Warum Andreas Pflüger sich auf Frauenfiguren konzentriert
Er ist ein zäher Rechercheur, hat ein Gespür für Zufälle und trifft mit seinen Büchern den Nerv der Zeit: der Thriller-Autor Andreas Pflüger.
Er ist ein zäher Rechercheur, hat ein Gespür für Zufälle und trifft mit seinen Büchern den Nerv der Zeit: der Thriller-Autor Andreas Pflüger.
Mich interessiert, welche Figur im Umfeld des Romans die größte Reibung erfahren kann.
Andreas Pflüger
»Der Roman war meine Zeitmaschine«, sagt Andreas Pflüger über seinen neuen, für den Herbst angekündigten Thriller. »Wie Sterben geht« setzt im Winter 1980 in Westberlin ein, die Stadt, in die Pflüger 1979 gezogen war. Theologie hat er studiert, das volle Programm, mit Hebraicum, Graecum und Großem Latinum. Aber es ist nicht die sichere Pfarrstelle, die ihn reizt. »Ich bin Agnostiker«, lacht er, »immer gewesen.« Als er das Gefühl hat, dass es jetzt mit der Bildung reiche, bricht er ab – und fährt Taxi. »Sieben Jahre lang. Immer nachts. Tagsüber habe ich geschrieben.« Der Sound der Stadt, RIAS Berlin und SFBeat. Bowie, der Ende der 70er mit einem gewissen Iggy Pop in Schöneberg wohnte und in den Hansa Studios »Heroes« aufnahm, ist schon wieder weg. Pflüger erntet Absagen über Absagen – »Ich hätte die Wände damit tapezieren können!« – und gesteht sich sein Scheitern ein.
1986 macht er seine letzte Habe zu Geld und reist ein Jahr kreuz und quer durch die USA. Irgendwann steht er in der Hippie-Hauptstadt San Francisco, schaut auf den Pazifik und erinnert sich an diesen Satz von Mark Twain: »Schreib, was du weißt!« Das Hörspiel »In der Nacht sind alle Taxen grau«, das Pflüger noch aus den Staaten an den SFB schickt, ist der Gamechanger. Endlich! Die Karriere nimmt Fahrt auf.
Während wir via Skype über den Sound der »Frontstadt« Westberlin fachsimpeln – der Schreiber dieser Zeilen hörte ihn verbotenerweise als Grundwehrdienst leistender Soldat von der anderen Mauerseite ab –, sitzt Andreas Pflüger bei 45 Grad in der israelischen Negev-Wüste. Natürlich kein vergnügungssteuerpflichtiger Urlaub, sondern Recherche für ein neues Buch.
Obwohl Pflüger eigentlich akribisch plant, verdankt sich »Wie Sterben geht« einer Verkettung von Zufällen. Aufgrund einer Erkrankung platzte eine Recherchereise per Postflugzeug auf eine Wetterstation in Spitzbergen, »das Zeitfenster war perdu«. Etwa vier Wochen vor dem Einfall von Putins Truppen in die Ukraine entdeckte der Autor in einem Berliner Antiquariat ein 40 Jahre altes Buch, »KGB heute« (Scherz), aus der Feder des US-Journalisten John Barron. Ein Schatz. Nach 50 Seiten wusste Pflüger: »Ja, da will ich hin!« Die 80er Jahre waren nicht nur für ihn ein prägendes Jahrzehnt, in das wieder eintauchen zu können sich als Glücksfall erwies. Es war der Höhepunkt des Kalten Kriegs – die Sowjetunion marschierte in Afghanistan ein, die Olympischen Spiele in Moskau wurden vom Westen boykottiert, in Polen herrschte Kriegsrecht und der Nato-Doppelbeschluss reagierte auf die Aufstellung sowjetischer Mittelstreckenraketen in Europa. »An die Parallelen zu heute habe ich damals noch nicht gedacht«, sagt Pflüger kopfschüttelnd. Sein Buch ist, quasi über Nacht, zu einem der aktuellsten Thriller geworden, die man im kommenden Herbst kaufen kann.
