Karriere

Krank zur Arbeit

8. Dezember 2023
Veronika Weiss

Haben wir aus der Zeit der Pandemie denn kein bisschen Rücksicht gelernt? Es kann und darf nicht sein, dass Präsentismus wieder zum guten Ton gehört.   

Zur Corona-Zeit waren wir uns schon ganz sicher, dass die Unart, krank zur Arbeit zu erscheinen, im Aussterben begriffen war. In der Hochphase mit vielen Infektionen war es einfach ein No-Go – teilweise sogar ein festgeschriebenes –, mit Symptomen im Büro zu sitzen. Keine Ausrede hat gezählt. Die Absurdität dessen, dass man meint, mit Anwesenheit besondere Motivation, Loyalität und Fleiß zu zeigen, trat deutlich zutage. Zumal es plötzlich dank rasanter Digitalisierung für die meisten möglich war, die Arbeit genauso gut von zu Hause aus zu erledigen. Keine Not also, dem Präsentismus zu verfallen und dabei das Team zu gefährden. 

Das alles ist gar nicht so lange her, keine drei Jahre – aber schon scheint es vergessen. In der Bahn, bei Sport und Freizeit und eben auch im Büro sind wieder Leute, die vor sich hin schnupfen, niesen und auffällig oft husten. »Hm, das kann jetzt aber nicht mehr die Allergie sein« oder »Habe mir wohl irgendwas eingefangen« wird betont lässig kommentiert. Ist das nun der extra-coole Gegenentwurf zur Corona-Hysterie? Die Lage ist zwar mittlerweile entspannter, dennoch sollten wir nicht leichtfertig riskieren, andere anzustecken.

Zur Zeit geht wieder was um, so einiges sogar – Erkältung, Corona, Grippe … Wer nimmt das schon gern mit? Es wäre doch anständig, die anderen zu schützen, indem man zumindest in vollen Innenräumen wieder eine Maske trägt. Ich hatte gehofft, unsere Gesellschaft würde einen Schritt in Richtung asiatische Weisheit gehen: dahin, dass Menschen mit möglicherweise ansteckenden Symptomen eine Maske tragen, um ihre Mitmenschen zu schützen. 

Selbstschutz ist gut, aber unschön

Wenn es mit der Rücksicht und dem Mitdenken nicht klappt, bleibt nur die andere – viel schlechtere – Möglichkeit: eine Maske zu tragen, um sich selbst zu schützen. Was irgendwie blöd ist, denn man möchte ja nicht permanent für die Gefährdenden mitdenken und jede Situation mit Menschenansammlungen und mehr oder weniger kränkelnden Individuen neu bewerten. Aber was bleibt einem übrig? Auf das Immunsystem können wir uns bei virengeschwängerter Luft nicht verlassen. Also stecken wir eine Maske ein und setzen sie schnell auf, sobald jemand in der Nähe hustet oder sich schnäuzt oder einen glasigen Blick hat. Das dann pietätvoll hinzukriegen, ist eine eigene Kunst.

Maskentragen als simple, altruistische Tat

Und was ist das auch für eine Vorstellung: Im Meeting hustet jemand und alle anderen setzen ihre Masken auf. Das ist der bildhafte Ausdruck des Nonsens-Spruchs »Wenn jeder an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht«. Na ja, es ist vielleicht allen geholfen, aber aus eher niederen Motiven und durch eine Handlung, die erzwungen wurde und irgendwie jämmerlich wirkt … 

Wie viel klüger und anständiger ist es dagegen, als gefährdende Person an die anderen zu denken: Man hat die schöne Chance, etwas fürs Umfeld zu tun, aufmerksam und rücksichtsvoll zu handeln, die Arbeitsfähigkeit aller sicherzustellen. Und das mit einer wirklich mühelosen Kleinigkeit. Kaum kommt das Maske-Aufsetzen von der richtigen Seite, wird es zu einer edlen und schönen Tat: Altruismus statt Egoismus. 

UNSERE KOLUMNISTIN

Veronika Weiss (38) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) in Hamburg arbeitete sie dort als Lektorin. Seit 2021 ist sie frei als Texterin und Lektorin tätig. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.