Jahrestagung der IG Belletristik und Sachbuch

Karin Schmidt-Friderichs: "Um das Miteinander mache ich mir Sorgen"

30. Januar 2024
Karin Schmidt-Friderichs

Das wirtschaftliche Auskommen in der Branche bereitet Karin Schmidt-Friderichs ernste Sorgen. Und gegen Polarisierung sei auch die Buchbranche nicht immun, so die Börsenvereinsvorsteherin in ihrem Grußwort zur Jahrestagung der IG BellSa, das wir hier dokumentieren.

Karin Schmidt-Friderichs

In mehr als sechzig Ländern der Erde wird in diesem Jahr gewählt. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung ist zum Gang an die Urnen aufgerufen.Leider geht es bei diesen Wahlen in sehr vielen Fällen nicht frei und demokratisch zu. Nach Angaben von Freedom House, einer Washingtoner Denkfabrik, die den Zustand der Demokratien überwacht, hat die Freiheit im Jahr 2023 weltweit zum 17. Mal in Folge abgenommen. Achtzig Prozent der Weltbevölkerung lebt in Ländern, die der jährliche „Freedom in the World Report“ als „nicht frei“ oder „nur teilweise frei“ einstuft.

Noch deutlicher sagt es Maria Ressa, Journalistin und Autorin, lange Jahre leitende Investigativ-Reporterin für CNN International und 2021 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Sie sagte im September 2023: „Wir wählen illiberale Führer auf demokratische Weise. Bis Ende 2024 werden wir wissen, ob die Demokratie lebt oder stirbt“. Und die Länder, von denen die Demokratiebewegung ausging? In Europa wird Anfang Juni gewählt

„Die stetige Eroberung des politischen Mainstreams durch die extreme Rechte, die durch die Angst der Öffentlichkeit vor Migration und stagnierender Wirtschaft angeheizt wird, könnte bei den EU-Parlamentswahlen im Juni
ihren krönenden Abschluss finden“, schreibt Ishaan Tharoor, außenpolitischer Kolumnist bei der Washington Post.

Dazu treiben die Kriege in der Ukraine und in Nahost uns um, Antisemitismus nimmt auch bei uns in erschreckendem Maße wieder zu. Angst und Unsicherheit verengen Meinungskorridore, wo Diskurs wichtig wäre.

Fake News vernebeln die Sicht, rechte Trolle schüren Unsicherheit. Journalist:innen orientieren sich vielerorts weniger an Informations-Ethik als an Klicks. Gesellschaften, Gemeinschaften und Bündnisse driften auseinander.

Demokratie, die mühsam errungene Staatsform, für die Menschen ihre Leben riskierten, ist uns so selbstverständlich geworden, dass wir den Wert der Freiheit schlimmstenfalls erst dann wieder schätzen, wenn wir sie verlieren …

Demokratie, die mühsam errungene Staatsform, für die Menschen ihre Leben riskierten, ist uns so selbstverständlich geworden, dass wir den Wert der Freiheit schlimmstenfalls erst dann wieder schätzen, wenn wir ihn verlieren

Karin Schmidt-Friderichs

Und hier in Deutschland?

„Viele Menschen haben große Zukunftsängste und existenzielle Probleme – bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein“, erklärt Michaela Engelmeier, die Vorsitzende des Vorstands des Sozialverbands Deutschland
und fügt hinzu: „Konflikte innerhalb der Bevölkerung nehmen zu und der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt. …Rechtspopulistische, fremden- und minderheitenfeindliche Positionen finden zunehmend Zustimmung in der Gesellschaft.“

Politikverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit greifen um sich. Wobei die Veröffentlichung des Recherchenetzwerks CORRECTIV zum Brandenburger Geheimtreffen der radikalen Rechten vielleicht wirklich den Wind of Change gebracht und die Mitte mobilisiert hat. Hoffen wir es! Lassen Sie uns für unsere Demokratie ein- und aufstehen.
Nicht nur bei Demonstrationen und Kundgebungen, sondern auch im Gespräch mit Autor:innen und der Öffentlichkeit, mit der Nachbarin, dem Lehrer, der Kollegin, dem Friseur.

Wir alle haben die Bilder auf den Straßen verfolgt, standen mit im Gedränge, waren dabei, als die Menschen in solchen Mengen strömten, dass Demonstrationen wegen Überfüllung abgebrochen werden mussten.

Das ist wichtig und richtig. Jetzt müssen wir diesen Spirit lebendig halten. Denn wer nicht wählt, überlässt es anderen, zu bestimmen. Und wenn die meinen, aus „Protest“ eine Partei wählen zu sollen, die diese Demokratie und ihre Werte
abschaffen will, dann dürfen wir uns nicht auf unser Kerngeschäft beschränken, dann dürfen wir nicht schweigen!

