Treffen der IG Belletristik und Sachbuch

Demokratie und Branchenprobleme

31. Januar 2024
Sabine van Endert

Recruiting auf TikTok, mit KI geklonte Musikgrößen, englischsprachige Literatur als Totengräber der Verlagsbranche in den Niederlanden – das waren die Themen der IG Belletristik und Sachbuch am 30. Januar in München. Und die Keynote-Sprecherin Natalie Amiri sorgte für einen Gänsehautmoment.

Natalie Amiri

Entspannte Anreise für alle – gerade noch rechtzeitig zum alljährlichen großen Treffen der Belletristik- und Sachbuchverlage hatte die Bahn ihren Streik beendet. München empfing die 140 Büchermenschen mit strahlendem Sonnenschein. Die Stimmung war heiter, die Themen waren es weniger.

 

Natalie Amiri: Für die Freiheit

Mit einer beeindruckenden Rede für Demokratie, Rechtssicherheit und Freiheit eröffnete die deutsch-iranische Journalistin und Buchautorin Natalie Amiri die Tagung. Sie forderte ihr Publikum auf, die Augen zu schließen, und sich ganz dem Song „Baraye“ des iranischen Sängers Shervin Hajipour hinzugeben, dessen Text sie parallel zum Original übersetzte. „Baraye“ (dt. „dafür“ oder „wegen“) nennt die Wünsche, die die Protestierenden im Iran auf die Straßen treibt: für das Tanzen auf der Straße, für das Mädchen, das sich wünscht, ein Junge zu sein, für diese verschmutze Luft, für ein lachendes Gesicht, für Freiheit, Freiheit, Freiheit. Ein besonderer Moment für die IG BellSa.

Sie recherchiere in Unrechtsstaaten, sagte Natalie Amiri, habe aber „immer öfter das Gefühl, nicht mehr in ferne Länder reisen zu müssen, um über das zu berichten, was nicht mehr in Ordnung ist“. Verantwortung zu übernehmen sei anstrengend und brauche Mut, es reiche nicht, für ein paar Stunden bei einer Demonstration für die Demokratie dabei zu sein. „Mut ist der Schlüssel zu guter Politik, Zivilcourage kann man lernen“, so Amiri. In einer Demokratie sei das einfach: „Wir können doch alle mutig sein, wir werden nicht vom Geheimdienst abgeholt.“

Recruiting: Führungskräfte von morgen finden

Pamela Taylor, die ab 1. Januar 2024 als Director People Development & Transformation Team bei der Penguin Random House Verlagsgruppe arbeitet, hielt den Einführungsvortrag zum Recruiting von Nachwuchsfachkräften – und das, obwohl wenige Stunden zuvor bekannt wurde, dass Penguin Random House sich noch in diesem Jahr von 60 Mitarbeiter:innen trennen wird, weitere sollen folgen.  .

Taylor ist überzeugt: die Branche ist cool und hat viel zu bieten. Es sei schließlich nicht selbstverständlich, dass bei einem Branchenkongress über Demokratie gesprochen werde. Sie nannte die „Elefanten“, die angesprochen werden müssten:

  • Potenzial beim Thema Diversität, z.B. brauche es nicht in allen Verlagsbereichen Muttersprachler:innen.
  • die Bezahlung ist in anderen Branchen besser; für das Leben in Großstädten ist sie nicht ausreichend
  • teilweise wenig einladendes Recruiting; junge Menschen wissen nicht, wie herzlich willkommen sie in der Buchbranche sind

Und was ist dem besonders Nachwuchs wichtig? Darüber wurde live bei der IG BellSa abgestimmt. Die meisten Stimmen entfielen auf „Work Life Balance“, gefolgt von „flexible Arbeitszeiten“, „soziale und ethische Haltung“, „Unternehmenskultur“ und „Gehalt“.

„Der Aufopferungsgedanke ist nicht mehr so da“, bestätigte Felicia Hofmann, BookTok-Expertin bei dtv. Sie suche für ihr Team Leute mit Videokompetenz, die sich nicht scheuen, vor der Kamera zu stehen – und das auch direkt auf TikTok, denn die Nachwuchstalente würden sich schließlich dort bewegen. Sie fühle sich manchmal wie eine Übersetzerin, wenn sie Rückfragen auf Insta, Threads oder X zu den üblichen Stellenanzeigen beantworte.  

