Ein Plus mit Schattenseiten

Die offiziellen Zahlen für den Buchmarkt 2021 sind da

7. Juli 2022
Christina Schulte

Ein weiteres turbulentes Jahr liegt hinter der Branche. Zur Wirtschaftspressekonferenz am 7. Juli legte der Börsenverein detaillierte Zahlen zum Buchmarkt 2021 vor, warf einen Blick auf das erste Halbjahr 2022 – und richtete klare Forderungen an die Politik.

Das Jahr 2021 war erneut ein Ausnahmejahr – geprägt von Pandemie und Lockdowns. Das laufende Jahr ist ebenfalls nicht mit der Vorpandemiephase zu vergleichen. Corona gibt es noch immer, hinzugekommen sind der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, steigende Kosten in nahezu allen Bereichen, die Papierkrise und eine Konsumflaute. Vor diesem Hintergrund hat der Börsenverein in dieser Woche im Haus des Buches in Frankfurt am Main die Branchenzahlen vorgestellt. 

Laut Verband ist der Gesamtumsatz der Branche im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent gestiegen. »Die Buchbranche hat sich in der Corona-Krise bewährt«, bilanzierte Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs. »Buchhandlungen und Verlagen ist es dank hoher Resilienz, kreativer Lösungen und ausgeprägter Digitalkompetenz gelungen, Menschen für das Lesen zu begeistern und sie, auch dank stabiler Logistik, trotz langer Lockdowns mit Büchern zu versorgen«, so die Vorsteherin bei der Wirtschaftspressekonferenz des Verbands. 

Sortiment verliert  

Der Gesamtumsatz der Branche bewegte sich 2021 bei insgesamt 9,63 Milliarden Euro (2020: 9,30 Milliarden Euro). Der stationäre Buchhandel blieb mit 3,76 Milliarden Euro und einem Marktanteil von 39,1 Prozent der größte und wichtigste Vertriebsweg für Bücher. Allerdings lag das Geschäft vor Ort um 3,6 Prozent hinter dem Vorjahr zurück – und sogar um 12,3 Prozent hinter dem Vor-Corona-­Jahr 2019.
 

Als Gewinner der pandemischen Verwerfungen erweist sich einmal mehr der Internetbuchhandel, von dessen Gesamtumsatz etwa die Hälfte auf die Onlineshops der Buchhandlungen entfällt. Die Einnahmen im Netz kletterten 2021 um 16,2 Prozent von 2,24 auf 2,61 Milliarden Euro. Der Umsatzanteil des Internetbuchhandels am Gesamtmarkt lag damit 2021 bei 27,1 Prozent (2020: 24,1 Prozent). 
 

Ein Blick auf den Publikumsbuchmarkt (ohne Schul- und Fachbücher) zeigt: Der Buchhandel vor Ort hat beim Onlinegeschäft während der beiden Pandemiejahre am deutlichsten zugelegt. Mit 43,7 Prozent lag die Zuwachsrate bei den buchhändlerischen Webshops 2021 im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau mehr als doppelt so hoch wie bei Amazon mit 18,4 Prozent. Beeindruckend ist die Steigerungsrate im ersten Pandemiejahr, in dem die Webshops der Buchhändler um 27,2 Prozent zulegen konnten, die von Amazon aber nur um 7,2 Prozent.
 

Doch so ganz ohne Wermutstropfen sind diese Zahlen nicht zu genießen: »Die wachsenden Online-Umsätze der Buchhandlungen sind durch hohe Kos­ten für die logistische Abwicklung erkauft; das verringerte bei vielen die Erträge, was in einer ohnehin margenschwachen Branche stark ins Gewicht fällt«, merkte Karin Schmidt-Friderichs in Frankfurt an. 
 

Belletristik profitiert

Der Umsatzzuwachs 2021 schlägt sich in fast allen Publikumswarengruppen nieder. Die mit 5,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr größten Zuwächse kann die Belletristik für sich verbuchen. Mit einem Umsatzanteil von 31,9 Prozent bleibt sie die wichtigste Warengruppe. Auch Kinder- und Jugendbücher (plus 4,4 Prozent), Sachbücher (plus drei Prozent) und Ratgeber (plus 0,5 Prozent) legten zu. Reisebücher, die schon seit Beginn der Pandemie stark gelitten ­hatten, kamen dagegen auf ein leichtes Minus von 0,4 Prozent.

