Existenzgründung

Mit Konzept und Mut zur eigenen Buchhandlung!

30. Mai 2023
von Sabine van Endert

Direkt nach der Ausbildung oder dem Studium eine Buchhandlung gründen – das erfordert Mut. Jana Brammer, Sarah Lübbers, Leonie Reißmann und das Team Nora Batinić / Helena Gerwin trauen sich. Wir stellen Ihnen ihre Konzepte und Ideen vor. Außerdem in diesem Beitrag: Unterstützungsangebote der Branche für Gründer:innen.

Einer Umfrage unter 413 (ehemaligen) Buchhandelsauszubildenden zufolge, die der mediacampus frankfurt beim Libri.Campus in Bad Hersfeld am 12. Mai vorgestellt hat, sieht nur etwa ein Prozent ihre Zukunft in einer eigenen Buchhandlung oder ist Inhaber:in einer Buchhandlung geworden. Knapp 28 Prozent der Befragten fänden es grundsätzlich attraktiv, irgendwann eine eigene Buchhandlung zu haben, knapp die Hälfte kann sich das (eher) nicht vorstellen. 

Was hält sie ab? 37 Prozent geben als Grund für ihre Zurückhaltung an, dass ihnen eine eigene Buchhandlung zu viel Verantwortung ist, 31 Prozent sehen sich nicht in einer solchen Führungsposition und 26 Prozent möchten gar nicht im Buchhandel bleiben. Von den 35 Prozent, die andere Gründe genannt haben, scheuen 51 Prozent das finanzielle Risiko und 22 Prozent fürchten um die Work-Life-Balance. 

Und was braucht man, um eine eigene Buchhandlung zu gründen? In jedem Fall: etwas Mut, ein gutes Konzept, eine solide Finanzierung, die gute Gelegenheit und gern auch Unterstützung von Leuten mit Erfahrung. Bei diesen fünf Frauen passt alles: Jana Brammer hat mit gerade einmal 23 Jahren zugegriffen, als sie von einer kleinen Buchhandlung hörte, die zum Verkauf stand, Sarah Lübbers (24) hat zuerst Buchwissenschaft studiert und dann ihren Traum einer inklusiven Buchhandlung in Delbrück verwirklicht. Was in Aachen – und überhaupt – fehlt, ist eine queere Buchhandlung, meint Leonie Reißmann (27). Sie ist dort mit Artemis Books an den Start gegangen. Und kurz vor der Eröffnung ihres Kapitel Drei in Hamburg-Altona stehen die studierten BWLerinnen Nora Batinić (26) und Helena Gerwin (27).

Jana Brammer

Jana Brammer

und ihr Buchcafe Calibri in Cadolzburg.

JANA BRAMMER - CALIBRI, CADOLZBURG

Jana Brammer ist 23 – und hat quasi direkt nach ihrer Ausbildung zur Buchhändlerin bei Edelmann in Fürth die kleine Buchhandlung Calibri mit Café in Cadolzburg (Landkreis Fürth) in bester Lage im Schatten der Burg übernommen. Noch während ihrer Lehrzeit hatte sie den Plan gefasst, ein Buchcafé zu eröffnen. Über mehrere Ecken erfuhr sie dann, dass Calibri-Besitzerin Lydia Hoßnofsky nach einer Nachfolge suchte – und griff prompt zu. »Ich habe mich sofort in den malerischen Laden direkt vor der Burg verliebt und mich mit meiner Vorgängerin auch auf Anhieb verstanden«, so Brammer. Eine Win-win-Situation also. 

Im vergangenen Oktober hat Jana Brammer angefangen, sich in der Buchhandlung einzuarbeiten – und gleichzeitig auf Instagram den Account @janaskleinebuchhandlung gestartet, wo sie nicht nur Calibri bewirbt, sondern auch über ihren Weg zur Buchcafé-Besitzerin berichtet. Ihr Schwerpunkt: ganz klar Belletristik, aber auch das Kinderbuchsortiment ist vielfältig, die Sachbuchauswahl bunt gemischt.

Kommunikationsangebote

Ihr größtes Renovierungsprojekt war bisher die Einrichtung einer Sofaecke im hinteren Bereich der Buchhandlung. Dort finden auch die Buchclub-Treffen statt, die Jana Brammer ins Leben gerufen hat. Das Buchclub-Projekt läuft übrigens wunderbar! Schon wenige Wochen nach der Ankündigung fanden sich genug Teil­nehmer:innen für den Leseclub »Zeitgenössische Literatur«, eine weitere Gruppe für »Krimi / Thriller« sei auch schon gut besetzt, berichtet Brammer. Und auch die Vorlesevormittage für Kinder sind bisher gut angenommen worden, mittlerweile wird schon aktiv nach weiteren Terminen gefragt. Vier Lesungen sollen in diesem Jahr noch über die Bühne gehen und nach der Sofaecke sollen weitere Umbauten folgen, »um den Laden an mich anzupassen«, wie Brammer sagt. 