Die Begegnung – und spätere Freundschaft – mit dem Ex-BKA-Präsidenten Hans-Ludwig Zachert war für den »Recherche-Junkie« Pflüger wie ein Sechser im Lotto. Die Erstbegegnung der beiden Männer bei einem Berliner Italiener ist selbst filmreif: Hier der eben aus dem Amt geschiedene Kopf der Spionageabwehr mit Panzerlimousine und Sherpas, dort Pflüger, mit 1,92 Meter lichter Höhe, Sonnenbrille, Harley und Lederkluft. »Einer wie ich kam in seinem Kosmos nicht vor, die Verschiedenheit war der Kitt unserer Beziehung.« Hans Zachert hat Andreas Pflüger Türen geöffnet, durch die er heute noch gehen kann: Vor drei Jahren wurde er als erster Autor in den BND-Neubau in der Berliner Chausseestraße eingeladen, um seine Recherchen vorzutragen. Und auch in der alten Zentrale des Dienstes durfte er sich umschauen, von der es im Roman heißt: »Pullach war so tot wie ein überfahrenes Eichhörnchen.« »Es war spooky, im Büro meiner Heldin Nina Winter zu stehen«, sagt Pflüger. Er sah die Jod-Tabletten aus den 60ern und die bizarren Ein-Mann-Bunker, in denen man, aufrecht stehend, aufs Ende warten konnte. Und natürlich das alte Präsidentenbüro im »Doktorhaus«, ehemals Schlafzimmer Martin Bormanns. Als Nina im Roman hier eintritt, kommentiert sie trocken: »Ich hatte es mir brauner vorgestellt.«
Wieso er immer wieder Frauen zu Hauptfiguren seiner Romane macht, wird Andreas Pflüger witzigerweise nur von Männern gefragt. Der Autor lacht schallend hinterm MacBook, hat aber auch eine seriöse Erklärung parat: »Mich interessiert, welche Figur im Umfeld des Romans die größte Reibung erfahren kann.«
Mit Nina geht es Pflüger wie mit all seinen Figuren: »Am Anfang des Schreibens weiß ich noch relativ wenig über sie. Irgendwann fangen sie an zu erzählen, sodass ich mich beim Schreiben oft nur als Chronist fühle.« Dass Nina Marathon läuft – und welche Möglichkeiten sich daraus für den Roman ergeben – ist Pflüger erst während des Schreibprozesses klargeworden. Auch, dass das Laufen eine schöne Analogie zum Romanschreiben darstellt: »Wenn ich anfange, wünsche ich mir, es würde nie zu Ende gehen. Etwa in der Mitte des Buchs fürchte ich, es würde nie zu Ende gehen. Auf den letzten Metern will man nur noch durch.«
Da fügt es sich, dass Andreas Pflüger mit Suhrkamp bei seinem Wunschverlag angekommen ist. Am Anfang stand eine Auktion, als die ersten 70 Seiten der Jenny-Aaron-Trilogie geschrieben waren. Die Berliner hatten nicht das höchste Gebot abgegeben, aber sich enorm ins Zeug gelegt. »Endgültig« (2016) war das erste Buch mit der Genre-Bezeichnung »Thriller« im Suhrkamp-Hauptprogramm – für die einen ein Sakrileg, für den Autor, der mit Brecht, Uwe Johnson, Ingeborg Bachmann, Max Frisch und Beckett groß geworden ist, ein glücklicher Schritt. Auf den unbestechlichen Blick des Lektors Thomas Halupczok kann sich Pflüger ebenso verlassen wie aufs offene Ohr der Herstellungsleiterin Alexandra Stender. Sie war es, die Pflüger mit Erik Spiekermann zusammenbrachte. Heute sind die beiden befreundet; der geniale Typograf nahm Pflüger unter seine Fittiche. Inzwischen setzt der Autor seine Bücher selbst. Für Pflüger auch ein Vertrauensbeweis des Verlags: »Sie können ja als Setzer ein Buch ruinieren!« Er agiert inzwischen auf dem Level für Fortgeschrittene. »Ich habe den neuen Roman ohne eine einzige Worttrennung gesetzt«, sagt Pflüger stolz. »Eine Weltpremiere.«
Für die im Buch vorkommenden Dossiers hat er die Type der damals verwendeten IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine nachgebildet. Pflüger weiß, dass sein typografischer Ehrgeiz manchmal »manische Züge« annimmt. Wenn die Suhrkamp-Grafiker für die Coverschrift von »Wie Sterben geht« eine an sowjetische Agitprop erinnernde Typo ausgraben, freut sich der Autor trotzdem diebisch. Erst recht, wenn das Buch, wenigstens in der ersten Auflage, einen blauen Farbschnitt bekommt. Cinemascope, das ist Andreas Pflüger. Bei der Action. Und bei der Buchkunst. Vor fünf Jahren hat er, bis dahin einer der meistbeschäftigten Drehbuchautoren Deutschlands und mit Murmel Clausen Erfinder des Weimar-Tatorts, in einem Zeitungsinterview den Abschied von der Fernsehwelt verkündet. Eine Befreiung. Es soll ihm bloß keiner kommen, der mit Blick auf Netflix & Co. von Fernsehserien als den Romanen des 21. Jahrhunderts spricht. »Sorry«, sagt Pflüger dann, »aber Romane sind die Romane des 21. Jahrhunderts.«
Andreas Pflüger wurde 1957 in Thüringen geboren. Er wuchs im Saarland auf und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Zu seinen Werken zählen Theaterstücke, Hörspiele, Drehbücher, Dokumentarfilme und Romane. Nach dem Spionagethriller »Operation Rubikon«, seiner preisgekrönten Bestseller-Trilogie über die blinde Elitepolizistin Jenny Aaron und »Ritchie Girl« hat Pflüger nun seinen sechsten Roman, »Wie Sterben geht«, vorgelegt (alle Bände bei Suhrkamp).