"Wow, so etwas habe ich noch nie gelesen", dachte sich Sieglinde Geisel, als sie vor einem Jahr auf einem belarussischen Exilliteratur-Festival das erste Mal in "Europas Hunde" von Alhierd Bacharevič geblättert hatte. Nun hielt die Kritikerin die Laudatio auf Bacharevičs Opus Magnum, in deren Verlauf auch der kongeniale, kürzlich mit dem Celan-Preis geehrte Übersetzer Thomas Weiler donnernden Szenenapplaus erhielt. Geisel warf in ihrer klug abwägenden Laudatio auch ein Schlaglicht auf unseren Betrieb: "Literatur ist immer gefährdet, umso mehr, wenn sie vom Rand Europas stammt. 'Europas Hunde' ist im kleinen, unerschrockenen Verlag Voland & Quist erschienen, es ist bereits das vierte Buch in deutscher Übersetzung, und keins der anderen wurde in einem führenden Medium rezensiert." Zwar habe Thomas Weiler für seine Übersetzung den Paul-Celan-Preis erhalten, doch der Roman selbst tauchte letztes Jahr auf keiner Long- oder Shortlist auf. "Dass die Jury nun 'Europas Hunde' mit diesem Preis ins Licht hebt, ist ein kleines Wunder. Und ein großes Glück."
Bacharevičs Dankrede, von standing ovations begleitet, war vielleicht die eindrücklichste, seit an dieser Stelle, es war 2006, Juri Andruchowytsch gesprochen hat; unvergessen dessen Bitte an die europäischen Funktionsträger: "keine Botschaften zu senden, die die Hoffnung töten." Wahre Literatur, so Bacharevičs im März 2025, spricht nicht über Lukaschenka oder Putin. Wahre Literatur spricht über Sprache ‒ und über Zeit: "Nichts fürchten Tyrannen so sehr wie die Zukunft. Zukunft ist absolute Freiheit. Zukunft bedeutet unweigerlich den Tod des Despoten. Wahre Literatur versucht die Realität in drei Dimensionen zugleich zu sehen. Sie spricht gleichzeitig mit denjenigen, die waren, mit denjenigen, die da sind, und mit denjenigen, die noch kommen. Mit Menschen der Vergangenheit, Menschen der Gegenwart, Menschen der Zukunft. Deshalb muss der Schriftsteller historisch denken können. Er muss die ersten Warnsignale erkennen, die Gefahr sehen, lange bevor die Katastrophe eintritt." "Europas Hunde" ist der Versuch, solche Signale zu erkennen und in den kommenden Tag hineinzuschauen.