Karriere

Auf zum "Selbstseminar"

26. Mai 2023
Veronika Weiss

Weiterbildung ist wichtig, aber teuer. Kein Wunder, dass Firmen und Mitarbeiter:innen Sinn und Nutzen jeder Schulung deshalb gründlich prüfen. Doch es gibt eine ebenso clevere wie günstige Alternative. 

Nach einem Seminar haben wir uns schon öfter im Stillen gefragt, was genau nun der Mehrwert der teuren Lerneinheit war. Ist Ihnen doch auch schon passiert, stimmt’s? Manche Webinare oder Coaching-Angebote machen auf mich den Eindruck, als würde sich ihre Zielgruppe vor allem dadurch auszeichnen, dass sie sich nicht selbst aufraffen kann. Allgemein verfügbare Inhalte und Altbekanntes wird von der seminarleitenden Person mundwarm serviert und häppchenweise an uns verfüttert. Das ist natürlich ein nicht zu unterschätzender Service, aber sein Geld dann nicht wert, wenn man das selbst genau so gut hinkriegen könnte.

Deshalb mein Vorschlag: Prüfen Sie das nächste Mal, ob Sie mit kaum Mehraufwand nicht einfach ein »Selbstseminar« veranstalten können. Hochspezialisierte Themen eignen sich freilich nicht, dafür aber Grundlagenstoff für Themen wie Storytelling, agiles Arbeiten oder Zeitmanagement. 

Gut strukturieren

Die größte Hürde: Planen Sie für Ihr richtiges Selbstseminar drei Zeitblöcke fest ein – drei Stunden Vorbereitung, fünf Stunden Seminar, drei Stunden Nachbereitung. Für die Vorbereitung nehmen Sie sich ein Essen und Recherche vor. Verabreden Sie sich mit jemandem aus Ihrem Bekanntenkreis, der oder die auf Ihrem ausgewählten Gebiet erfahren oder sogar Expert:in ist. Bei einem entspannten Lunch holen Sie sich Tipps für gute Quellen und erste Ideen zum Seminarinhalt. Danach recherchieren Sie Ihre Seminar­inhalte – durchforsten Sie das Internet, Google Scholar und Bibliotheken nach Material und speichern sie eine vertretbare Menge an seriösen Unterlagen an einem Ort ab.

Der zweite Block ist Ihr Selbstseminar: Unterteilen Sie einen guten halben Tag in zwei oder drei Blöcke, besorgen Sie ein Stück Ihres Lieblingskuchens (ein bisschen Seminarpausenflair muss sein). Nun gehen Sie konzentriert Ihre Quellen durch, eine nach der anderen. Machen Sie sich dabei auf Papier Notizen oder schreiben Sie ein Exzerpt. Lassen Sie auf ein sachliches PDF ein YouTube-Video folgen, lesen Sie als nächstes einen Webeintrag und hören Sie danach einen Podcast – je abwechslungsreicher, desto besser für Ihren Kopf.

Wenn Sie sich Ihre Inhalte auf diese Weise einverleibt haben, lassen Sie ein paar Tage vergehen. – Wie oft ist es Ihnen passiert, dass Sie Seminarunterlagen nie wieder zur Hand genommen haben? Das kommt diesmal nicht infrage. In Ihrem 
Kalender haben Sie nämlich noch einmal drei oder vier Stunden geblockt, in denen Sie Ihre Notizen und Exzerpte lesen, memorieren und zur Umsetzung schreiten.

Lesekompetenz macht’s möglich

Ich bin mir sicher, unter den richtigen Umständen ist dieser Weg unkompliziert und ergiebig. Schließlich mangelt es uns allen nicht an der wichtigsten Voraussetzung, um sich Wissen anzueignen: Lesekompetenz. Wer studiert hat, kann aus Schriftstücken die Essenz herauskristallisieren. Wissenschaftliches Arbeiten kommt uns hier zugute, und zwar nicht für die Forschung, sondern für 
unsere höchstpersönliche Entwicklung. Probieren Sie’s doch mal aus. Und gönnen Sie sich vom ersparten Geld irgendetwas Nettes, was Sie sich schon vorher als Belohnung versprechen.

UNSERE KOLUMNISTIN

Veronika Weiss (38) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) in Hamburg arbeitete sie dort als Lektorin. Seit 2021 ist sie frei als Texterin und Lektorin tätig. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.