Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik

Die Kunst der Leichtigkeit

14. März 2023
Holger Heimann

Sie schreibt ihre Rezensionen mit Witz und Ironie, aber nie zu gelehrt: Jutta Person, Trägerin des Alfred-Kerr-Preises für Literaturkritik 2023. Ein Porträt.

Jutta Person 

»Ich war total überrascht: Der Kerr-Preis?«, sagt Jutta Person, und der Effekt der Preisnachricht schwingt noch ein bisschen mit. Doch dann habe sie sich sehr gefreut. Der eine oder die andere ihrer Vorgänger hat von ähnlichen emotionalen Zuständen berichtet. Aber im Fall der 51 Jahre alten Autorin und Literaturkritikerin ist die Reaktion vielleicht noch ein wenig naheliegender. Denn Jutta Person ist keine Journalistin, die Rezensionen in großer Zahl verfertigt und auf allen Kanälen beständig präsent ist.

Dass mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik nicht Quantität, sondern Qualität ausgezeichnet werden soll, versteht sich von selbst – und wird in diesem Jahr doch besonders betont. Persons lustvolle Kritiken sind argumentativ und stilistisch überzeugende Beispiele des Genres. »Mit Leichtigkeit kann sie Romane, die sich einer Beschreibung fast entziehen, vor dem Auge der Lesenden skizzieren, die Erzählstruktur offenlegen und den Blick auf Details richten, die bei flüchtiger Lektüre entgehen«, heißt es in der Jurybegründung.

Wobei es mit der Leichtigkeit so eine Sache ist. Was am Ende leicht erscheint, ist meist mühevolle Arbeit. »Ich kann nicht so schnell schreiben, ich brauche viel Zeit«, sagt die Wahlberlinerin (Neukölln), die regelmäßig in den Breisgau fährt, wo sie aufgewachsen ist. Neben der Literatur sind ihr das Sachbuch und die Essayistik gleichermaßen wichtig, wie auch alle Textformen in der Zwischenzone erzählender Prosa. Über Autorinnen und Autoren wie Silvia Bovenschen, Brigitte Kronauer, Marion Poschmann, Aris Fioretos, Georg Klein oder Clemens J. Setz hat sie immer wieder geschrieben; dazu kam in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse am Nature Writing, von den Klassikern wie Henry David Thoreau bis in die Gegenwart zu Robert Macfarlane oder Helen Macdonald.

Ursprünglich wollte die Germanistin, die in Köln mit einer kulturwissenschaftlichen Arbeit zur Geschichte der Physiognomik im 19. Jahrhundert promovierte, an der Uni bleiben. Aber während ihrer Forschungen merkt sie, »dass der Elfenbeinturm doch nichts für mich ist«. Im Herbst 2001 schickt sie »out of the blue« eine Buchkritik – sie hat zuvor nur für das Kölner Uni-Magazin rezensiert – an die »Süddeutsche Zeitung«. Wenig später meldet sich deren Feuilletonchef Thomas Steinfeld, dem die unverlangte Besprechung eines Romans der österreichischen Schriftstellerin Mela Hartwig gefällt.
So beginnt die Laufbahn von Jutta Person als Rezensentin. Neben der »Süddeutschen« schreibt sie auch für die »Zeit«. Außerdem verantwortet sie die Buchseiten beim »Philosophie Magazin«. Von 2004 bis 2007 war sie Redakteurin bei »Literaturen«. Prägende Jahre seien das gewesen und die Begegnung mit einer Kritikerin, die zu einer Vorbildfigur wurde. »Sigrid Löffler hat mich am ersten Tag gefragt, was ich an ihrer Besprechung ändern würde. Das war beeindruckend – diese Kollegialität gepaart mit einer unsentimentalen Zugangsweise zu Texten.« Welchen Löffler-Artikel sie seinerzeit gelesen hat, weiß sie nicht mehr, aber sehr wohl, dass sie einige Korrekturvorschläge gemacht hat.
 

Mit Leichtigkeit kann sie Romane, die sich einer Beschreibung fast entziehen, vor dem Auge der Lesenden skizzieren, die Erzählstruktur offenlegen und den Blick auf Details richten, die bei flüchtiger Lektüre entgehen.

Aus der Jurybegründung des Alfred-Kerr-Preises

Klassische Rezensionen sind für Jutta Person die Königsdisziplin der Literaturkritik. Zu gelehrt und streng müssten Besprechungen aber keineswegs daherkommen. »Es sollte Spaß machen, sie zu lesen«, sagt die Kritikerin, die Ironie, Witz und Verspieltheit schätzt. Es sind Eigenschaften, die nicht nur viele ihrer Artikel auszeichnen, sondern auch ihre Tierporträts in der Naturkunden-Reihe bei Matthes & Seitz. Ihr »Esel«-Buch wurde zum Überraschungsbestseller. Über die Ohren des Tieres, dessen störrischen Eigensinn sie mag, schreibt die Autorin: »Etwas Propellerartiges und damit Maschinenähnliches haftet ihnen an, fast so, also ob die Ohren ein Eigenleben führten und der Esel im nächsten Augenblick auch abheben könnte.«

Dem Esel-Portrait folgte ein Buch über Korallen, für das sie tauchen gelernt hat und nach Ägypten fuhr. Im Frühjahr 2024 soll ihre Betrachtung über Palmen erscheinen – »ein Fernwehbuch«, sagt sie. Seit zwei Jahren sammelt Jutta Person dafür Material: Auf Teneriffa hat sie sich die größte europäische Sammlung lebender Palmen angesehen. Bald will sie noch einmal aufbrechen: nach Kuba, in den Oman oder auf die Seychellen – das sind die Traumziele. 

Preisverleihung

Die öffentliche Preisverleihung findet statt am Donnerstag, dem 27. April 2023 um 14 Uhr im Rahmen der Leipziger Buchmesse, im Forum »Die Unabhängigen« der Kurt Wolff Stiftung (Halle 5, D 313).
Laudatio: Lothar Müller, Feuilleton- Redakteur der Süddeutsche Zeitung und Alfred-Kerr-Preisträger im Jahr 2000
Grußwort: Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins

Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik

Das Börsenblatt würdigt seit 1977 mit dem Alfred-Kerr-Preis literaturkritisches Schaffen auf kontinuierlich hohem Niveau. Die Auszeichnung erinnert an den Schriftsteller, Theaterkritiker und Publizisten Alfred Kerr (1867 bis 1948), der in der Kritik eine eigene Kunstform sah.

Die Jury beschäftigt sich mit der Literaturkritik in deutschsprachigen Medien und wählt jährlich eine Preisträger:in. Diese Jury besteht aus Katrin Lange (Programmreferentin des Münchner Literaturhauses), Michael Lemling (Geschäftsführer der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl), Alexandra Pontzen (Literaturwissenschaftlerin an der Uni Duisburg-Essen), Klaus Reichert (Ehrenpräsident der Akademie für Sprache und Dichtung), Klaus Schöffling (Verleger), Michael Roesler-Graichen Börsenblatt).

Die Auszeichnung ist mit 5 000 Euro dotiert, die die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels stiftet.