Es geht nicht um die Empörung einer Gruppe von Aktivisten auf Social Media, sondern um die Kritik der Betroffenen. Es gibt auch keine Zensur, weil nichts verboten wurde, sondern nur Rücksicht genommen. Es steht auch keine Bücherverbrennung vor der Tür, weil das aus einer Diktatur hervorgegangen ist und es gerade um das Gegenteil geht - um Vielfalt, darum, allen zuzuhören und alle verstehen zu wollen.
Und dann heißt es oft, dass die Kritik ja "nur" von einer Minderheit kommt. Aber ist es nicht ein Fortschritt, dass wir auf Minderheiten hören, Rücksicht nehmen? Wachsen wir denn nicht genau so als Gesellschaft?
Und dann heißt es, kulturelle Aneignung sei doch etwas Schönes, wir essen z.B. ja auch gerne "Pizza". In der Zeit, in der man so einen schiefen Vergleich in die Kommentarspalten tippen kann, hätte man den Begriff auch einfach bei Wikipedia suchen können: "Im engeren Sinn wird als 'kulturelle Aneignung' angesehen, wenn Träger einer 'dominanteren Kultur' Kulturelemente einer 'Minderheitskultur' übernehmen und sie ohne Genehmigung, Anerkennung oder Entschädigung in einen anderen Kontext stellen.' Geschichten aus anderen Ländern sind also nicht alle automatisch kulturelle Aneignung und die Pizza auch nicht – Glück gehabt.
Ravensburger hat nach einer falschen Entscheidung die richtige getroffen (auch wenn der Grund für das Zurückziehen natürlich nicht die "negativen Rückmeldungen" sein sollten, sondern der Inhalt des Buchs). Warum sollte man einen verletzenden Inhalt publizieren, um eine Diskussion zu ermöglichen, die es ja offensichtlich auch gerade ohne das Buch gibt?
Dass Karl May ein Kind seiner Zeit war, ist keine Entschuldigung, wenn diese Zeit eine ist, in der es egal war, wie sich Menschen außerhalb des eigenen Dunstkreises fühlen, eine Zeit, in der man das noch nicht einmal mitbekommen hat.
da Sie sich intensiv mit diesem Thema auseinander gesetzt haben, können Sie mir (bzw. uns) einige Textbeispiele aus dem Buch nennen, die von den Betroffenen als verletzend wahrgenommen wurden? Ansonsten diskutieren wir über Reaktionen und Gegenreaktionen, aber der eigentliche Auslöser bleibt irgendwie abstrakt und unkonkret.
besten Dank für die Beleuchtung dieses Vorgangs aus Ihrer Sicht. Sie schreiben so schön am Ende:
„…wenn wir hier darüber diskutieren können – informiert und einander zugewandt.“ Ja, das kann man durchaus. Wenn man gewillt ist, „Die eigenen Irrtümer mit(zu)denken“. Leider ist es aber nicht in einem bestimmten Teil der Gesellschaft nicht nur woke, sondern besonders en vogue, seiner ausschließlich als korrekt angesehenen Meinung per Shitstorm Ausdruck und vor allem Nachdruck zu verleihen. Von der Diskussionskultur zur Shitstorm-Kultur. Man nutzt die (a)sozialen Medien und deren Wirkung zur Durchsetzung seiner persönlichen Meinung. Sie beschreiben Fälle von Menschen indigener Abstammung, die sich von einem solchen Buch „verletzt fühlen“. Und Sie erzählen die Geschichte eines Kindes, das durch das falsche Bild von Indian Natives gemobbt wird. An dem Buch kann es nicht liegen, das erscheint ja nun nicht. Ich möchte das nicht relativieren, kann Ihnen aber versichern, dass in Deutschlands Schulen viele Kinder –auch German Natives- gemobbt wurden und werden. Eines meiner Kinder z.B. Wenn wir in dieser Gesellschaft auf jede/n Rücksicht nehmen wollen (was man ja grundsätzlich