Pilotprojekt liefert erste Erkenntnisse

Energiefressern auf der Spur

12. Dezember 2022
von Christina Busse

Grüner Buchhandel in Bremen: Die Buchhandlung Lesumer Lesezeit will klimaneutral werden – und wird dabei vom HDE unterstützt. Schon ein erster Ladenrundgang mit Experten legte jetzt Wärmeverluste und Spareffekte offen. 

Schön, aber leider sehr schlecht isoliert: die Schaufenster von 1986. 

Warum sie sich für das Pilotprojekt der Klimaschutz­offensive des Handelsverbands Deutschland (HDE) beworben hat? Da muss Svenja Esch nicht lange überlegen: »Klimaschutz ist ein extrem wichtiges Thema, zu dem alle einen Beitrag leisten müssen. Es geht um die Zukunft unserer Kinder«, sagt Esch, selbst zweifache Mutter. 

Schon 2018 hat sie den Entschluss gefasst, ihr Geschäft umweltbewusster zu führen. Gestartet ist sie mit der »Baumsparkarte«: Wer beim Einkauf der Umwelt ­zuliebe auf eine Tüte verzichtet, erhält einen Bonusstempel. Für jede mit zehn Stempeln gefüllte Karte spendet Esch einen von der Stiftung Plant for the Planet gepflanzten Baum. Rund 400 Stempelkarten hat Esch bisher in Bäume umgewandelt. 
 

Künftig will sie allerdings noch viel mehr dafür tun, um ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Die Chance, im Rahmen der Klimaschutzoffensive des HDE eine professionelle Energieberatung nutzen zu können, kam ihr da gerade recht: Sie bewarb sich für das Pilotprojekt, das zusammen mit dem Börsenverein dezidiert für den Buchhandel ausgelobt wurde. Die Lesumer Lesezeit soll nun zur ökologischen Blaupause für das gesamte Sortiment werden: »Wir haben uns für die Bremer Buchhandlung entschieden, weil sie Vorbildcharakter hat und stellvertretend für viele steht«, erläutert Jelena Nikolic, die das HDE-Projekt Klimaschutzoffensive leitet (Details: www.de-klimaschutzoffensive.de). Die größten Stellschrauben im Einzelhandel: Wärme, Strom, Mobilität, Verpackung, Lieferwege, Ladenbeleuchtung – oft ist hier noch Spielraum. 

Kritischer Blick aufs Licht: Energieberaterpaar Güldner und Buchhändlerin Svenja Esch. 

Gut versteckte Heizkörper

Der Startschuss für das HDE-Projekt fand vergangene Woche direkt in der Pilotbuchhandlung statt. Der 50 Quadratmeter große Laden wurde vom Energieberaterteam Olaf und Claudia Güldner (Firma Fokus Zukunft) durchleuchtet. Beim Rundgang durch die Räume erkennt das Expertenduo schon auf den ersten Blick Verbesserungspotenzial: »Die Heizkörper sind ziemlich versteckt«, stellt Olaf Güldner fest. Weil sie von einem Schaufensterpodest und einem Sofa verdeckt werden, staut sich die Wärme dort. Güldner empfiehlt, die Heizungen freizulegen, und verspricht sich allein davon 20 bis 30 Prozent Einsparpotenzial beim Wärmebedarf. 

Bei der Beleuchtung ist Svenja Esch bereits aktiv geworden, gerade hat sie die alten Halogenlampen im Schaufenster durch LED ersetzt. Auf abendliche Beleuchtung verzichtet sie seither ganz: »Wir schalten das Licht im Fenster an, wenn wir morgens kommen, und schalten es aus, wenn wir abends gehen.« Auch PC, Drucker, Kühlschrank, Wasserkocher und Co. unterzieht Güldner einer Prüfung. Alle Daten fließen im Rahmen des Energieaudits nach DIN EN 16247 in die CO2-Bilanz und die daraus resultierenden Empfehlungen ein. Auch auf den Stromversorger wird dabei geschaut. Liefert er zertifizierten »Grünen Strom« nach dem Ökostromlabel der Umweltverbände? Und was bedeutet das eigentlich? Optimal wäre eine eigene Solaranlage, aber dafür eigne sich die Dachfläche des Gebäudes leider nicht, bedauert Güldner.

Zugestellte Heizkörper: Konsequentes Freiräumen könnte 20 bis 30 Prozent des jährlichen Wärmebedarfs einsparen. 