Vorbereitung

Der wichtigste Schritt im Gründungsprozess war für die junge Buchhändlerin die Suche nach einem Steuerberater, den sie schließlich in ihrem Freundeskreis gefunden hat. Zudem habe sie versucht, kontinuierlich so viel wie möglich abzuarbeiten, um nicht vor der Übernahme vom Arbeitspensum überrollt zu werden. Handwerkszeug für die spätere Selbstständigkeit konnte Jana Brammer aus ihrer Berufsausbildung mitnehmen: Sie habe das Glück gehabt, bei Edelmann »in einem wunderbaren Team zu lernen«, ihr damaliger Chef habe »bewusst nur selten Arbeitsanweisungen gegeben«. Er habe ihr viel zugetraut, sie habe gelernt, »selbst Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu tragen«, so Jana Brammer. Viel Sicherheit gebe ihr auch Vorbesitzerin Lydia Hoßnofsky, die inzwischen als Minijobberin bei ihr angestellt ist. 

Die Buchhandlung

Die Verkaufsfläche von Calibri beträgt etwa 45 Quadratmeter, wobei es keine Trennung zwischen den Bereichen Buch und Café gibt. Zwölf Sitzplätze stehen im Innenbereich zur Verfügung, wenn bei gutem Wetter auch draußen bestuhlt werden kann, finden 20 Personen Platz. Das Umsatzverhältnis Buch – Café kann Brammer noch schwer einschätzen, im April hat der Café-Bereich etwa zehn Prozent zu den Einnahmen beigetragen.  

Für Einrichtung und Lager hat sie 30 000 Euro Ablöse an ihre Vorgängerin gezahlt. Bei der Finanzierung habe sie Glück gehabt: »Bei einem Crowdfunding sind mir 6 000 Euro gespendet worden, für die restliche Summe habe ich private Kredite erhalten.« Für das erste Jahr kalkuliert Brammers vorsichtig mit einem Jahresumsatz zwischen 80 000 und 100 000 Euro. Und sie ist zuversichtlich: »Durch den frischen Wind und die zusätzliche Werbung auf Social Media merke ich schon jetzt einen Unterschied. Einige Cadolzburger:innen werden wieder auf das Buchcafé aufmerksam, aber auch von weiter weg schauen immer mehr Menschen vorbei.« 

Rückblick

Gibt es etwas, das sie aus heutiger Sicht anders machen würde? »Auf jeden Fall.« Es habe vor der Übergabe eine Phase gegeben, die Inhaberin Lydia Hoßnofsky und sie vorab nicht bis ins Detail durchdacht hatten – denn ein einziger Kniff hätte gereicht, um diverse Kommunikationsprobleme im Vorfeld auszuräumen. »Ich habe mich nicht richtig getraut, die Dinge in die Hand zu nehmen, weil der Laden ja noch nicht offiziell mir gehört hat«, erzählt Jana Brammer, »und Lydia hatte immer wieder Angst, dass ich doch noch abspringe.« Dieses Problem hätte gut gelöst werden können, wenn sie gemeinsam bereits im Vorfeld eine Absichtserklärung oder Ähnliches aufgesetzt hätten, sagt Brammer heute. 
 

Sarah Lübbers

Sarah Lübbers

SARAH LÜBBERS - MAGIC BOOKS, DELBRÜCK

Sarah Lübbers ist 24 Jahre alt und hat im März ihren Bachelor an der Universität in Mainz abgeschlossen, Hauptfach Buchwissenschaft, Nebenfach Germanistik. Ihre Abschlussarbeit hat sie zum Thema »Barrierefreiheit im deutschen Buchhandel« geschrieben. Barrierefreiheit ist auch für Sarah Lübbers persönlich ein Thema, sie hat eine erblich bedingte Augenerkrankung. Parallel zum Abschluss ihres Studiums hat sie im März Magic Books in Delbrück (Kreis Paderborn) eröffnet, eine barrierefrei gestaltete Buchhandlung mit den Schwerpunkten Fantasie, Romance und Manga.

