Lasst doofe Gedanken zu!
Brainstorming ist in der Theorie eines der besten Ideen-Tools. In der gruppendynamisch geprägten Praxis setzen wir uns aber oft selbst Schranken – und erreichen deshalb wenig bis nichts.
Brainstorming ist in der Theorie eines der besten Ideen-Tools. In der gruppendynamisch geprägten Praxis setzen wir uns aber oft selbst Schranken – und erreichen deshalb wenig bis nichts.
Es ist doch ein Traum: Das ganze Team darf ganz frei denken, Assoziationen gleich welcher Art werden zugelassen, kein Einfall ist verboten. Aus den abwegigsten Vorschlägen entstehen die besten Eingebungen, die den Weg zu noch mehr Erfolg ebnen. Und es geht immer auch ums Quatschmachen – Absurditäten sind lustig und stimulieren das Hirn auf andere Art als sonst.
Ich habe Spaß am Brainstorming. Deshalb bin ich gern gleich dabei, sobald der Begriff fällt. Bloß habe ich mich schon einige Male blamiert … Da hat mein erstes Herumspinnen gleich Gegenwind ausgelöst. Ja, war mir schon klar, dass das jetzt nicht die Idee des Jahrhunderts war, aber ich wollte einfach mal etwas einwerfen. Um weitere Ideen zu produzieren. Wie man das meiner Meinung nach so macht beim Brainstorming. Oder?
Der Faktencheck auf Wikipedia zeigt, dass für die Phase 1, Ideenfindung, tatsächlich feste Regeln gelten: keine Kritik an anderen Beiträgen, Ideen, Lösungsvorschlägen (kreative Ansätze können sich auch aus zunächst völlig unsinnigen Vorschlägen entwickeln);
Freies Assoziieren und Fantasieren ist erlaubt. Es soll ordentlich stürmen im Oberstübchen! Immerhin kommt der Begriff von »using the brain to storm a problem«. Erst in Phase 2 darf eine Bewertung der gesammelten Ideen, ein Sortieren derselben stattfinden. Aber daran halten wir uns nicht immer. Weil die Gruppendynamik uns den Wind aus den Segeln nimmt: Man möchte doch vor der Chefin nicht schlecht dastehen. Soll man etwa den neuen Kollegen mit unpassenden Assoziationen erschrecken? Durch unqualifizierte Äußerungen der Konkurrentin einen Vorteil verschaffen? Auch wenn vornehme Zurückhaltung bei Ahnungslosigkeit ansonsten eine nicht hoch genug zu schätzende Eigenschaft ist – im Windschatten solcher Hemmungen brainstormt es sich schlecht.
Durch diesen Effekt, nehme ich an, ist der Begriff inzwischen verwässert. Auch reflektiertes Nachdenken und danach sinnvolle Vorschläge zu machen wird ab und an als »Brainstorming« bezeichnet. Und ist es überhaupt richtiges Brainstorming, wenn es ganz spontan passiert? Vermutlich habe ich »Wir machen heute mal ein kleines Brainstorming« oft zu wörtlich genommen. Im Umfeld von Techniken wie Scrum, Design Thinking und Sprint oder Lean Start-up hält der Klassiker Brainstorming oft nicht mehr, was er theoretisch verspricht.
Gerade deshalb möchte ich für Mutige in die Bresche springen und ein freieres Brainstorming proklamieren, wann immer davon gesprochen wird. Lasst doofe Gedanken zu, haut einfach einen raus, seid euch nicht zu schade für spontane Kommentare! Lasst uns gemeinsam die absurdesten Gedankengänge entdecken und uns ungewohnten Dynamiken hingeben – wer weiß, was daraus entsteht.
Veronika Weiss (36) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung arbeitet sie in Hamburg als Lektorin in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) und nebenbei frei als Texterin. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.