Keine Dämmung – und nur Mieter

Den wohl größten Schwachpunkt entdeckt der Berater mit seiner Wärmebild­kamera an der Außenfassade. Die fehlende Dämmung ist das Problem, wie die Thermografien zeigen. Das macht deutlich: Auch wenn Svenja Esch die beste Absicht hat, ihre Klimabilanz zu verbessern, stößt sie an Grenzen, weil sie ihre Geschäfts­räume nur gemietet hat. Denn für Abhilfe kann hier nur der Eigentümer der Immobilie sorgen. 
 

Die alten Fenster sind das Hauptproblem. Das will ich jetzt mit meinem Vermieter besprechen.

Svenja Esch, Lesumer Lesezeit

Weil sich diese Konstellation oft als Hemmschuh bei der Umsetzung von Klimaschutzzielen im Einzelhandel herausstellt, will der HDE auf dieses Dilemma besondere Aufmerksamkeit lenken: »Es ist wichtig, die Eigentümer mit ins Boot zu holen«, betont Jelena Nikolic. Der HDE arbeite derzeit an »Grünen Verträgen«, einer neuen Art der Vertragsgestaltung, die die Umsetzung klimafreundlicher Maßnahmen gleich im Mietvertrag verankern soll. 

Svenja Eschs Vermieter hat zwar in den Altbau von 1925 investiert und 2019 eine neue Gaszentralheizung einbauen lassen, aber aktuell steht die Immobilie zum Verkauf. Obwohl die Energieeffizienzklasse des Gebäudes laut Energieausweis im unteren Drittel liegt, dürfte kurzfristig also nicht mit einer ­energetischen Sanierung zu rechnen sein. 

Ein weites Feld in der Klimabilanz sind die Lieferwege. »Die tägliche Lieferung ist das Pfund, mit dem wir gegenüber dem Onlinehandel wuchern«, hebt Esch den Über-Nacht-Service der Barsortimente hervor. Etwa die Hälfte ihrer Verkäufe sind Bestellungen, Tendenz steigend. Nikolic will das Thema anpacken: »Wir müssen uns mit den Lieferanten zusammensetzen, im Schulterschluss eine klimafreundliche, CO2-reduzierte ­Logistik entwickeln und das Thema mit vereinten Kräften nach vorn bringen« – beim Zwischenbuchhandel dürfte sie ­damit offene Türen einrennen.

Durchwachsen ist die Klimabilanz bei der Mobilität des Teams: Während die drei Mitarbeiterinnen in der Regel mit dem Rad zur Arbeit kommen, ist Svenja Esch 20 Kilometer mit dem Auto unterwegs: »Wir wollen schon lange in die Nähe der Buchhandlung ziehen«, erklärt sie. Vielleicht setzt sie dieses Ziel durch die Klimaschutzoffensive schneller um. Einige Punkte aus der Energieberatung packt sie direkt an: »Die schlecht isolierten Fenster von 1986 sind das Hauptproblem«, so Esch. Olaf und Claudia Güldner informieren sie über die verschiedenen Fördermöglichkeiten für den Einbau neuer Scheiben. Damit hat die Buchhändlerin jetzt eine Grundlage, um das Gespräch mit dem Vermieter zu suchen. Bei den zugebauten Heizkörpern will sie selbst umplanen: »Das ist eine Sache der Schaufenstergestaltung, die wir ändern werden.« 

Projektstart in der Lesumer Lesezeit: (von links nach rechts) Volker Petri (Börsenverein), Buchhändlerin Svenja Esch, Patrick Schütz (HDE), Beraterteam Olaf und Claudia Güldner, Jelena Nikolic (HDE) 

Und so geht es weiter

Im Februar soll in der Lesumer Lesezeit eine Zwischenbilanz des Pilotprojekts gezogen werden. Auf der Leipziger Buchmesse 2023 steht am 27. April die Präsentation ers­ter Umsetzungsergebnisse an. Richtig spannend wird es dann in einem Jahr, wenn Svenja Esch die neuen Strom- und Gasrechnungen ins Haus flattern. 

GRÜNER BUCHHANDEL

  • Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat im Rahmen seiner 2017 gestarteten Klimaschutzoffensive ein Pilotprojekt für den Buchhandel aufgelegt, das zur Blaupause für das gesamte Sortiment werden soll.
  • Die Lesumer Lesezeit in Bremen wurde bei dem Bewerbungsverfahren als Pilotbuchhandlung ausgewählt. Ergebnisse sollen im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse präsentiert werden.
  • Wer selber schon jetzt aktiv werden will: Ein HDE-Leitfaden ebnet besonders dem kleineren und mittelständischen Einzelhandel den Weg in Richtung Klimaneutralität. Er ist abrufbar unter dem Kurzlink bit.ly/klimaneutralmitdemhde.