Barrierefreiheit

Oberste Priorität bei der Konzeption der Buchhandlung hatte die Zugänglichkeit – und das in einem umfassenden Sinn. »In meinem Laden soll sich jede und jeder wohlfühlen und zurechtfinden«, sagt Lübbers. In der 120 Quadratmeter großen Buchhandlung ist deshalb nicht nur der Eingang ebenerdig, es gibt auch eine Funkklingel, damit Leute sich bemerkbar machen können, wenn die Tür im Weg ist. Auf der Fläche sind die Gänge breiter und die Bücherregale nur halbhoch – damit alle sie selbstständig erreichen können. 

Die Regalbeschriftungen für die einzelnen Genres sind zusätzlich mit Piktogrammen ausgestattet. Außerdem gibt es eine induktive Hörschleife, die Geräusche herausfiltert und es Menschen mit Hörgeräten ermöglicht, besser zu hören, der Kassentresen ist tiefergelegt und »unterfahrbar«. Auf der Planungsliste steht die Anschaffung eines transportablen Vorlesegeräts, mit dem Kund:innen sich einzelne Seiten aus Büchern vorlesen lassen können. 

Unterstützung

Schon während ihres Studiums hat Sarah Lübbers angefangen, ein Konzept für ihre Buchhandlung zu erarbeiten. Wie Buchhandel funktioniert, hat sie in einem Nebenjob in einer Buchhandlung gelernt – und dabei auch ihr Profil geschärft, denn sie habe dort nicht nur viel Praxiswissen erworben, sondern auch gesehen, was sie in ihrem eigenen Laden anders machen möchte. Für spezielles Gründungs-Know-how hat Lübbers ein Seminar beim Zwischenbuchhändler Libri besucht. Aktuell ist sie beim Börsenverein im Mentoring-Programm des Nachwuchsparlaments, hat einen festen Ansprechpartner bei der IHK und kann zudem bei Gründungsfragen auf familiäres Wissen und Unterstützung zurückgreifen. 

Das Schwierigste im Gründungsprozess? »Definitiv die Finanzierung«. Es habe lange gedauert, bis sie eine Bank gefunden habe, der das Risiko der Neugründung nicht zu groß war.  »Sobald das geschafft war, ging alles ganz schnell«, berichtet Sarah Lübbers. 

Die Bank scheint keinen Fehler gemacht zu haben, denn Magic Books kommt in Delbrück offenbar gut an: »Kurz nach der Eröffnung, als die jungen Mädels gesehen haben, dass ich ­Romance-Bücher anbiete, kamen sie begeistert in den Laden und meinten, die Auswahl sei ein Traum«, freut sich die junge Buchhändlerin. Lübbers plant nun mit einem Jahresumsatz von 300 000 Euro – und will sich nach Unterstützung in Teilzeit umsehen. Ihr Rat an junge Gründer:innen: Nicht den Mut verlieren. »Egal welche Rückschläge kommen, bleibt dran. Und sucht euch Berater, die euch dabei helfen, euren Traum perfekt umzusetzen.«

Leonie Reißmann

Leonie Reißmann

Die neue Buchhandlung Artemis

LEONIE REIßMANN - ARTEMIS BOOKS, AACHEN

Im Oktober 2022 hat Leonie Reißmann die queere Buchhandlung Artemis Books in Aachen gegründet. Ihre Themen: LGBTQIA+, Gender, Feminismus, Toxic Masculinity, inklusive Kinderbücher, Black Lives Matter, Body Positivity und noch einiges mehr. Aber auch Young Adult, Fantasy, Thriller sowie Gedichtsammlungen stehen in ihrer knapp 50 Quadratmer großen Buchhandlung in den Regalen. »Jede:r sollte bei uns auf seine / ihre Kosten kommen«, sagt Reißmann. Der größere Anteil des Sortiments besteht aus englischsprachiger Literatur. Im Laden verteilt gibt es sechs Café-Plätze, weitere zwei vor der Ladentür. Von der Idee bis zur Eröffnung von Artemis Books sind acht Monate vergangen.  

Reißmann ist Quereinsteigerin, sie hat zuvor zwei Studiengänge und eine Ausbildung zur Tischlerin abgebrochen, arbeitete unter anderem als Personal Trainerin und Barista. Und nun: eine Buchhandlung, die verschiedene Lebensrealitäten repräsentiert, die für queere Menschen das gleiche Einkaufs­erlebnis (»stöbern«) schaffen will wie für nicht-queere Menschen, die sich als Anlaufstelle für Interessierte etablieren und einen »Safe und Community Space« anbieten will. Und ein Bereich der Buchhandlung ist für queere Künstler:innen reserviert.