Als „langsame Medien“ begleiten wir die Gesellschaft mit sauber gegengecheckten Fakten – wir nennen das Lektorat und sollten mehr darüber sprechen. Als Orte der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt sind Buchhandlungen weit mehr als nur Verkaufsstellen. Bücher dienen nicht nur dem Eintauchen in andere Welten, sie fördern Empathie, sie vermitteln, dass die eigene Sicht auf die Welt eben immer nur eine von vielen Perspektiven ist. Das fördert Toleranz und Dialektik.

Aber: Auch unsere Branche ist nicht immun gegen aufgeheizte Stimmung und Polarisierung. In Lektoraten, Marketingabteilungen und Jurys sitzt immer auch das Risiko eines möglichen Shitstorms mit am Tisch. Dasselbe gilt für Museen, Kulturförderung und Politik Deshalb sollten wir den Diskurs suchen, die Debatte. Miteinander reden, miteinander streiten, miteinander verhandeln.

Viele unserer Unternehmen tragen in ihrer DNA den Mut zu Widerstand und Widerspruch, die Leidenschaft für den gesellschaftlichen und politischen Diskurs, den Mut zu Meinung.

An dieser Stelle möchte ich an Friedenspreisträger Salman Rushdie erinnern, von dem wir Mut lernen können. Von Rushdie lernen heißt auch: Anerkennen, dass Meinungsfreiheit nicht einfach ist. Dass es nicht einfach ist, Veränderungen herbei zu führen.

Auch unsere Branche ist nicht immun gegen aufgeheizte Stimmung und Polarisierung. In Lektoraten, Marketingabteilungen und Jurys sitzt immer auch das Risiko eines möglichen Shitstorms mit am Tisch.

Karin Schmidt-Friderichs

Das spüren wir auch im Börsenverein

Die Preisbindung ist politisch im Moment nicht bedroht, es sei denn, wir selbst gefährden sie – und dabei gäbe es keine Sieger, nur Verlierer. In der Frage der Rabattspreizung und des Paragraphen 6.3. haben zwei Umfragen erste positive Effekte erzielt. Es liegt in unserer Macht, die Schere weiter zu schließen!

Umso bedauerlicher ist es, dass die strukturelle Verlagsförderung, für die wir mit Vehemenz eingetreten sind den Haushaltssparzwängen zum Opfer gefallen ist. Das ist ein herber Schlag. Die Fortführung des Kulturpasses, wenngleich mit halber Kraft begrüßen wir. Für die weitere Zukunft des Kulturpasses ist es aber zwingend erforderlich, Mittel in ausreichender Höhe zur Verfügung zu stellen und zu den ursprünglichen 200.- Euro pro Person zurückzukehren.

Das wirtschaftliche Auskommen in der Branche bereitet mir ernste Sorgen. Die Ladenpreise sind gestiegen, die Backlist aber wirkt mit Ladenpreisen aus vergangenen Zeiten je nach Umsatzanteil mehr oder weniger renditedämpfend.

Nur den Preissteigerungen verdanken wir ein gutes 2023: der Gesamtumsatz stieg um 2,9 % gegenüber Vorjahr und selbst das Vor-Pandemiejahr 2019 konnten wir um 1,6 % übertreffen, der Absatz aber lag knapp 2 % unter Vorjahr und satte 8,4 % unter 2019.

Zu Recht weisen Handel und Zwischenbuchhandel darauf hin, dass wir Verlage mit der Festlegung der Ladenpreise
den wesentlichen Hebel der Wertschöpfung in der Hand haben. Gleichzeitig gilt: Nur ein von den Leser:innen auch gezahlter Preis setzt das Karussell in Bewegung.

Noch im ersten Quartal dieses Jahres laden wir Vertreter:innen der drei Sparten zu einem Workshop „Wirtschaftlichkeit in der Branche“ ein. Gemeinsam wollen wir erörtern, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann und darf, um Wege aus der Kostenkrise zu finden.

Das können wir tatsächlich nur gemeinsam.

So wie die gesamte Arbeit des Börsenvereins nur so erfolgreich sein kann, wie wir VEREINT agieren, also miteinander.

Um dieses Miteinander mache ich mir Sorgen. Es kostet Kraft, dieses Miteinander, auch die Kraft, Kompromisse zu verhandeln.

Das Auseinanderdriften der Sparten und mindestens ebenso das Auseinanderdriften der Unternehmensrealitäten in der Branche bedrohen das Miteinander. Partikularinteressen zu vertreten fühlt sich vielleicht erfolgversprechender an, als für das große Ganze einzustehen, Bündnisse bröckeln …

Und so wie in der Welt spielen auch in der Branche Unsicherheit und Angst eine wesentliche Rolle, kleine Verlage stehen an der Grenze ihrer Handlungsfähigkeit, kleine Buchhandlungen bangen um ihre Konkurrenzfähigkeit.