Die Buchkäufe im vergangenen Jahr haben sich laut Börsenverein stärker auf Bestseller konzentriert: Während die Gesamtabsätze nach den Berechnungen von Media Control um drei Prozent zurückgingen, stieg der Absatz der Toptitel auf der Bestsellerliste messbar an. Ins­gesamt nahm der Absatz der Top-10-­Titel um 23,6 Prozent zu, in der Belle­tristik waren es sogar fast 40 Prozent. »Die Menschen kaufen gezielter ein und greifen häufiger zu Bestsellern und bekannten Autor:innen«, ordnet die Vorsteherin die Zahlen ein. Die Inspiration, die Kund:innen auch neue, unbekannte Titel entdecken lasse, fehle aufgrund monatelang geschlossener Buchhandlungen. Das sei beunruhigend für die große Vielfalt, die den deutschen Buchmarkt auszeichne. 

Über einen weiteren Nachfrageschub konnten sich die digitalen Buchformate auch im zweiten von Lockdowns und Ladenschließungen geprägten Jahr freuen. Besonders deutlich wuchs der Markt der Hörbuch-Downloads mit einem Plus von 20,4 Prozent. Die Zahl der Abon­nements, also Flatrate-Angebote für ­E-Books und Hörbücher, erreichte mit 24,1 Prozent ebenfalls eine hohe Zuwachsrate. 

Der Umsatz der E-Book-Downloads am Publikumsmarkt konnte im zweiten Pandemiejahr mit 3,2 Prozent nur noch leicht ausgebaut werden, ihr Umsatzanteil am Publikumsmarkt belief sich auf 5,7 Prozent (2020: plus 16,2 Prozent, Umsatzanteil: 5,8 Prozent). Wie die Zahlen zeigen, hat sich das Wachstum nach dem Corona-Boom von 2020 wieder verlangsamt.

Es stimmt mich zuversichtlich, dass gerade bei jungen Leser:innen die Nachfrage nach Büchern groß war.

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins:

Weniger Buchkäufer

Die Zahl der Buchkäufer:innen ist 2021 weiter zurückgegangen: Etwa 27 Millionen Menschen erwarben im vergangenen Jahr Bücher – das sind 5,1 Prozent oder rund 1,4 Millionen Menschen weniger als im Vorjahr. Dabei ist der Anteil der Viel­käufer:innen, die fünf und mehr Bücher pro Jahr kaufen, seit Jahren konstant; der größte Verlust ist bei den Wenig­käufern auszumachen.

Dafür haben diejenigen, die Bücher erwarben, ihre Käufe intensiviert. Am deutlichsten steigerten in der Pandemiezeit die Zehn- bis 19-Jährigen ihre Ausgaben für Bücher – und zwar um 26,9 Prozent zwischen 2019 und 2021. Außerdem ist die durchschnittliche Kaufintensität bei der jüngsten Käufergruppe spürbar angestiegen von im Schnitt 6,8 Büchern im Jahr 2019 auf acht Bücher 2021. »Es stimmt mich zuversichtlich, dass gerade bei jungen Leser:innen die Nachfrage nach Büchern groß war«, freut sich die Vorsteherin.
 

Zahl der Erstauflagen sinkt

Die Verlage haben im vergangenen Jahr zurückhaltender publiziert: Die Zahl der Erstauflagen ging deutlicher zurück als in den Vorjahren und nahm von 69 180 Titeln im Jahr 2020 auf nun 63 992 Titel ab (minus 7,5 Prozent). Besonders stark zeigte sich die Reduktion in einigen Wissenschaftsbereichen. Überdurchschnittliche Rückgänge verzeichneten außerdem die Kinder- und Jugendbücher (minus 9,2 Prozent), weniger signifikant verlief diese Entwicklung bei den Belletristik-Titeln (minus 3,1 Prozent). »In Zeiten knapper Budgets setzen auch Verlage eher auf ›sichere‹ Titel – das Abseitige, Mutige, Innovative kommt dann manchmal zu kurz«, merkte Karin Schmidt-Friderichs an.

Konstanz bei Übersetzungen

Der Anteil der Übersetzungen an den Erstauflagen hat sich zwar gegenüber dem Vorjahr von 13,2 auf 13,6 Prozent leicht erhöht, bleibt über die Jahre gesehen jedoch konstant. Im Jahr 2021 erschienen insgesamt 8 703 Titel aus anderen Sprachen (2020: 9 164) neu auf dem deutschen Buchmarkt. Die wichtigsten Herkunftssprachen waren Englisch (62,6 Prozent), gefolgt von Japanisch (10,8 Prozent), das sich aufgrund des Comic- und Mangabooms so gut geschlagen hat. An dritter Stelle lag Französisch (10,3 Prozent).