sollte), wie stellen Sie sich denn zukünftig die Veröffentlichung von Büchern vor? Ab wieviel Betroffenen wird das Buch nicht veröffentlicht? Muss es vorher einem Betroffenenrat vorgelegt werden und wer bestimmt die Betroffenen? Wo fangen wir an und wo hören wir auf? Es geht hier um ein –aus meiner Sicht- völlig harmloses Kinderbuch. Eine Gruppe Menschen „erkennt“ darin Rassismus (sorry, aber das ist schlicht lächerlich), Stereotypen, Gefühlsverletzung, kulturelle Aneignung… und dann ist das Fakt, oder? Wenn man will, wird man in vielen Büchern und Filmen irgendwelche Ansatzpunkte finden. Können sich Zwergwüchsige z.B. mit dem Herrn der Ringe abfinden? Darf sich ein Schwarzer die Haare blondieren oder ist das kulturelle Aneignung? Darf ein Japaner deutsche Klassik spielen? Mag jetzt an den Haaren herbeigeholt scheinen, aber wo fängt es an und wo hört es auf? Das Buch wird jetzt auf Druck nicht veröffentlicht. Glauben Sie ernsthaft, dass sich damit auch nur minimal irgendetwas an der Situation derer verbessert, die Sie hier ins Felde führen? Sind nicht Mobbing, Ausgrenzung, Rassismus, Homophobie üble Begleiter unserer und anderer Gesellschaften, denen man mit Aufklärung und Wissen begegnen sollte? Eltern und Lehrer, die dafür Sorge tragen, dass sich dieser Stachel nicht weiter in die Gesellschaft bohrt? Dieses völlig belanglose Kinderbuch wird von einer Minderheit plötzlich zum Symbol für den Kampf gegen die Unkorrektheit hochstilisiert. Und vor lauter Windmühlen erkennen diese woken Kämpferinnen und Kämpfer gar nicht mehr, wo eigentlich das Ziel liegt. Ich finde diese Einstellung und vor allem Vorgehensweise äußerst bedenklich. Volker Gollenia
vielen Dank für Ihren Kommentar! Sie schreiben von der eigenen "ausschließlich als korrekt angesehenen Meinung". Oft habe ich den Eindruck, wir kommen gar nicht zu den wirklichen Meinungen, weil so viele schlicht falsche Behauptungen als Meinungen getarnt werden, wie z.B., dass alle Native Americans gerne "Indianer" genannt werden oder, dass es sich hier um ein Verbot handelt. Im Moment sehe ich auf beiden Seiten, dass sich alle in ihren Meinungen sehr sicher sind. Und dann geht es um eine Diskussionskultur, in der man seine Meinungen mit Fakten und Erfahrungen untermauert und die kommt eben sehr schwer zustande. In den Facebook-Kommentaren unter diesem Artikel ist kaum jemand dabei, der den Artikel gelesen hat - immer werden die gleichen Punkte behauptet, die bereits widerlegt sind. Wenn es um das Durchsetzen der eigenen Meinung geht, habe ich nach den Kommentaren, Artikeln, Fernsehbeiträgen und der Berichterstattung von z.B. der BILD-Zeitung in den letzten Tagen eher den Eindruck, dass sich der Ravensburger Buchverlag dazu entschieden hat, nicht auf den Shitstorm zu hören und weiter dabei zu bleiben, das Buch zurückgezogen zu haben.
Natürlich kann die geschilderte Mobbing-Erfahrung nicht auf das Buch zurückzuführen gewesen sein (obwohl einige Bücher ja verkauft wurden), aber es geht um Bücher und Filme wie "Der kleine Häuptling Winnetou".
Ihre Argumentation zu Mobbing in Schulen kann ich nicht nachvollziehen. Weil andere Kinder auch gemobbt werden, sollte man gar nicht damit beginnen, Ursachen auf den Grund zu gehen, sondern es einfach weiter geschehen lassen. Weil auch "German Natives" gemobbt werden, sollten die Natives auch gemobbt werden?
