Interview mit Thomas Raff von Zeitfracht zu neuen Geschäftsbedingungen

"In allen Sparten muss ein generelles Umdenken stattfinden"

28. Dezember 2023
von Christina Schulte

Zeitfracht streicht Dienstleistungen für Buchhandlungen und Verlage, die bestimmte Kriterien nicht erfüllen. Es wird Umsatzgrenzen im Buchhandel und Auslistungen von Titeln geben, die nicht häufig genug verkauft werden. Thomas Raff, Sprecher der Geschäftsführung von Zeitfracht, über Beweggründe, Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen und die Wirtschaftlichkeit der Branchenlogistik.

Sie haben Ihre Dienstleistungen durchforstet und auf manche Ihrer Verlags- und Buchhandelskunden kommen im neuen Jahr gravierende Änderungen zu. Was wird anders für die betroffenen Unternehmen?
Wir möchten auch in Zukunft ein wichtiger Partner für unsere Kunden und Verlagslieferanten sein. Die kulturelle Vielfalt und die Buchpreisbindung sind uns sehr wichtig und Zeitfracht bekennt sich eindeutig zur Buchbranche. Wir wissen, dass die von uns nun eingeleiteten Veränderungen erstmal nicht sonderlich populär erscheinen. Aber, wir sind auch ein Wirtschaftsunternehmen und damit den Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft unterworfen. Das bedeutet, dass sich unser Geschäftsmodell und die einzelne Kundenbelieferung genauso rechnen müssen wie der Einkauf und die Lagerung eines Artikels.
Da wir uns aber der Bedeutung des Zwischenbuchhandels bewusst sind, versuchen wir auch Kompromisse oder Alternativlösungen zu finden, wie zum Beispiel die Umstellung von Kunden mit kleineren Umsätzen auf eine Belieferung von zweimal in der Woche mit einem Paketdienst oder mit unserem Print-on-Demand-Angebot für Verlage.
Auch unsere Buch & Co. Verbundgruppe ist ein wichtiger Baustein für die Zukunftssicherung des unabhängigen Sortiments.

Eine Wanne mit Aufschrift Zeitfracht zieht schnell auf einem Rollenband vorbei

Warum haben Sie die Umsatzgrenze im Buchhandel gerade bei 30.000 Euro angesetzt?
Wir haben Kunden im Portfolio, die unter 10.000 Euro im Jahr mit uns umsetzen. Hier macht es aus wirtschaftlichen Gründen für beide Seiten einfach keinen Sinn, weiter so zusammenzuarbeiten. Wenn wir die Kosten objektiv betrachten, müssten wir die Konditionen deutlich verschlechtern. Anders sieht es bei Kunden aus, die uns Bestellungen mit einem Umsatzwert zwischen 10.000 und 30.000 Euro zuschicken. Hier macht uns vor allem die fehlende Bündelung zu schaffen. Die Wanne fährt durch unser Lager und der LKW hält an der Buchhandlung, egal ob eine Lieferung aus einer Wanne mit fünf oder mit 30 Büchern erfolgt.
Bei etwa 250 Belieferungstagen im Jahr kann man ja gut hochrechnen, wie viele Bücher am Tag durchschnittlich bei einem Umsatz von zum Beispiel 15.000 Euro im Jahr pro Tag in einer Wanne versendet werden.

Wie viele Buchhandlungen sind von den neuen Bedingungen betroffen?
Wir sprechen von einer mittleren dreistelligen Kundenzahl im DACH-Bereich. Allerdings muss man dabei auch berücksichtigen, dass wir auch viele kleine Kunden haben, die ein Buchsortiment führen, sich aber selbst nicht als Buchhandlung bezeichnen würden und zum Beispiel auch nicht Mitglied im Börsenverein sind.

Thomas Raff

In allen Sparten muss ein generelles Umdenken stattfinden, damit wir uns die Branchenlogistik in Zukunft noch leisten können

Knackpunkt: Finanzierung der Branchenlogistik

Was glauben Sie? Wie viele der betroffenen Buchhandlungen werden ihren Umsatz bei Ihnen über die 30.000 Euro heben? Mit wie vielen Kündigungen rechnen Sie?
Das können wir nicht sagen. Wir hoffen aber natürlich, dass sich möglichst viele Kunden trotz der geänderten Rahmenbedingungen entscheiden, auch in Zukunft mit uns zusammenzuarbeiten oder sich die Kunden entschließen, in beidseitigem Interesse mehr Umsatz mit uns zu generieren. Häufig ergeben sich ja aus einer solchen Entscheidung auch neue Möglichkeiten einer Partnerschaft.

Was bedeuten Ihre neuen Regeln für die anderen beiden Barsortimente?
Über die Auswirkungen für unsere Marktbegleiter wollen und werden wir nicht spekulieren. Unserer Meinung nach muss in allen Sparten ein generelles Umdenken stattfinden, damit wir uns die Branchenlogistik in Zukunft noch leisten können. Auch die Verlage brauchen einen funktionierenden Zwischenbuchhandel und Bücherwagendienst. Wir sind uns aber bei einzelnen Gesprächen manchmal nicht sicher, ob das tatsächlich auch bei den Verlagen so gesehen wird. Man könnte auch zu der Einschätzung gelangen, dass einfach vorausgesetzt wird, dass es die Barsortimente zu geben hat, die Titel geführt werden müssen, sich aber an der Finanzierung der Branchenlogistik niemand von Lieferantenseite so richtig beteiligen will. Das fängt bei der Einhaltung des Paragraphen 6.3. des Preisbindungsgesetzes an und endet beim Transport der Verlagsbeischlüsse.

