"Die rasante Entwicklung geht weiter"
Die erste #BookTok-Bestsellerliste wurde in Leipzig präsentiert. Ulrike Altig von Media Control und Tobias Henning von TikTok erklären, wie die Charts entstehen – und welche Chancen sie eröffnen.
Die erste #BookTok-Bestsellerliste wurde in Leipzig präsentiert. Ulrike Altig von Media Control und Tobias Henning von TikTok erklären, wie die Charts entstehen – und welche Chancen sie eröffnen.
Tobias Henning: Hinter #BookTok steht eine Community von Buch-Liebhaber:innen, von Menschen, die gern lesen und sich gegenseitig inspirieren, mal mit kürzeren, mal mit längeren Videos rund um die Welt der Bücher. Kurze Videos sind etwa zwischen 15 und 30 Sekunden lang, längere dauern oft mehr als eine Minute, in denen Creator:innen Bücher besprechen. Das können klassische Rezensionen sein, das kann aber auch die Auseinandersetzung mit bestimmten Charakteren in einem Buch sein. Oder sie teilen einfach die Bücher, die sie gerade lesen. Bemerkenswert dabei: Es werden auch ältere Bücher wiederentdeckt. Sehr beliebt ist das sogenannte Unpacking, dabei wird gezeigt, mit welchen Büchern die Creator:innen aus der Buchhandlung kommen oder wie sie Buchpakete auspacken. Diese ganze Inspiration führt dazu, dass viele Menschen wieder Bücher lesen und Bücher kaufen, in Buchhandlungen oder Onlineshops. Sehr viele Nutzer:innen besprechen ihre gekauften Bücher dann
Ulrike Altig: Wir beobachten schon seit längerer Zeit, eigentlich schon die letzten zwei bis drei Jahre, dass #BookTok verstärkt Einfluss auf den Buchmarkt und auf das Kaufverhalten hat und dadurch auch potenzielle neue Buchkäufer:innen anspricht. Die Basis für die neue #BookTok Bestsellerliste ist das Media Control-Buchhandelspanel mit seinen 9 000 Verkaufsstätten und der Artikelstamm, wo immer häufiger Schlagworte wie »TikTok«, »Booktok« ,»TikTok Books«, »TikTok Germany«, »Booktok Germany«, »TikTok made me buy it« auftauchen. Was das Phänomen #BookTok in so kurzer Zeit erreicht hat, ist einmalig und die rasante Entwicklung geht weiter. Das belegen die Zahlen eindrucksvoll. Sie zeigen, dass der Trend nicht stagniert, sondern exorbitant nach oben geht. Wenn wir eine Prognose wagen wollen, könnte in diesem Jahr die Zehn-Millionen-Hürde bei der Zahl der verkauften Titel vielleicht geknackt werden. Für Media Control war es das Signal: Hier gibt es eine Community, die einen zusätzlichen Einfluss auf die Buchverkäufe hat, den wir ab sofort gesondert erfassen und abbilden müssen.
Altig: Die Ermittlung basiert auf dem Drei-Säulen-Modell. Die erste Säule sind die Verkaufszahlen aus dem MC-Handelspanel mit den oben erwähnten Schlagwörtern. Daraus wird ein Verkaufsranking gebildet. In der zweiten Säule befinden sich Titel und Informationen von #BookTok, wie etwa #BookTok-Videos-Views und die Information/Analyse, dass explizit über das Buch gesprochen wurde. Diese Informationen grenzen wir monatlich ab. Die dritte Säule matched die Säulen eins und zwei zu den erfolgreichsten Büchern eines Monats mit einer Bestsellerformel, die Media Control auf Basis seiner langjährigen Erfahrung bei der Ermittlung von Charts entwickelt hat. Mit diesem Chart können wir den Buchhändler:innen und Verlagen aufzeigen, welche Bücher im Trend sind und sich gut verkaufen. Das Entscheidende und auch das Novum ist die Kombination aus
Altig: Es sind Abverkäufe, die bei den oberen Rängen durchaus im oberen fünfstelligen Bereich liegen.
Henning: Wir würden das nicht so detailliert teilen wollen. Es gibt eine interne Analyse, bei der wir die Trends genau beleuchten, entscheidend dabei sind die Videos. Mir ist wichtig darauf hinzuweisen, dass ein Trend auf #BookTok startet, dann aber darüber hinaus geht, sich fortsetzt und weiterentwickelt. Ähnlich wie in der Musikindustrie, wo es ein Song beispielsweise erst ins Musikstreaming, danach ins Radio und dann in die offiziellen Charts schafft.
Altig: Wenn ich noch etwas Erfreuliches anfügen darf: Bei der neuen Auswertung kommen die Information und der Impact aus den Social-Media-Aktivitäten. Informiert durch #BookTok gehen die Leser:innen zurück in die Buchhandlung und kaufen sich das haptische Buch. Das ist eine vollkommen neue »Customer Journey« und eine wunderbare Ergänzung, von der die Buchhändler:innen und Verlage sehr profitieren können.
