Interview mit Gabriele Haefs

"Alle, die übersetzen, haben besondere Lieblinge"

28. März 2025
Nicola Bardola

Über die Herzen der Menschen, Wertiere, die Ironie der Samen und eine Art norwegische Irmgard Keun, erzählt die Übersetzerin Gabriele Haefs im Interview – und über "Sofies Welt", zu dessen Weg hin zum internationalen Bestseller sie beigetragen hat. Außerdem gibt sie Lesetipps für norwegische Literatur.

Gabriele Haefs

​​​​​​​Warum lohnt die Beschäftigung mit Literatur aus Norwegen?

Weiß ich gar nicht so genau, aber lohnt sich nicht die Beschäftigung mit der Literatur jedes Landes? Jede zeigt doch, finde ich, die Besonderheiten des Landes, den Bezug zur Geschichte, wie die Menschen dort von sich aus die Welt sehen – und Sigrid Undset sagt, egal, was passiert in der Weltgeschichte, "die Herzen der Menschen ändern sich nie", wir finden Gemeinsamkeiten und lernen zugleich ein anderes Land kennen. Ich übersetze z.B. auch aus dem Irischen und sehe zwar große Unterschiede in den Ländern, aber die Beschäftigung mit der Literatur bringt ähnliche Eindrücke, die Herzen der Menschen ändern sich nicht, Sprache und Umstände mögen ganz anders sein. Und immer ist es spannend zu sehen, was im Land geschätzt wird – ich glaube, alle, die wir übersetzen, haben besondere Lieblinge und begreifen nicht, warum die nicht übersetzt werden und warum sie auch im eigenen Land nicht so geschätzt werden, wie wir es für richtig hielten.

Welche Veranstaltungen / welche Autor:innen sollten sich die Besucher der Leipziger Buchmesse keinesfalls entgehen lassen?

Ach, da gibt es so viele ... Ich würde aber unbedingt auf den norwegischen Autor Håkon Marcus verweisen. Sein Buch "Wildwandler" ist gerade bei Ars Edition erschienen, der erste Teil einer dreiteiligen Fantasy-Geschichte, in Norwegen ein riesiger Überraschungserfolg, dann gleich in viele Länder verkauft, gemunkelt wurde von märchenhaften Summen. Und obwohl man denken könnte, im Fantasy-Bereich kann es nicht mehr viel Neues geben, Håkon Marcus schafft es: Wann hätten Sie z.B. je über einen Werseestern gelesen? (Die Werwölfe schmollen in dem Roman übrigens und spielen deshalb keine Rolle, weshalb eben andere Wertiere zum Einsatz kommen). Er liest am Freitag etwa um 16 Uhr am norwegischen Messestand.

Wie kam es zu den Übersetzungen der Romane von Jostein Gaarder?

Durch glückliche Zufälle! Ich hatte "Sofies Welt" auf Norwegisch gelesen und mich gefragt, welcher deutsche Verlag wohl wagen würde, ein so dickes Buch zu einem solchen Thema herauszubringen. Und gerade damals kündigte der Hanser Verlag an, ein Jugendbuchprogramm zu starten. Ich dachte aber, "Das Kartengeheimnis", das in Norwegen vor "Sofies Welt" erschienen war, würde sich zum Einstieg besser eigenen, es bereitet sozusagen auf "Sofies Welt" vor, erzählt aber auch eine spannende und lustige Geschichte. Das dachte ich, doch dann rief Friedbert Stohner an, der das Jugendbuchprogramm bei Hanser aufbauen sollte, und fragte: "Hast du 'Sofies Welt' gelesen? Kannst du übersetzen?", und meinen zaghaften Vorschlag, doch mit dem 'Kartengeheimnis' anzufangen, wischte er beiseite und sagte so ungefähr, wenn schon, denn schon. Der Erfolg hat ihm dann ja recht gegeben. Wozu man wissen sollte, dass "Sofies Welt" in Norwegen erst mal kein großer Erfolg war, es verkaufte sich gerade so, dass der Verlag nicht zu sehr bereute, es herausgebracht zu haben. Aber dann berichteten die norwegischen Zeitungen von dem märchenhaften Erfolg des Buches in Deutschland, und dass es aufgrund dieses Erfolges jetzt in alle Welt verkauft würde, und nun interessierte sich auch das norwegische Publikum dafür und es wurde auch dort zum Bestseller.

Wie beurteilen Sie Texte aus Norwegen außerhalb Ihres Arbeitsspektrums, z.B. Literatur in samischer Sprache?

Dazu kann ich gar nicht viel sagen, da ich kein Samisch spreche, deshalb ist mein Wissen da begrenzt. Ich hatte aber eine Zeitlang viel mit Nils-Aslak Valkeapää (1943 bis 2001) zu tun, der als der große Neuerer der samischen Sprache und Musik gilt. Wenn die aktuelle samische Literatur nur halb so facettenreich und überraschend ist wie das, was er geschrieben hat, dann muss unbedingt ganz viel übersetzt werden, aber viele Leute, die aus dem Samischen übersetzen, gibt es wohl nicht. Er schrieb auf Samisch und auf Schwedisch und hatte ganz klare Vorstellungen davon, wer seine schwedischen Sachen übersetzen sollte, aber das ist leider lange her. Bei seinen Texten ist mir aufgefallen, dass er sehr ironisch war, sich auch oft über seine Landsleute lustig machte, hier über die Laestidianer, die Alkoholkonsum ablehnen:

"Die Sommersonne scheint, brennt

vom offenen Meer weht ein warmer Wind

ich liege auf dem Rasen

gebe mich dem Sonnenlicht hin

und trinke Bier."

Welche Autor:innen aus Norwegen gilt es besonders zu beachten?

Ich würde das Buch "Der Aufbruch" von Ingeborg Arvola empfehlen. Es erscheint rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse (wo die Autorin auch anwesend sein wird) in der Übersetzung von Katharina Martl bei btb, und es geht um quänische Auswanderer und vor allem Auswanderinnen nach Norwegen im 19. Jahrhundert.

Ich finde es außerdem wunderbar, dass jetzt norwegische Klassikerinnen übersetzt werden, die hierzulande nie wahrgenommen wurden, oder die in Vergessenheit geraten sind, wie Sigrid Boo, Torborg Nedreaas oder Regine Normann, die noch einen größeren Verlag braucht. Torborg Nedreaas ist aktuell bei btb mit "Im Mondschein wächst nichts", Sigrid Boo mit "Dienstmädchen für ein Jahr" bei Rowohlt, sie ist so eine Art norwegische Irmgard Keun. Ähnlich ist es in Norwegen, wenn ich sage, "ich übersetze gerade Sigrid Boo", dann ist fast immer die Reaktion: "Wen? Nie gehört." Nenne ich dann den norwegischen Titel von "Dienstmädchen für ein Jahr", ist es ganz anders, unweigerlich heißt es, "ja, das Buch hat meine Mutter geliebt" (oder "meine Großmutter", je nach Alter der Person, mit der ich zu tun habe) – dieses Buch wurde übrigens dreimal verfilmt, einmal in Schweden, einmal in Norwegen und einmal im Hollywood.

Einige Klassiker müssten aber auch mal neu übersetzt und veröffentlicht werden, es ist z.B. ein Skandal, dass Bjørnstjerne Bjørnson, Norwegens erster Literaturnobelpreisträger – 1903 – noch immer nicht in neuer Übersetzung vorliegt!