Grußwort von Karin Schmidt-Friderichs

"Lassen Sie uns Welten bewegen! Zum Guten!"

26. März 2025
Redaktion Börsenblatt

Am Mittwochabend wurde im Gewandhaus die Eröffnung der Leipziger Buchmesse (27.–30. März) gefeiert. Man komme hier zusammen, um die positive Kraft des Wortes zu feiern, so Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs in ihrem Grußwort. Aber es sei "leider ebenso nötig, über die zerstörerische Macht der Sprache zu sprechen". Lesen Sie hier ihre Rede im Wortlaut.

Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs am Rednerpult im Gewandhaus

Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs im Gewandhaus

Damit Worte bewegen können, brauchen sie Freiheit. Nur, wo Worte in Freiheit gedacht und ausgesprochen werden können, entstehen Geschichten mit Relevanz.

Karin Schmidt-Friderichs

Die Begrüßungsrede von Karin Schmidt-Friderichs zur Leipziger Buchmesse 2025 im Wortlaut:   

Es gibt ein Haus in Berlin, das mir viel bedeutet. Text-Ikone Jean-Remy von Matt hat es nach der Wende gekauft und saniert und er nutzt die Fassade des Hauses, um eine Kürzestversion deutsch-deutscher Geschichte zu schreiben: "dieses Haus stand früher in einem anderen Land".

Wie jeder gute Texter verwirrt von Matt seine Leser*innen kurz und intensiviert so die Geschichte, verankert sie im Kopf. Wer vor dem Haus steht, für den wird die friedliche Revolution von 1989 lebendig. Man kann dort nicht stehen ohne Gänsehaut und ohne Bewunderung für diejenigen, die friedlich eine Diktatur zu Fall brachten.

Das ist die Kraft der Worte. Das ist die Kraft der Geschichten. Worte bewegen Menschen. Worte werden zu Werten. Worte bewegen Welten.

Um das zu feiern, sind wir heute hier zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse im zweihundertsten Jahr nach der Gründung des Börsenvereins. Das ist die DNA unserer Branche. Das macht uns aus. Das macht uns wichtig für die Gesellschaft. Gesellschaften entstehen durch verbindende Geschichten, ein Narrativ des "wir".

Damit Worte bewegen können, brauchen sie Freiheit. Nur, wo Worte in Freiheit gedacht und ausgesprochen werden können, entstehen Geschichten mit Relevanz. Für die Freiheit des Wortes haben Menschen viel riskiert, manche ihre Leben gegeben – und tun das auch heute.

"Das Fehlen von Freiheit ist ein Schmerz, der einen auf Dauer verrückt macht. Er reduziert den Menschen auf seinen eigenen Schatten und macht seine Träume zu Alpträumen."

So sagt es Boualem Sansal, Friedenspreisträger von 2011, der diesen Alptraum seit 131 Tagen im Gefängnis in Algerien erlebt. Inhaftiert für eine Meinungsäußerung zum historischen Grenzverlauf des Landes.

Er gehört zu den wenigen Intellektuellen in Algerien, die noch den Mut aufbringen, offen Kritik zu üben, viele andere haben aufgegeben. Boualem Sansal ist 80 Jahre alt, an Krebs erkrankt – sein Leben ist ernsthaft in Gefahr der Prozess in Algerien hat begonnen, seinem französischen Anwalt wird die Einreise verweigert, Morgen soll das Urteil gesprochen werden, die Staatsanwaltschaft fordert 10 Jahre Haft.

Es bleibt kaum noch Zeit! Ich bitte Sie als Zivilgesellschaft, als Buchbranche und als Politiker*innen: Setzen Sie sich für seine Freilassung ein!

Wir haben in den letzten 12 bis 14 Monaten erlebt, dass Begriffe Einzug in unsere Debatten gehalten haben, denen wir noch vor einigen Jahren mit Abscheu eine Absage erteilt hätten.

Karin Schmidt-Friderichs

Wenn wir hier nun zusammen sind, um die positive Kraft des Wortes zu feiern, dann ist es leider ebenso nötig, über die zerstörerische Macht der Sprache zu sprechen. Über Worte, die verletzen, herabwürdigen, ausgrenzen. Die rassistisch, antisemitisch, islamophob, homophob, ableistisch oder sexistisch wirken und dieses Gift unter dem Deckmantel harmloser Konsonanten und Vokale freisetzen.

Wenn wir wollen, dass unser Wortschatz ein Schatz bleibt, dann sollten wir achtsam sein mit den Worten. Aufmerksam mit dem, was wir – von der Meinungsfreiheit gedeckt – sagen. Und dem, was wir uns anhören.

"Wenn die Sprache nicht stimmt, dann ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. So kommen keine guten Werke zustande", wusste schon Konfuzius.

Wir haben in den letzten 12 bis 14 Monaten erlebt, dass Begriffe Einzug in unsere Debatten gehalten haben, denen wir noch vor einigen Jahren mit Abscheu eine Absage erteilt hätten. Wir erleben, wie populistische Parolen, die oft auf Ausgrenzung und Herabwürdigung anderer bauen salonfähig werden. Wir erleben, wie Intoleranz und autoritäre Willkür Wirkung zeigen, verunsichern, das Gegenüber verstummen lassen…

Lüge, Hohn und Spott halten Einzug in Räume, in denen die Aura des Respekts vor der Macht des Volkes lebte – und sich nun erschrocken verzieht. Wir erleben ein Comeback des "starken Mannes" und ein Rollback der Gleichberechtigung. Einen Verlust der Werte, für die wir als Branche eingetreten sind, gestanden haben. Stehen!

Wir erleben, wie Minderheiten Angst haben in diesem Land. Wie Menschen, die hier geboren sind, an ihrer Zugehörigkeit in diesem Land zweifeln. Wir erleben, wie Worte gebrochen werden – und wie dieser Wortbruch verharmlost wird. Das kann uns als Menschen des Wortes nicht egal sein. Das betrifft uns in unserem innersten Kern.

Lassen Sie uns aufmerksam sein mit Wortverdrehungen und Wortumbewertungen.

Karin Schmidt-Friderichs

Es betrifft uns, wenn der ukrainische Präsident Selenskyi plötzlich als "Diktator" dargestellt wird. Es betrifft uns, wenn manipulative, Vorurteile schürende Begrifflichkeiten neuerdings Einzug in Gesetzestexte halten. Es betrifft unsere Branche im Herzen, wenn der bildungsrelevante und für die Gesellschaft unverzichtbare Berufsstand der Kinderbuchautor*innen als Mittel zur Herabwürdigung des politischen Gegners herangezogen wird.

Das ist auch mit Wahlkampf nicht zu entschuldigen! Wer ernsthaft meint, die Gabe, junge Menschen in den Bann der Geschichten ziehen zu können, sei ein Makel – der tut mir leid!

Lassen Sie uns aufmerksam sein mit Wortverdrehungen und Wortumbewertungen. Nicht nur folgt die Sprache dem Denken, es ist auch andersherum. Und es geht schneller als wir denken. Lassen Sie uns das Fest der Worte in diesen Tagen deshalb auch dazu nutzen, unseren Worten und Werten Gewicht zu geben.

Deshalb schließe ich mit dem Haus in Berlin: Kleiner, weniger auffällig unterm Dach hat Jean-Remy von Matt eine Zeile aufgebracht, vielleicht genau für diese Zeit: "Menschlicher Wille kann alles versetzen".

Lassen Sie uns Welten bewegen! Zum Guten!