Keine einfache Zeit für Haupt- und Ehrenamt.

 

Die Preisbindung ist politisch im Moment nicht bedroht, es sei denn, wir selbst gefährden sie – und dabei gäbe es keine Sieger, nur Verlierer.

Karin Schmidt-Friderichs

Und doch:

Gäbe es den Börsenverein nicht, müssten wir ihn heute gründen. So wie es vor 200 Jahren vorausschauende Buchmenschen planten und 1825 Realität werden ließen. Weil sie damals schon wussten, dass sich die großen Herausforderungen nur im Miteinander lösen lassen. Das ist ein Jahr vor dem 200-jährigen Jubiläum nicht anders! Und deshalb freuen wir uns drauf, dieses Jubiläum für Sie vorzubereiten.

Nun dürfen wir vor lauter Innensicht diejenigen nicht vergessen, für die wir tun, was wir tun: die Leser:innen. Und auch die treiben Sorgen um. Angst angesichts der Kriege in der Ukraine und in Nahost, Sorge um Inflation und Preissteigerungen, Energiewende und Zukunftsangst angesichts leerer Staatskassen und fortschreitender Klimakrise.

Angeheizt werden diese begründeten Ängste wieder nicht nur durch Social Media, sondern allzu oft auch durch Medien, die in Klicks denken und deshalb Stimmungen nutzen und sie ins Unermessliche steigern.

So führt eine Pressemeldung, dass Zeitfracht die Übernachtlieferung an bestimmte Mindestumsätze koppeln wird
zu der Falschmeldung, die Übernachtbelieferung sei eine Antwort des stationären Handels auf Amazon und zur hoffnungslosen Übertreibung, dies sei das komplette Ende der Lieferung bis zum nächsten Morgen.

In anderen Fällen führen – durchaus berechtigte Einzelkritiken - zu heftigen Shitstorms, die schnell auf breiter Front ganze Verlage angreifen. Ein schwieriges Pflaster für Verständigung und Dialog.

Was wünsche ich uns nun am Anfang dieses Jahres und vor diesem Hintergrund?

  • Mehr Factfullness statt aufgeheizter Diskussionen.
  • die bewusste Besinnung auf unsere Stärken und das Selbstbewusstsein, sie zu leben.
  • den Mut, klar Position zu beziehen und sich Veränderungen proaktiv zu stellen.
  • das Bekenntnis zu unseren Werten, allem voran zur freiheitlich demokratischen Grundordnung.
  • die Muße, das eigene Tun zu reflektieren und das heißt auch, es zu hinterfragen.
  • Die Besinnung auf den Wert des Miteinanders, ja sogar das Verständnis der Abhängigkeit voneinander:
    ohne Verlage keine Bücher
    ohne Logistik keine Buchlieferungen,
    ohne Handel kein Absatz,
    ohne Absatz kein Umsatz,
    ohne Umsatz keine Refinanzierung,
    keine Novitäten.
    Ein Teufelskreis, den wir nur gemeinsam verhindern …

 

Gäbe es den Börsenverein nicht, müssten wir ihn heute gründen.

Karin Schmidt-Friderichs

Und noch etwas wünsche ich uns:

Dass wir uns immer wieder mal die Lebensrealität in anderen Berufen anschauen. Uns ernsthaft fragen, ob da immer alles eitel Sonnenschein ist. Ob das überhaupt der Anspruch sein kann. Ob für alle anderen Unsicherheit ein Fremdwort ist, oder ob dieses Gefühl einfach die Herausforderung der Zeit ist.

Ich wünsche mir, dass wir uns vor Augen halten, dass unsere Berufe zu den schönsten, interessantesten, vielfältigsten und kreativsten auf der Welt zählen und eine enorme Relevanz haben. Sehr viele Menschen träumen davon, ein Buch zu schreiben, zu veröffentlichen, zu verkaufen. Für uns ist dieser Traum gelebte Realität.

Wie bei der Demokratie neigen wir Menschen dazu, das, was wir haben, als selbstverständlich zu sehen und Gefahr zu laufen, es zu wenig wertzuschätzen.

Lassen Sie uns unsere Stärken leben!

Lassen Sie uns die Punkte, die uns Schmerzen bereiten, miteinander offen benennen und gemeinsam Wege finden, sie zu beheben!

Lassen Sie uns das Unsere dazu beitragen, die Welt zu einem besseren,einem demokratischeren und freieren Ort zu machen!

Wir können viel erreichen. Und gemeinsam viel mehr!

Danke.

Ich wünsche mir, dass wir uns vor Augen halten, dass unsere Berufe zu den schönsten, interessantesten, vielfältigsten und kreativsten auf der Welt zählen und eine enorme Relevanz haben.

Karin Schmidt-Friderichs