Teenager auf Lesetauchkurs
Im Jugendbuch kommt die klare Abgrenzung zur Belletristik ins Wanken – durch New-Adult-Romane, die viele Altersgruppen ansprechen. Eine Analyse nach Lesemotiven untermauert die Chancen des Trends.
Im Jugendbuch kommt die klare Abgrenzung zur Belletristik ins Wanken – durch New-Adult-Romane, die viele Altersgruppen ansprechen. Eine Analyse nach Lesemotiven untermauert die Chancen des Trends.
In der Tegeler Bücherstube in Berlin gibt es sie schon: eine gesonderte Warengruppe für das New-Adult-Segment. »Damit wir den gefühlten Boom auch statistisch untermauern können, haben wir in unserer Warenwirtschaft jetzt eine eigene Warengruppe dafür angelegt«, berichtete Inhaberin Christiane Schulz-Rother im September im Börsenblatt. Doch auch in der gesamten Branche wird der Ruf nach einer speziellen Einsortierung in die Warengruppen- Systematik immer lauter. Der Grund: Die klare Trennung zwischen Young Adult (Jugendbücher ab 12 Jahre), New Adult (bis zur Altersgruppe der 25-Jährigen) und der Belletristik für Erwachsene weicht auf – nicht zuletzt durch den altersübergreifenden Erfolg einzelner Autor:innen wie Colleen Hoover.
Im Buchhandel haben sich deshalb eigene Abteilungen für New-Adult-Romane etabliert, die von Teens und Twens, aber auch von Fans über 30 gelesen werden. Bestseller erreichen damit eine große, breit gefächerte Zielgruppe. Eine Differenzierung jenseits der sich auflösenden Altersgrenzen (und der inhaltlichen Sortierung nach Krimi, Fantasy, Romance etc.) ermöglichen die zehn Lesemotive. Sie wurden von Börsenverein und MVB als Ergänzung zur Warengruppensystematik und zur Thema-Klassifikation entwickelt, um die Bedürfnisse hinter dem Buchkauf zu beschreiben, etwa Entspannen oder Entdecken.
Eintauchen, Entspannen, Leichtlesen und Nervenkitzeln: Das sind die wichtigsten Lesemotive im Jugendbuch ab 12 Jahre. Alle vier besetzen auch im fiktionalen Erwachsenenbuch die Hauptrollen. Allerdings geht dort das Motiv Entspannen in Führung – während im Jugendbuch das Lesemotiv Eintauchen dominiert.
Titel zum Motiv Eintauchen kommen im Jugendbuch 2023 auf einen stolzen Umsatzanteil von 48,9 Prozent (Quelle: Media Control, siehe Grafiken). Auch die Umsatzkurve zeigt klar nach oben – mit einem Plus von 33 Prozent gegenüber 2022. »Hier schlägt sich wohl der Siegeszug der Romantasy nieder – sich verlieben und lieben, während für das Gute gekämpft wird«, so Stephanie Lange, Vertriebsexpertin und MVB-Botschafterin für die Lesemotive: »Das Genre passt perfekt zum Lesemotiv Eintauchen, hinter dem das Bedürfnis nach anderen, auch fiktiven Welten steht. Im Zentrum steht die Flucht aus dem Alltag und das Hineinversetzen in Figuren einer fremden Welt.« Auf etwa halber Höhe folgt das zweitwichtigste Lesemotiv Entspannen – mit einem Umsatzanteil von 23,8 Prozent im Jahr 2023 (Umsatzentwicklung: plus 10 Prozent gegenüber 2022). Es steht für das Bedürfnis nach Rückzug, als Ausgleich zum Alltagsstress. Die Geschichten haben mehr Bezug zur realen Welt und zum Leben der Leserinnen und Leser als beim Lesemotiv Eintauchen.
Die Lesemotive ermöglichen eine Differenzierung jenseits der Altersgrenze.
Stephanie Lange, Vertriebsexpertin und Lesemotiv-Botschafterin bei MVB
Auf Platz 3 landet das Lesemotiv Leichtlesen, das sich 11,9 Prozent vom Jugendbuch-Umsatzkuchen sichert. Es steht für das Bedürfnis nach unbeschwerter Lektüre, mit einfacher Sprache und geringer Komplexität bei Zeitebenen und Figuren. Ein weiterer Unterschied zum Lesemotiv Entspannen: Wer das Leichtlesen bevorzugt, will keine Reibung durch dramatische Wendepunkte wie Krankheit, Tod, Krieg – zumindest nicht in seiner aktuellen Kauf- und Lese-Situation. Eine typische Vertreterin dieses Lesemotivs ist Colleen Hoover.
Auffällig: Im Vergleich zu 2022 haben Bücher zum Lesemotiv Leichtlesen 19,1 Prozent der Umsätze eingebüßt, auch die Zahl der Novitäten ging zurück (minus 14 Prozent). Gut möglich, dass sich dahinter eine Verschiebung umsatzrelevanter Titel vom Jugendbuch ins Erwachsenen-Segment verbirgt. Denn in der Belletristik kletterte der Umsatz mit dem Lesemotiv Leichtlesen im selben Zeitraum um 23,1 Prozent nach oben, die Zahl der Novitäten um 23 Prozent. Nervenkitzeln liegt mit einem Umsatzanteil von 11,1 Prozent fast gleichauf mit Leichtlesen, kann jedoch mit einem Umsatzzuwachs von 16,7 Prozent gegenüber 2022 punkten. Die Zahl der Novitäten ging dagegen um 11 Prozent zurück – gegen den positiven Umsatztrend. Hier ist also noch Potenzial für die Verlagsprogramme.
Ein Artikel von
Sabine Cronau
Jana Lippmann
Stephanie Lange