Keine Angst sich zu blamieren
Volker Weidermann war Juror der TikTok Book Awards und ist dort mit eigenen Videos aktiv. Warum sich der Literaturkritiker auf der Plattform so wohlfühlt und welche New-Adult-Tipps er gibt, lesen Sie im Interview.
Volker Weidermann war Juror der TikTok Book Awards und ist dort mit eigenen Videos aktiv. Warum sich der Literaturkritiker auf der Plattform so wohlfühlt und welche New-Adult-Tipps er gibt, lesen Sie im Interview.
Ich musste beim Lesen von Ali Hazelwoods Romantasy "Bride" auch lachen.
Meine Empörung ist authentisch, das können Sie mir glauben. Das Buch ist extrem populär, bei den Buchausgaben für den KulturPass steht dieser Titel ganz oben. Ich bin als Literaturkritiker kein Moralist, Literatur ist frei, aber das ist brutaler Frauenunterwerfungssex, bonbonfarben verpackt. Richtig schlimm und nebenbei auch sprachlich Müll.
"Das geht dich nichts an, das verstehst du nicht, das Buch wurde nicht für dich geschrieben" – das war der Tenor der Reaktionen. Aber natürlich urteile ich auch jenseits der Tatsache, ob ich 16 bin und ein Mädchen. Ich erwarte Qualität, Grundmoral und Werthaltigkeit, und diesen Anspruch werde ich mir auch von kritischen Kommentaren nicht nehmen lassen. Im Kern hat die Community aber recht: Ich hätte das Buch nie freiwillig gelesen und es ist in dem Sinne auch nicht für mich geschrieben. Trotzdem habe ich eine Meinung dazu.
Natürlich, ich möchte meinen Job auch an dieser Stelle ernst nehmen. Und nebenbei: Die Videos werden von sehr vielen Menschen angeschaut, die die Bücher genau gelesen haben. Das kann schnell peinlich werden.
Viele aus der Community haben sich mich als Juror gewünscht. Dass "Die Zeit" auf BookTok aktiv wird, war eine Anregung von Jochen Wegner, Chefredakteur von "Zeit online" und Mitglied der Chefredaktion der "Zeit". Er fragte mich, ob ich Angst davor hätte, mich mal so richtig zu blamieren. Hatte ich nicht.
Mein Einfluss ist überschaubar. Ich habe eine Vorauswahl von 20 Titeln bekommen und daraus vier Titel ausgewählt; den Rest entscheidet die Community. Juror ist da ein großes Wort, ich bin eher eine Art Zwischeninstanz. Allerdings: Sebastian Fitzek oder Juli Zeh auf eine solche Liste zu wählen, das hätte für mich keinen Sinn ergeben.
Warum nicht? Ich empfinde auch BookTok nicht als Einbahnstraße, ich erfahre dort etwas über New-Adult-Bücher, aber ich möchte den Menschen dort auch gern das vorstellen, was ich als "meine" Literatur betrachte. Das schauen dann zwar nur wenige an, aber das kann sich entwickeln.
Ja, zum Beispiel mit "Ein schönes Ausländerkind" von Toxische Pommes und mit "Headshot" von Rita Bullwinkel – das sind schon Bücher, die BookTok-kompatibel sind. Diese Videos schauen sich vielleicht 15.000 Menschen an, die beiden "Icebreaker"-Videos wurden 1,1 Millionen Mal gesehen. Aber ich arbeite daran. Die Abi-Reihe, in der wir Bücher besprechen, die Schülerinnen und Schüler für ihre Abiturprüfungen lesen müssen, funktioniert übrigens sehr gut. Beiträge, in denen wir also Büchners "Woyzeck" oder Juli Zeh vorstellen, schauen 500.000 Leute. Das macht mir große Freude, weil ich hier aus den Tiefen meines Wissens schöpfen kann.
Nein, dafür habe ich genug Zeit und Begeisterung. Das Pensum hat sich vielleicht erhöht, aber zwischen den Literaturformen gibt es große Qualitätsunterschiede, und New Adult liest man in anderer Geschwindigkeit.
Das ist schon tollkühn und auch sehr ehrlich, oder vielleicht auch naiv, das öffentlich zu sagen. Diese Bücher sind leicht, sie sind leicht zu lesen und man ist glücklich, wenn sie auch leicht zu schreiben sind. Josi Wismar liest und empfiehlt Bücher, sie schreibt Romane und sie hat Buchwissenschaft studiert. Ich habe ihre sehr interessante Masterarbeit gelesen, in der sie unter anderem das Sprechen über Bücher vom Literarischen Quartett über die Jahre vergleicht. Das finde ich alles sehr beachtlich.
Jenseits von allen Qualitätsansprüchen, die wir an Literatur stellen – und die eben nicht immer dem Anspruch der New-Adult-Autorinnen und -Leser entsprechen –, bin ich geradezu euphorisiert von dem intensiven literarischen Gespräch in der Community. Was mich auf altmodische Art rührt, ist die Liebe, zum einen zur Geschichte und dann auch zum gedruckten Buch, das man am liebsten in einer kleinen Buchhandlung kauft. Auch die Gestaltung von Büchern wird wertgeschätzt. Ich bin kein Fan von Farbschnitten, aber ich kann die Freude an der Gestaltung nachvollziehen. Auch ich liebe Bücher unter anderem wegen ihrer Schönheit. Dass das alles in dieser für mich fremden, etwas heiteren Form wiederkommt, ist unglaublich.
Was mich auf altmodische Art rührt, ist die Liebe zur Geschichte.
Volker Weidermann
Stimmt. Einer oder eine spricht, viele andere stimmen zu oder auch nicht – das ist vielleicht noch kein Gespräch. Was ich immer liebe, wenn über Bücher gesprochen wird, und hier eben auch: Man spricht, wenn man über Geschichten redet, über sich selbst. Und ja, manche sagen, ich musste weinen, aber viele sagen auch, warum sie weinen mussten, was die Geschichte mit ihnen zu tun hat, was sie in ihnen ausgelöst hat. Das hat schon etwas Therapeutisches, etwas Heilendes. Und genau das ist für mich immer schon Teil des Wertes von Literatur gewesen
"Hazel Wood" von Melissa Albert, die Autorin arbeitet in einem wahnsinnig seriösen Beruf, sie ist Neurochirurgin, die aber eben auch Werwolf- und Campus-Romane schreibt. Von Melissa Albert kann ich alles empfehlen. Aber auch "Fourth Wing" fand ich richtig gut. Vor den Büchern von Hanna Grace möchte ich dagegen noch mal ausdrücklich warnen, "Icebreaker" ist ja eine ganze Serie. Da bleibe ich bei meiner Meinung.