Architekt der Aufklärung
Die Philosophie Immanuel Kants prägt bis heute das Bild von Freiheit, Frieden und Humanität. Neues zum 300. Geburtstag des Weltbürgers aus Königsberg.
Die Philosophie Immanuel Kants prägt bis heute das Bild von Freiheit, Frieden und Humanität. Neues zum 300. Geburtstag des Weltbürgers aus Königsberg.
Mit dieser Graphic Novel des renommierten Illustrators Jörg Hülsmann kann man auf ungewohnt anschauliche Weise in das Leben und Denken des berühmten Königsberger Philosophen eintauchen. Die vier Leitfragen Kants strukturieren den Band, wenn auch nicht in der bekannten Reihenfolge. So zeichnet das erste Kapitel unter der Frage „Was ist der Mensch?“ Kants Biografie nach – von der Geburt in die Familie eines Riemermeisters über die Schulausbildung am Collegium Fridericianum, von der Hauslehrertätigkeit bis zur Professur für Logik und Metaphysik an der Königsberger Universität. Kapitel 2 schildert den minutiös eingeteilten Tagesablauf, dem der ältere Kant – nun im eigenen Haus und von seinem Diener Martin Lampe umsorgt – folgte. Teil 3 vermittelt in Zitaten und Bildern die Philosophie Kants: seine Metaphysikkritik, die Kritik der reinen Vernunft, den kategorischen Imperativ und Vieles mehr. Der letzte Teil der Graphic Novel ist dem Lebensende und Vermächtnis des Philosophen gewidmet. Hülsmann wählt eine Bildsprache und Farbigkeit – es dominieren Blautöne und Graustufen – die sich der Zeit und dem Zeitgeist Kants anschmiegt und es gleichzeitig schafft, die Distanz zwischen heutiger Leserschaft und einem Gegenstand, der bis zu 300 Jahre vor uns liegt, aufzuheben.
Jörg Hülsmann: »Kant. Vom Aufbruch der Gedanken«, Knesebeck, März, 96 S., 24 €
Einen erfrischend unkonventionellen Zugang zur Philosophie Immanuel Kants bietet der bei Ullstein erschienene Gesprächsband. Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm und der Schriftsteller Daniel Kehlmann, der einst eine Dissertation über das Erhabene bei Kant nicht fertigstellte, um sich dem Schreiben zu widmen, haben sich zu einer Serie von Unterhaltungen über den Philosophen getroffen, in denen sie sich über wichtige Stationen, Höhepunkte und Widersprüche seines Denkens austauschen. Sie sprechen über Gott, den Begriff der Welt, über Freiheit und Vernunft oder auch über den Begriff des Bösen bei Kant. Dabei tritt ein Wesenszug seines Denkens zu Tage, der sich an vielen Stellen seines Werks beobachten lässt: die Ambivalenz seiner Theorie bzw. Metaphysikkritik. Als Beispiel nennen Boehm und Kehlmann die „Antinomien der reinen Vernunft“, einen aufregenden Teil der „Kritik der reinen Vernunft“, in dem Kant die Gültigkeit bestimmter Sätze und zugleich deren Gegenteil beweist – etwa in der Frage, ob die Welt endlich oder unendlich sei. Einige Gespräche sind auch für aktuelle Debatten interessant, zum Beispiel die über „intelligent design“ (die Welt das Produkt eines intelligenten Schöpfers) oder über Identitätsdebatten in der Kunst.
Omri Boehm, Daniel Kehlmann: »der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant«, Propyläen, 352 S., 26 € (Übersetzungen aus dem Englischen: Michael Adrian)
Lea Ypi, Professorin für Philosophie in London, geht in ihrer spektakulären Untersuchung der Frage nach, wie Immanuel Kant in seinem transzendentalphilosophischen Ansatz Erkennen und Handeln, theoretische und praktische Vernunft, miteinander verbindet. Den Schlüssel dazu findet sie in einem wenig beleuchteten Kapitel der „Kritik der reinen Vernunft“, das mit „Die Architektonik der Vernunft“ überschrieben ist. Darin strukturiert Kant die Vernunft wie ein Architekt die Räume auf dem Bauplan eines Hauses. In ihrer scharfsinnigen Analyse arbeitet Ypi – unter Verweis auf die Kontexte des erkenntnistheoretischen Begriffs der Architektonik – die streng systematische Matrix heraus, in der Kant den einzelnen Vernunftvermögen ihren Platz zuweist. Diese Systematik sei nicht Selbstzweck, so Ypi, sondern ermögliche erst den zweckmäßigen, also auch für die Praxis tauglichen Gebrauch der Vernunft. Ypis Buch öffnet allen Lesenden, die über fortgeschrittene Kant-Kenntnisse verfügen, eine neue Perspektive auf einen zentralen Baustein seines Denkens.
