Erst bewerben, dann absagen
HR-Verantwortliche in Deutschland rechnen nicht damit, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in diesem Jahr entspannen wird. Ein Problem: Interessenten, die im laufenden Auswahlprozess abspringen.
HR-Verantwortliche in Deutschland rechnen nicht damit, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in diesem Jahr entspannen wird. Ein Problem: Interessenten, die im laufenden Auswahlprozess abspringen.
Deutschlands Unternehmen macht der gravierende Fachkräftemangel wohl auch weiterhin zu schaffen: Zwei von drei Personalentscheidern (67 Prozent) gehen davon aus, dass sich die Situation im Laufe des Jahres noch verschärfen wird – in Unternehmen mit über 250 Beschäftigten glauben das sogar drei von vier Personalern (78 Prozent). Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Forsa im Auftrag von Xing; befragt wurden 500 Personalleiter:innen in Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden.
Der Fachkräftemangel wird von vielen Unternehmen mittlerweile als erhebliches Geschäftsrisiko angesehen. »Die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt haben sich verschoben. Unternehmen haben nicht mehr die Trümpfe in der Hand. Heute bewerben sich Unternehmen bei Talenten, nicht Talente um Jobs«, sagt Frank Hassler, bei Xing verantwortlich für die Geschäftsfelder Recruiting und Employer Branding. Unternehmen hätten wenig Spielraum für Fehler und müssten sehr genau prüfen, wie sie ihr Recruiting zeitgemäß und strategisch aufstellen, so Hassler weiter. Auch im Einzelhandel sorgt fehlendes Personal für Probleme. Bundesweit fehlten im vergangenen Sommer durchschnittlich knapp 37 000 passend qualifizierte Fachkräfte, wie eine Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ergab.
Nahezu alle Personalleitungen (90 Prozent) haben im vergangenen Jahr die Erfahrung gemacht, dass Kandidat:innen während des laufenden Bewerbungsprozesses abgesagt haben. Jeder dritte HR-Verantwortliche (37 Prozent) gab in der Forsa-Umfrage an, dass Bewerber:innen gelegentlich abgesagt hätten, 24 Prozent der Befragten sagten, dass dies sogar häufig bis sehr häufig vorgekommen sei. Begründet wurden die Absagen mit besseren Angeboten der Konkurrenz, fehlender Flexibilität der Arbeitgeber (Arbeitsmodelle, Homeoffice) sowie einem als zu aufwendig empfundenen Bewerbungsprozess.
Was hält die Mitarbeitenden dauerhaft im Unternehmen? Personalverantwortliche sehen neben Arbeitsatmosphäre und Unternehmenskultur Job-Zufriedenheit (80 Prozent) und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (71 Prozent) als ausschlaggebend an; die Höhe des Gehalts wird nur von 54 Prozent als Hauptgrund für Unternehmenstreue gesehen.
In den meisten Unternehmen gewinnen angesichts der Situation am Arbeitsmarkt die Maßnahmen zur Bindung bestehender Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bedeutung: Zwei von drei Personalverantwortlichen in Deutschland sind der Meinung, dass Mitarbeiterbindungsmaßnahmen in diesem Jahr wichtiger werden (65 Prozent). Außerdem wollen 56 Prozent der Befragten den Bewerbungsprozess vereinfachen und beschleunigen – beispielweise durch Bewerbungen via WhatsApp oder andere Social-Media-Kanäle. In Unternehmen ab 250 Beschäftigten haben fast drei Viertel der Befragten Interesse an solchen Lösungen (72 Prozent).