovon die weltlichen Erfa-Gruppen nur träumen können.
Die meisten Gruppen würden sich über neue Mitglieder freuen. Durch den Verkauf von Buchhandlungen, aus Altersgründen oder durch Schließungen schwindet mancherorts die Zahl der Mitglieder. »Sechs bis acht Buchhandlungen sollten es schon sein, um einen facettenreichen Austausch zu ermöglichen«, meint Gudula Buzmann. »Neue« zu finden, gelinge ihr persönlich durch Empfehlungen aus der jeweiligen Gruppe und das eigene Netzwerk, denn »Kaltakquise« betreibe zumindest sie nicht. Auch über die Landesverbände, auf Seminaren oder Branchentreffen lasse sich das eine oder andere Mitglied gewinnen. Betrachtet man die Erfa-Deutschlandkarte, zeigt sich eine große Lücke. »Der Osten liegt leider brach«, weiß Joachim Merzbach, bisher bestehe dort kein Interesse.
Wer gern bei einer Erfa-Gruppe mitmachen möchte, kann sich an die Unternehmensberater*innen wenden, um herauszufinden, welche Gruppe Platz hat und passen könnte – ob beispielsweise ein betriebswirtschaftlicher Schwerpunkt gewünscht wird oder eine andere Ausrichtung im Vordergrund stehen soll. Jörg Winter sagt: »Erfa-Arbeit ist hochprofessionell und inspirierend. Newcomer können mit einer neuen, jungen Gruppe durchstarten und Routiniers in einer reifen Gruppe frische Motivation und lebendigen Input tanken. Denn Erfa-Arbeit macht erfolgreicher und zudem Spaß.«