Lea Ypi: »Die Architektonik der Vernunft. Zweckmäßigkeit und systematische Einheit in Kants ›Kritik der reinen Vernunft‹«, Suhrkamp«, März, 247 S., 22 €
Otfried Höffe, emeritierter Professor der Universität Tübingen, gehört zu den bekanntesten Experten für politische und praktische Philosophie der Gegenwart. Seine lebenslange Auseinandersetzung mit der Philosophie Immanuel Kants findet nun ihren Niederschlag in einer neuen Gesamtdarstellung von Person und Werk des Königsberger Philosophen, die im Marix Verlag erschienen ist. Anhand der berühmten kantischen Leitfragen „Was kann ich wissen?“, „Was soll ich tun?“, „Was darf ich hoffen?“ und „Was ist der Mensch?“ entfaltet Höffe das System des Philosophen, das bis heute nichts von seiner Bedeutung verloren hat. Den Schlüssel für Kants nachhaltige Wirkung und seine globale Rezeption sieht Höffe in dessen „Kosmospolitismus“, der nicht aus einer weltumspannenden Reisetätigkeit resultierte, sondern aus Weltkenntnis, die er auf anderen Wegen – etwa durch Reisebeschreibungen oder die Begegnung mit Studenten und Handelsreisenden – erwarb. „Kosmopolit in einem anspruchsvolleren Sinn jedenfalls ist erst, wer fähig und bereit ist, politische, zusätzlich ethnische, sprachliche und kulturelle Grenzen zu überschreiten“, so Höffe. Der ausgewiesene Kant-Kenner legt mit seiner fundierten, mit zahlreichen Textbeispielen belegten Darstellung eine systematische Einführung in Kants Erkenntnistheorie, Ethik, Religionsphilosophie, politische Theorie und Anthropologie vor.
Otfried Höffe: »Der Weltbürger aus Königsberg. Immanuel Kant heute«,Marix, 400 S., 34 €
Eine kompakte, pointierte und zugleich handliche Einführung in Kants Leben und Werk bietet die Augsburger Professorin für ethische Philosophie Claudia Blöser im bekannten 100-Seiten-Format des Reclam Verlags. Auch wer Kant schon mal besser kannte, kann mit dem Buch sein Wissen auffrischen. Gegliedert ist es in einen biographischen Teil („Annäherungen an Kant“), in drei weitere Abschnitte, die sich mit den drei Kritiken Kants (Kritik der reinen Vernunft, Kritik der praktischen Vernunft, Kritik der Urteilskraft) befassen sowie in einen Abschnitt über Kants politische Philosophie („Zum ewigen Frieden“). Das letzte Kapitel des Buchs befasst sich unter anderem mit der Rezeption Kants in der Gegenwart und beleuchtet die problematischen Punkte seines Werks: zum einen die Schrift „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace“ (1785), deren rassistische Position von Kritikern als Argument gegen seinen Universalismus angeführt wird; zum anderen Kants Vorurteile gegenüber Frauen. Es ist gut, dass Blöser diese Aspekte klar benennt. Sie machen zugleich deutlich, dass im Fall Immanuel Kants wie bei vielen anderen Denkern die Idee größer ist als der Mensch.