Durchstarten

Auf ihr Buchhandelsabenteuer hat Reißmann sich unter anderem mit buchhändlerischer Fachlektüre aus dem Bramann Verlag und IHK-Webinaren vorbereitet. Eine große, verständnisvolle Hilfe im Gründungsprozess sei ihr die für sie zuständige Beraterin beim Barsortiment Libri gewesen, hebt sie lobend hervor. Ihre Erfahrung: »Es gibt für alles Expert:innen, die bei Fragen oder Wissenslücken aushelfen können.« Als etwas aufwendig hat sie die Recherche für die Voraussetzungen rund um den Verkauf von Kaffee, Getränken und Kuchen empfunden. Und die Sache mit den individuell geschreinerten Regalen: »Das war eine knappe Angelegenheit«, sagt Reißmann rückblickend.  

Zielgruppenmarketing

Artemis Books richtet sich an die junge Bevölkerung, an Schüler:innen und Student:innen. Zur Eröffnung gab es einige wenige Flyer und Poster, ansonsten läuft die Werbung über TikTok und Instagram: »Junge Menschen können so am besten erreicht werden«, sagt Reißmann – ihr TikTok-Video mit den meisten Likes wurde 400 000 Mal angesehen! Homophobie habe sie dank ihres selektiven, zielgruppenorientierten Marketings nicht erfahren, stattdessen gab es viele Hilfsangebote für die Renovierung.

Am Eröffnungstag standen die Kund:innen Schlange, sie waren aus Köln, Frankfurt, Düsseldorf und Bielefeld angereist, aber auch aus Luxemburg, Belgien und den Niederlanden. »Ich hätte mich noch etwas besser auf die Eröffnung vorbereiten können«, sagt die Artemis-Inhaberin heute – sie habe zu zögerlich eingekauft, viele Titel seien in zu geringen Stückzahlen vorrätig gewesen. Ihre Bilanz: 530 verkaufte Bücher am ersten Tag, im ersten Monat etwa 1 800 Bücher. Und: »Die mehrfach im Monat stattfindenden Events, die von Lesungen und Zyklus-Infoabenden über Movie Nights und Konzerte bis hin zu Selbstbild-Workshops reichen, werden gut besucht, »die Buchhandlung ist inzwischen als ›Safe Space‹ bekannt«, sagt Reißmann.

Crowdfunding und Privatkredite

Etwa 30 000 bis 35 000 Euro hat Leonie Reißmann in ihre Buchhandlung inves­tiert. Für einen Bankkredit hat sie mit ihrem Konzept keine Chancen gesehen. Durch Crowdfunding wurde Artemis Books mit rund 4 000 Euro unterstützt, das restliche Geld hat sie sich von Freunden und Familie geliehen. Vermieter des Ladengeschäfts ist die Sparkasse – ein Glücksfall, wie Reißmann sagt. Mittelfristig möchte sie zwei Minijobberinnen anstellen, außerdem eine eigene Website aufbauen, ihre Bewerbung für den Deutschen Buchhandlungspreis fertigstellen und natürlich den Pride Month im Juni gebührend feiern. Ihre Umsatzerwartung im ersten Jahr: 160 000 Euro. Das dürfte klappen.

Nora Baticnic und Helena Garwin

Freuen sich auf die neue Buchhandlung: 
Helena Garwin und Nora Batinic

NORA BATINIC UND HELENA GARWIB-KAPITEL DREI, HAMBRG-ALTONA

Noch im Juni wollen die Freundinnen Nora Batinić und Helena Gerwin ihre Buchhandlung Kapitel Drei in Hamburg-Altona eröffnen. Die beiden haben BWL studiert und seit 14 Jahren davon geträumt, gemeinsam ein Buchcafé zu eröffnen, wie Nora Batinić erzählt – wobei die Getränkekarte am Abend auf Bier und Wein ausgeweitet werden soll. Hilfe für die Pläne gab es von Libri, Know-how vom »Leuten-über-die-Schulter-Schauen«. Die Finanzierung lief über Privatdarlehen.  

90 Quadratmeter verteilt auf vier Räume renovieren und gestalten die beiden gerade, die Fortschritte kann man sich auf TikTok und Instagram ansehen. In jedem Raum wird es auch Sitzmöglichkeiten geben, das Sortiment soll aus neuen und gebrauchten Büchern zusammengestellt werden, vornehmlich Belletristik, Young Adult, Poesie, Intersektionaler Feminismus, Fantasie, LGBTQIA+, Philosophie und Klassiker, alles gern auch englischsprachig. Viel Erfolg!

UNTERSTÜTZUNG AUS DER BRANCHE