Der Lizenzverkauf deutscher Verlage ins Ausland stieg nach einem leichten Knick im Jahr 2020 um 2,4 Prozent von 7 597 auf 7 777 Titel an. Die beiden wichtigsten Warengruppen im deutschen Lizenzgeschäft legten kräftig zu: die Kinder- und Jugendbücher um 10,8 Prozent, die Belletristik um 9,9 Prozent. Die Vorsteherin unterstrich in diesem Zusammenhang die Bedeutung von ­Präsenzmessen: »Die Wiederkehr von Präsenzveranstaltungen wie der Frank­furter Buchmesse ist für die Branche ­essenziell; sie steigern die öffentliche Aufmerksamkeit für Bücher und sind für die Geschäfte und Netzwerke in der Branche unersetzlich.«
 

Träges erste Halbjahr

Dass es der Buchhandel auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nicht leicht hatte, zeigt die Zwischenbilanz von Januar bis Juni. Laut Branchen-Monitor Buch von Media Control endete das erste Halbjahr für alle Vertriebswege zusammen mit einem Minus von drei Prozent im Vergleich zum Vorpandemiezeitraum 2019. Die Durchschnittspreise für ein von den Kund:innen erworbenes Buch erhöhten sich bei diesem Vergleich um 4,6 Prozent, die abgesetzten Mengen verzeichneten ein Minus von 7,3 Prozent. 
Dem Sortimentsbuchhandel fehlen sogar noch 11,1 Prozent seiner Ein­nahmen, um die Lücke zu 2019 zu schließen. Die durchschnittlich von Kund:innen bezahlten Preise wiesen ein Plus von 5,3 Prozent auf, bei den abverkauften Mengen gab es einen Einbruch um 15,6 Prozent.

Unterstützung von der Politik

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, hob hervor, dass die Branche – durch die Pandemie wirtschaftlich geschwächt – in diesem Jahr auf weitere Krisenfaktoren treffe. Der russische Angriffskrieg gegen die ­Ukraine und seine Folgen erschütterten die Menschen und führten zu einer drastischen Verunsicherung und Konsum­einschränkung. »Es zeichnet sich mehr und mehr ab, dass sich die allgemeine Kaufzurückhaltung auch im Buchhandel niederschlägt. Daneben setzen steigende Kosten und Beschaffungsengpässe etwa beim Papier Verlage und Buchhandlungen unter Druck«, führte Kraus vom Cleff aus.

Wie sehr die Druckkosten für Bücher steigen, machte der Hauptgeschäfts­führer anhand von aktuellen Zahlen deutlich. Im Dezember 2021 seien die Druckkosten um 3,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Im Januar und Februar habe der Anstieg schon gut zwölf Prozent betragen, im März 15,9 Prozent und im Mai sogar schon 21,1 Prozent. 

Auch der Preis für grafische Papiere kenne nur eine Richtung. Im Mai beispielsweise habe er 58,2 Prozent über dem des Vorjahresmonats gelegen.

»Angesichts einer Wirtschaftskrise dieses historischen Ausmaßes ist die ­Politik gefragt, betroffene Branchen zu unterstützen. Für die Buchbranche wäre etwa die Reduzierung der Mehrwertsteuer für Bücher auf null Prozent bei vollem Vorsteuerabzug, wie sie durch die EU-Gesetzgebung jetzt möglich ist, eine große Hilfe«, so der Hauptgeschäftsführer. 

Um die Vielfalt auf dem Buchmarkt aufrechtzuerhalten, sind auch strukturelle Förderungen vonnöten.

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins

Innenstädte beleben

Um die Vielfalt auf dem Buchmarkt aufrechtzuerhalten seien auch strukturelle Förderungen vonnöten. »Darüber hinaus brauchen wir durchdachte und finanziell gut ausgestattete Programme für die Belebung der Innenstädte, wie sie etwa der Deutsche Kulturrat zusammen mit einer Verbändeallianz aktuell fordert«, betonte Kraus vom Cleff. Als kulturelle Anziehungspunkte und Dritte Orte par excellence könnten Buchhandlungen bei der Revitalisierung der Stadtzentren eine wichtige Funktion übernehmen. Wenn die Buchbranche weiterhin ihren wichtigen kulturellen und gesellschaftlichen Auftrag erfüllen solle, müsse die Politik zügig handeln.

WEITERE MARKTDATEN

Noch mehr Marktdaten finden Sie unter boersenverein.de/buchmarkt sowie ab August in der neuen Ausgabe von »Buch und Buchhandel in Zahlen«.
Ein monatliches Update zur Konjunktur des Buchmarkts bietet die Auswertung Branchen-Monitor Buch.