474 Mark kostet ein Brot im April 1923, 69 000 Mark im August, im September schon 1 520 000 Mark und im Dezember gar unglaubliche 399 000 000 000 Mark. Die Hyperinflation ist das unverkennbare Stigma des Jahres 1923, das sich in der Erinnerung von Generationen kollektiv festgesetzt hat und auch in den aktuellen Publikationen zu 1923 gebührend breiten Raum einnimmt. Unglaublich viel ist in jenem Jahr passiert, prominenten Zeitgenossen wie den kleinen Leuten.
Wie man das unter einen Hut bringt, zeigt aufs Gelungenste der »Totentanz« von Jutta Hoffritz (HarperCollins, Februar): Die Leser:innen erfahren, warum Käthe Kollwitz im Februar ins Krankenhaus muss, der Dresdner Semperoper die Sänger weglaufen, die Regierung eine Verordnung gegen Wucher verabschiedet und wie die Floristen im Mai den Muttertag einführen. Die stimmig zusammengestellten Momentaufnahmen mit einordnenden Rückblicken eröffnen ein Kaleidoskop der Zeit; Protagonisten wie Kollwitz und Tucholsky tauchen immer wieder auf und sorgen für den roten Faden.
Ebenso chronologisch nach Monaten geht Christian Bommarius’ »Im Rausch des Aufruhrs« (dtv) vor und erhellt in Schlaglichtern die explosive Mischung von wirtschaftlichem Niedergang und unverhohlenen Versuchen, der jungen Weimarer Demokratie den Todesstoß zu versetzen. Beim Lesen wird klar, wie viel Dampf da im Kessel war.
Erzählerischer ist »1923 Endstation. Alles einsteigen!« (Berenberg) angelegt, in dem Literatur und Theater einen erfreulich großen Raum einnehmen – Brecht, Hauptmann, Kafka, Canetti, Trude Hesterberg usw.: Auch die kulturellen Ereignisse sagen viel über dieses Krisenjahr aus, in dem fortschrittliche und konservative Kräfte um Deutungshoheiten und Veränderungen ringen. Peter Süß erzählt hier in sehr plastisch entwickelten Szenen so spannend und eloquent aus dem Inner Circle, dass man glaubt, überall dabei zu sein, mal als Logengast, mal mittendrin.