Neue Bücher

Religion wird kulturell fremd

16. Mai 2024
Stefan Hauck

Ob Glaubensfragen oder Kirchensteuer, innere Einkehr oder Dialog der Religionen: Hier kommen erhellende Novitäten.

Ausweg gesucht? Bücher zu Glaubensfragen bieten Orientierung. Das Piktogramm mit Mönch und Notausgang hat das Kloster Dalheim in Nordrhein-Westfalen entwickeln lassen. Das Kloster bietet außer religiöser Orientierung ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm mit Literatur und Musik, derzeit ist eine Sonderausstellung zu "Und vergib uns unsere Schuld? Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus" zu sehen, mit Katalog

Elternsterben

In erzählerischer Form thematisiert Nicola Bardola den assistierten Suizid am Beispiel einer Familie: Der krebskranke Vater, 75, entscheidet sich für den Freitod – und seine Frau Franca will gemeinsam mit ihm die Welt verlassen. Das in der Schweiz spielende Buch wirft ethische wie philosophische Fragen auf, die die Kinder zu ergründen suchen. Nach dem Tod lässt Bardola einen Sohn reflektieren und kontrastiert mit E-Mails der Enkelin. Eine nachdenkliche Auseinandersetzung, um den Tod und das Sterben zu begreifen.

Nicola Bardola: »Der größtmögliche Beweis für Liebe«, Nagel & Kimche, 448 S., 24  €

»Irgendwie weiter so« geht nicht mehr

Der Band ist eine schonungs­lose Bestandsaufnahme: Religion verliert an Relevanz, wird kulturell so fremd, dass nun mit Abwehrreflexen reagiert wird. Viel härter noch die Erkenntnis: Es fehlt das Bedürfnis, zu glauben. Jan Loffeld legt die Strukturen des Sich-die-Situation-Schön­redens offen – und hilft so dabei, das Christentum in der Transformation zu verstehen.

Jan Loffeld: »Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt«, Herder, 192 S., 22 €

Innere Einkehr

Einsiedeleien, Klöster und Kapellen in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz: Zwölf Pilgerrouten mit unterschiedlicher Gehzeitlänge führen zu Orten, an denen »das Glauben leichtfällt«. Zudem erfährt man einiges über spirituelle Hintergründe der Pilgerwege in den Alpen.

Sandra Freudenberg, Stefan Rosenboom: »Hoch und heilig«, Knesebeck, 208 S., 38 €

Vom Judentum lernen

Ein evangelischer und ein katholischer Theologe bringen den Leser:innen in 44 kleinen Kapiteln Lebensweisheiten aus den Diskussionen der Rabbiner nahe. Sie verstehen sich dabei als »Christen im jüdischen Lehrhaus«, sehen das Buch als christlich-jüdische Dialog­arbeit. Dabei berühren sie wichtige religiöse Fragen in Bezug auf die Tradition wie auf die Gegenwart.

Gernot Jonas, Paul Petzel: »Funken vom Sinai«, Patmos, 230 S., 24 €

Frauen im Koran

Ein weiterer Baustein zum interreligiösen Dialog: Die Leiterin des Instituts für Religionswissenschaft an der Universität Graz untersucht die biblischen Frauenfiguren und ihre Rollen im Koran. Sie werden mit der Sicht gegenwärtiger muslimischer Frauen in Beziehung gesetzt.

Ulrike Bechmann: »Biblische Frauenfiguren im Koran«, Kohlhammer, Juni, 280 S., 33 €

Kirche anders finanzieren

Wenn 2030 die Baby-Boomer in Rente gehen, brechen 30 Prozent der Kirchensteuer­einnahmen weg. Anna Ott bringt die aktuellen Fakten des Steuersystems auf den Tisch, prüft, wie tauglich das italienische Kultursteuermodell für Deutschland ist und welche Effekte es in anderen Ländern hat. Zudem untersucht die Kirchenrechtlerin die Koppelung von Kirchensteuer und ­Mitgliedschaft, die selbst Rom kritisch sieht – spannend.

Anna Ott: »Kultursteuer statt Kirchensteuer. Die deutsche Kirchenfinanzierung auf dem Prüfstand«, 
Herder, 456 S., 35 €

»Was lebt / geht aufs Ganze«

Ein Musiker überträgt die 81 Weisheitstexte des Tao te King ins Berndeutsche, ein Benediktiner übersetzt dann ins Hochdeutsche. Sprach­melodisch, poetisch und interreligiös kommen Lao-Tses Verse daher, die der Mönch kommentiert  und mit teils christlichen Bezügen weiterführt.

David Steindl-Rast, Balts Nill: »Der Fließweg«, Tyrolia, 176 S., 22 €

Zeit zum Staunen

Die unterschiedlichen psychologischen, medizinischen und theologischen Blickwinkel sind es, die dieses Buch so lesenswert machen. Das Positive wahrnehmen, die Präsenz Gottes in alltäglichen Dingen entdecken, das ehrführtige Staunen – all das hilft gegen die Überforderungen der Gegenwart. Besonders nutzwertig: ein Interventionsmodul zur Sensibilisierung für Empfindungen im Alltag.

Arndt Büssing, Thomas Dienberg (Hrsg.): »Innehalten. Vom Einfluss ehrfürchtigen Staunens auf das Wohlbefinden«, Pustet, 176 S., 24 €

Meditieren mit Bildern

Die Zen-Praxis wird oft als Geflecht von Wegweisern gesehen. Die uralten Tusche­bilder vom Ochsen und Hirten sind für Übende eine Kartografie des Zen-Wegs. In der Neufassung der um 1150 enstandenen Gedichte von Shī Yun arbeitet Johannes Soth die Entwicklungsphasen des Hirten respektive des Meditationsschülers heraus. Soth setzt sie in Beziehung zu Predigten Meister Eckarts und zeigt interreligiöse Gemeinsamkeiten. Zudem bietet das Buch Körper-, Atem- und Meditations­übungen.

Johannes Soth: »Zum vollen Leben erwachen«, Patmos, 128 S., 19 €