Dann greifen Sie einen sehr interessanten Punkt auf, nämlich die Frage, ab wie vielen Betroffenen ein Buch nicht veröffentlicht wird. Und die Frage "Wo fangen wir an, wo hören wir auf?". Darauf habe ich auch keine Antwort. Mit der Frage werden wir uns in Zukunft immer mehr beschäftigen müssen, weil es eben kein klares Richtig oder Falsch gibt. Ich finde nur, dass es in Ordnung ist, wenn ein Verlag nach Abwägen von Argumenten eine freie Entscheidung trifft.
Wenn Sie schreiben, dass es aus Ihrer Sicht um ein "harmloses Kinderbuch" geht - ist das richtig, ignoriert aber, dass es für die Native Americans, die in Deutschland leben eben nicht "harmlos" ist. Diese Gruppe von Menschen erkennt da nicht nur Rassismus, sondern erlebt ihn direkt. Das als "lächerlich" abzutun ist dann einfach nur noch ignorant.
Zu Ihren Beispielen: Tatsächlich gab es gerade Anfang des Jahres eine Debatte dazu, wie Kleinwüchsige in Filmen dargestellt werden: https://www.sueddeutsche.de/kultur/peter-dinklage-disney-streit-1.5515565
Wenn ein Schwarzer die Haare blondiert, ist das keine kulturelle Aneignung, weil dabei Träger einer „dominanteren Kultur“ Kulturelemente einer „Minderheitskultur“ übernehmen und das in Ihrem Beispiel nicht der Fall ist.
Und natürlich sollte man Mobbing, Ausgrenzung, Rassismus und Homophobie mit Aufklärung und Wissen begegnen. Und das passiert ja gerade. Da schildern die "Natives in Germany" ihre Rassismus-Erfahrungen und trotzdem wird das dann als "lächerlich" bezeichnet. Und wenn Verlagsmitarbeiter*innen nach neuem Wissen und Aufklärung entscheiden, einen Titel zurückzuziehen, was a auch ein Umgang mit Rassismus ist, dann werden sie dafür kritisiert.
Ihren letzten Punkt finde ich sehr richtig: Wir diskutieren gerade ganz viel über Kleinigkeiten, wahrscheinlich, weil die größeren Probleme so kompliziert sind und man sich so machtlos fühlt. Wir diskutieren aber auch über Kleinigkeiten, weil keine Seite nachgeben kann. Am Ende entscheidet ein Verlag und das ist sein gutes Recht. Ich frage mich da nur, ob der Aufschrei nach Veröffentlichung des Buches und Filmes genau so groß gewesen wäre, wenn man sich dazu entschieden hätte, nichts zurückzuziehen. Und da wird für mich das Ungleichgewicht erkennbar.
Wenn wie in diesem Fall der Genozid an indigenen Volksgruppen ausgeblendet wird, damit man eine Abenteuergeschichte über sog. "Indianer" und ihre weißen Freunde erzählen kann, ist der Vorwurf des Rassismus allein schon deshalb schwer von der Hand zu weisen.
Zu guter Letzt: Es geht nicht allein um dieses (harmlose?) Buch; die konkrete Debatte zeigt doch aber wieder einmal, wie schwiereig es zu sein scheint, von einer reflexhaften Verteidigungshaltung wegzukommen und sich Argumenten zu öffnen. Dabei ist es nicht die "weiße Mehrheitsgesellschaft", die unter dieser Problematik zu leiden hat.
danke für diesen differenzierten und durchdachten Beitrag.
An alle, die in diesem Fall "Zensur", oder "Einschränkung der Presse-, Freiheit- und Meinungsfreiheit" wittern: Zensur läge vor, wenn das Buch von einer Behörde bzw. staatlicherseits verboten würde. Wenn ein Verlag jedoch ein Werk, das er selbst herausgebracht hat, auf eigener (!) Entscheidung zurückzieht, fällt das durchaus unter "Presse-, Freiheit- und Meinungsfreiheit". Auch das ist Demokratie!