Höhere Kosten durch Preissteigerungen

Weshalb haben Sie sich dazu entschiedenen, Verlage und Titel auszulisten?
In den vergangenen Monaten haben wir uns umfassend mit den Entwicklungen am Markt, aber auch mit den seit einiger Zeit gültigen neuen Rahmenbedingungen auseinandergesetzt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine waren für uns alle spürbar und haben sich unter anderem in deutlichen Kostensteigerungen bemerkbar gemacht. Bei uns schlägt sich das in erhöhten Personal- und Lagerkosten, aber natürlich auch bei der Energie, dem Material und dem Transport nieder.
Diese Faktoren in einem Markt der Buchpreisbindung aufzufangen, zu der wir nach wie vor stehen, war und ist für uns eine große Herausforderung. Während andere Märkte die Preissteigerungen an die Verbraucher durchreichen können, ist dies für den Zwischenbuchhandel und den Buchhandel nicht möglich. Unserer Meinung nach sind die Preisanpassungen der Verlage nach wie vor zu niedrig und wirken leider auch häufig erst nachrangig, da in den seltensten Fällen auch die Backlist eine Preisanpassung erfährt.
Gerade bei Titeln, die kaum oder sehr gering nachgefragt werden und somit eine geringe Lagerdrehzahl aufweisen, stehen die Umsätze dann leider in keinem gesunden Verhältnis zu den Kosten. Es geht aber nicht darum, Titel oder Verlage einfach auszulisten, sondern sie in Zukunft in einer Form anzubieten, die es für alle Sparten möglich macht, wirtschaftlich zu arbeiten.

Nach welchen Kriterien erfolgt die Auslistung?
Wir haben uns sehr intensiv mit den Abverkäufen und den Lieferantenkonditionen auseinandergesetzt. Und um es aber auch klar zu sagen, wir sprechen hier größtenteils von Titeln die einen Absatz von unter drei Exemplaren im Jahr bei uns haben und in einigen Fällen auch von nicht auskömmlichen Konditionen.

Print-on-Demand bei Zeitfracht in Erfurt 

Print-on-Demand-Service

Wie viele Verlage trifft es?
Es macht keinen Sinn hier eine Zahl zu nennen, da es in vielen Verlagen Titel gibt, die so eine geringen Lagerdrehzahl aufweisen. Verlage in der Auslieferung von Zeitfracht sind davon generell nicht betroffen, weil wir dort schon vor längerer Zeit einen für die Verlage und uns attraktiven Just-in-time Einkauf vereinbart haben und somit immer alle Titel der Verlage im Barsortiment lieferbar sind.

Um wie viele Titel geht es?
Wir haben über 650.000 lagernde oder zu besorgende Titel in unserem Katalog. Wir sprechen von ca. 13 Prozent, die sich nicht mehr als zweimal im Jahr verkaufen.

Gibt es eine Alternative für die Verlage?
Wir möchten für die Buchbranche weiterhin eine große Titel- und Kulturvielfalt anbieten. Uns ist es daher wichtig, ihnen perspektivisch eine optimale Sichtbarkeit in den Katalogsystemen der Zeitfracht zu bieten und ihre Titel für den Buchhandel just in time bestellbar zu halten. Mit unserem Print-on-Demand-Service können wir für viele Titel eine gute Alternative anbieten. Diese Technologie ermöglicht es, die Kundenbestellungen direkt in unserem Erfurter Druckzentrum zu fertigen und taggleich zu verschicken. Damit können wir gemeinsam einen nachhaltigen und effizienten Weg der Buchbelieferung anbieten und schonen damit gleichzeitig Umwelt und Ressourcen.

Wie viele Verlage, glauben Sie, werden das Print-on-Demand-Angebot annehmen?
Das können wir nicht sagen, hoffen aber natürlich, dass viele diesen Weg mit uns gehen möchten. Im Übrigen ist auch jeder Verlag eingeladen, unabhängig von unseren Titelentscheidungen das Print-on-Demand-Angebot zu nutzen.

Die kleinen Verlage haben ohnehin schon mit mangelnder Sichtbarkeit zu kämpfen. Jetzt verschwinden sie teilweise auch noch bei Zeitfracht aus dem Blickfeld. Können Sie die Nöte der kleinen Verlage verstehen?
Unsere Entscheidung hat nichts mit der Größe eines Verlages zu tun. Wir bieten ja eine entsprechende Alternative an, die viele Verlage auch nutzen können.

Ihr Katalog soll zu einem Lieferbarkeitskatalog werden. Was verstehen Sie darunter? Und was heißt das für die Sichtbarkeit der Titel kleinerer Verlage?
Unseres Erachtens ist es die Aufgabe eines Großhandels, aktuelle oder zukünftige lieferbare Titel anzubieten. Aus der Historie heraus haben wir zum Teil Titel in unseren Katalogen, die es seit mehreren Jahren nicht mehr gibt oder wir schon seit Jahren nicht mehr führen. Es ist niemand damit geholfen, eine Datenbank unnötig aufzublähen und auch eine Titelrecherche unübersichtlich zu machen.