Henning: Zum Stichwort Haptik möchte ich noch anführen: Bei #BookTok werden nicht nur Bücher besprochen, sondern es wird sich viel über die Gestaltung von Büchern ausgetauscht. Die Nutzer:innen präsentieren Bücher und Regale, zeigen, wie die Titel eingeräumt und sortiert werden. Es ist doch faszinierend, dass es den Creator:innen darauf ankommt, ein echtes Buch zu haben, das schön gestaltet ist. Ich finde es interessant, dass etwas originär online stattfindet und sich dann im Haptischen fortsetzt und abbildet.
Henning: #BookTok erreicht immer mehr ältere Nutzer:innen, besonders wachsen wir bei den über 35-Jährigen. In dieser Altersgruppe liegt meiner Ansicht nach großes Potenzial. Wer die Trends beobachtet, erkennt, dass Thriller und Crime sehr gefragt sind und einen neuen Schub bekommen. Wir sehen einen prominenten Autor wie Sebastian Fitzek, der auf #BookTok aktiv ist und können uns vorstellen, dass dieses Genre in den nächsten Monaten Impulse erhalten wird.
Altig: Eine Ergänzung: Ein sehr gutes Beispiel ist Colleen Hoover mit »Nur noch ein einziges Mal«. Das Buch hatte im Veröffentlichungsjahr 2020 gute Verkäufe über die einzelnen Monate. Als #BookTok sich des Themas 2022 angenommen hat, haben sich die Verkaufszahlen pro Monat verdoppelt und sogar verdreifacht. Die Hauptzielgruppe sind die bis 29-Jährigen mit 37 Prozent, aber auch die 30- bis 59-Jährigen sind mit 16 bis 19 Prozent sehr gut vertreten und da es sich um einen Liebesroman handelt, ist es nicht verwunderlich, dass die Hauptkäufergruppe zu 80 Prozent weiblich ist.
Altig: Der große Einfluss von #BookTok auf das Buch-Kaufverhalten hat uns dazu bewogen, dem Phänomen #BookTok Rechnung zu tragen und zum ersten Mal eine offizielle Währung zu schaffen, die Vergleiche ermöglicht. Wir messen somit objektiv den Erfolg und den Einfluss von #BookTok auf das Kaufverhalten und haben ein Ranking, in dem Abwechslung und Bewegung ist. Die ersten #BookTok Bestsellerlisten zeigen eine Vielfalt an Büchern mit teilweise ganz aktuellen Titeln, aber auch mit älteren Büchern, die wieder verstärkt Buchkäufe nach sich ziehen. Für Buchhandlungen oder Verlage sind nun zum ersten Mal statistisch ermittelte, aktuelle Trends erkennbar, die sofort auf #BookTok-Lesetischen oder in #BookTok-Leseecken umgesetzt und den potenziellen Buchkunden präsentiert werden können. Die Bücher können so optimal und zeitnah angeboten werden, die Kasse kann klingeln.
Henning: Für die Buchbranche ist meines Erachtens noch sehr viel mehr drin: Verlage können auch potenzielle Autor:innen bei #BookTok entdecken. Es gibt Creator:innen, die angefangen haben, Bücher zu schreiben – und viele Autor:innen lassen sich von den Kommentaren der Nutzer:innen inspirieren. Außerdem können die Verlage selbst aktiv werden und die Community für sich nutzen, um Bücher vorzustellen. Das ist das Schöne an #BookTok: Man kann relativ leicht miteinander in Kontakt treten und interagieren.
Henning: Zunächst wollen wir sehen, wie die Liste ankommt und wie die Community mit ihr umgeht. Wie wird interagiert? Was lösen die Charts aus? Vielleicht wird die Liste in den Buchclubs besprochen, vielleicht teilt die Community untereinander, welche Bücher sie schon gelesen hat, welche nicht, welche sich lohnen, gelesen zu werden und welche nicht. Vieles ist möglich.
Altig: Wir haben die letzten Monate sehr intensiv an dieser neuen Bestsellerliste gearbeitet. Es steckt sehr viel Arbeit und statistisches Charts-Know-How dahinter und sehr viele Testläufe, um eine solide Basis für diese Chartsermittlung zu schaffen. Somit ist eine wichtige Grundlage geschaffen, um auf dieser Basis noch ganz viele neue Ideen zu entwickeln.
Henning: Auf gar keinen Fall. Unsere Community ist so kreativ, sie wird sich durch die Charts eher noch weiter inspirieren lassen.
Altig: Wir erstellen seit fast 50 Jahren Bestsellerlisten und eines ist immer gleich geblieben - bei jeder neue Charts mit seinen Platzierungen ist es immer der Tanz um das goldene Kalb. Bestsellerlisten stellen keine Einschränkung dar, sondern sind eine Bereicherung. Charts sind einfach sexy, weil sie emotional sind und immer wieder für Überraschungen sorgen. Charts sind eine wichtige Orientierungshilfe, machen neugierig und erweitern den Blick. Man bekommt Lust Trends zu verfolgen, neue Bücher kennen zu lernen und zu lesen und die Buchhändler und Verlage haben aktuelle wertvolle Trendinformationen.
Quelle: TikTok, Media Control
Warum wird jetzt auch noch das viel beschworene Kulturgut Buch dem chinesischen Staat ausgeliefert?