Der Vorschlag von Pamela Taylor, die Jobangebote von Nachwuchskräften texten zu lassen, könnte da helfen.

Eva Cossée: Ärger mit Early Export Ausgaben

Die niederländische Verlegerin Eva Cossée blickte in ihrem Vortrag auf den niederländischen Buchmarkt, der zunehmend von englischen Lizenzen geprägt ist - und warf dabei die Frage auf, wie wichtig „Territory Licence“ für Verlage werden könnte. Die Verlagsbranche in den Niederlanden sei in den vergangenen Jahren von Umstrukturierungen und Entlassungen hart getroffen worden – und viele würden das auf den Zustrom englischsprachiger Ausgaben zurückführen. Insgesamt sei das Volumen englischsprachiger Literatur in den Niederlanden auf 50 Prozent gewachsen, im Bereich New Adult betrage der Anteil sogar 60 Prozent. Von Matt Haigs „Mitternachtsbibliothek“ zum Beispiel seien 30.000 Exemplare von der niederländischen und 70.000 von der englischsprachigen Ausgabe verkauft worden. Lange habe man gelassen reagiert, nach dem Motto: Freuen wir uns doch, dass die jungen Leute wieder lesen. Das ändere sich gerade.

In München war man sich einig: Das Thema gewinnt auch in Deutschland an Brisanz, „der niederländische Markt ist dem deutschen nur ein paar Schritte voraus“, wie Hanser-Verleger Jo Lendle formulierte. Der Umgang mit den ungeliebten Early Export Ausgaben dürfte nach dem Vortrag von Eva Cossée auf der Agenda Verleger:innen (noch) weiter nach oben rücken.

Florian Drücke: KI als Werkzeug oder Aneignungsmaschine?

Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie, vertritt 200 Musikfirmen, das sind etwa 80 Prozent des Marktes. Seine Mitglieder sind die klassischen Plattenverlage – und die haben in den vergangenen Jahrzehnten dank Digitalisierung einiges erlebt.

Die gute Nachricht: Der Markt wächst dank des legalen Musikstreamings wieder, die illegale Verbreitung von Musik wurde gestoppt und die Umsatzmarke von über zwei Milliarden Euro konnte 2022 wieder erreicht werden.  

Drücke ist überzeugt: Streaming wird nicht das Ende der Geschichte sein. Die Erfolgsgeschichte von TikTok habe sich innerhalb von nur fünf Jahren entwickelt.

Die Musikindustrie entscheidend verändern könnte das KI kreierte Fake-Duett „Heart on My Sleeve“ zwischen den Musikgrößen Drake und The Weeknd, das im April vergangenen Jahres viral ging. Und „Fake-Drake“ ist ein Fall von vielen. „Das Klonen von Stimmen oder Fake-Porn bei Taylor Swift - wie kann sichergestellt werden, dass jemand tatsächlich etwas getan, gesagt oder gesungen hat?“ Die Beantwortung dieser Frage geht nach Ansicht von Musikverbandschef Drücke weit über das Urheberrecht hinaus und betreffe auch Persönlichkeits- und Markenrechte. „Ist KI ein Werkzeug? Eine Aneignungsmaschine? Das muss geklärt werden, auch hinsichtlich von Haftung und Verantwortung“, fordert Drücke. Der Erfolg seiner Branche beruhe schließlich darauf, Rechte zu haben und diese auch durchsetzen zu können.

Ebenso wichtig sei aber die Vernetzung mit der KI-Branche, das Ausprobieren und die Entwicklung von Konzepten, zum Beispiel um qualitativ hochwertige, menschengemachte Musik aus der rasant wachsenden Fülle des Angebots herauszufiltern.

Über den Einfluss Künstlicher Intelligenz in den Schreibprozess, darüber forscht die Autorin Jenifer Becker an der Universität Hildesheim. Auch das KI gestützte Ausloten des Bestsellerpotenzials von Plots ist dort Thema – spannend, für die Details reichte die Zeit dieser IG BellSa dann aber nicht mehr.