Claudia Blöser: »Kant. 100 Seiten«, Reclam, 100 S., 10 €
Der Frankfurter Philosoph und Kant-Experte Marcus Willaschek legt mit seinem Buch eine Darstellung vor, die den Lebens- und Denkweg des bedeutendsten Philosophen der Neuzeit mit dem Begriff der „Revolution“ erschließt. Drei Revolutionen seien es, die Kant vollzogen habe: eine innere, persönliche etwa ab dem 40. Lebensjahr, eine theoretische, wie sie sich in der „Kritik der reinen Vernunft“ manifestiert habe, und eine politische, die in seiner Sympathie für die Französische Revolution und seinen späten politischen Schriften zu Ausdruck komme. Dabei will der Autor jeden Anschein einer „Heldengeschichte“ vermeiden: Es kommen auch problematische Seiten des kantischen Werks zur Sprache – rassistische, antisemitische Ausführungen, herabsetzende Äußerungen über Frauen sowie die moralische Verurteilung der Homosexualität. Die 30 Kapitel des Buchs folgen nicht der Werkchronologie, sondern gehen den umgekehrten Weg von der Politik und Geschichtsphilosophie über die Ethik zur Metaphysik und Erkenntnistheorie. Jedes Kapitel ist in sich schlüssig und kann für sich gelesen werden. Eine Zeittafel, ein Glossar der wichtigsten Termini Kants, Anmerkungen sowie ein Personenregister runden diese fundierte, gelungene Darstellung ab. Willascheks Buch zeigt, weshalb Kants Denken auch heute nichts von seiner Strahlkraft verloren hat: weil es den selbsttätigen, aktiven Menschen ins Zentrum rückt.
Marcus Willaschek: »Kant. Die Revolution des Denkens«, C. H. Beck, 430 S., 28 €
Die »Kritik der reinen Vernunft« hat Kants Rang in der Philosophiegeschichte begründet. Zum 300. Geburtstag des großen Denkers bringt der Meiner Verlag eine limitierte bibliophile Jubiläumsausgabe der »Kritik« mit den Fassungen von 1781 und 1787 heraus. Es ist vermutlich die erste Ausgabe mit einem grünen Farbschnitt! Ästhetisch besonders reizvoll: Auf der Rückseite des Leineneinbands ist das Profil des Denkers zu sehen, mit grünen Konturen auf schwarzem Grund. Kants erste »Kritik« leitet die »Kopernikanische Wende« in seinem Denken ein. Schon in früheren Schriften wie »Träume eines Geistersehers« bereitet er seine transzendentale Erkenntnistheorie vor, die er dann in der »Kritik« ausbuchstabiert. Der revolutionäre Gedanke des Königsberger Philosophen ist, dass die Erkenntnis von Gegenständen durch die Beschaffenheit und Struktur der menschlichen Wahrnehmung und des Verstandes mitgeformt wird. Raum und Zeit sind die Bedingungen jeder möglichen Erkenntnis, und die Kategorien sind der Werkzeugkasten, dessen sich der Verstand bedient, um die erkannten Gegenstände begrifflich zu ordnen.
Ebenfalls bei Meiner ist kürzlich ein einführender Kommentar zu Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, Kants erster grundlegender Schrift zu Ethik, die er 1785 im Alter von 61 Jahren veröffentlichte, und die in gewisser Weise der Vorläufer der 1788 erschienenen »Kritik der praktischen Vernunft« ist. In der »Grundlegung« formuliert Kant zum ersten Mal den kategorischen Imperativ. Der vom Bochumer Philosophen Klaus Steigleder verfasste Kommentar lässt sich parallel zur Textausgabe von Meiner lesen.
Immanuel Kant: »Kritik der reinen Vernunft«, Meiner, 995 S., 78 €, April / »Träume eines Geistersehers«, Meiner, 289 S., 89 €
Klaus Steigleder: »Kants 'Grundlegung zur Metaphysik der Sitten'«. Ein einführender Kommentar, 232 S., 22,90 €
Volker Gerhardt: »Immanuel Kant: Vernunft und Leben«, 2. Aufl. Reclam, 420 S., 12 €, ET: 20.3.
Diese vollständig durchgesehene und ergänzte 2. Aufl. führt biografisch und systematisch in Leben und Werk des Königsberger Philosophen ein. Dabei werden auch Problemstellen des Werks im Hinblick auf die globale Rezeption erörtert – unter anderem Kants rassistische Äußerungen.
Antje Herzog, Thomas Ebers: Immanuel Kant und die offenen Fragen. Eine Bilderreise, Wienand, 168 S., 25 €
Dieser Band ist anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn erschienen, die noch bis 17. März 2024 läuft. Eine Bilderreise durch Kants Gedankenwelt.
Manfred Kühn: Kant. Eine Biographie, C.H. Beck, 639 S., 25 €
Manfred Kühns Biographie, die erstmals 2003 bei C.H.Beck erschienen war, ist nun anlässlich des 300. Geburtstags in einer preislich günstigen Neuausgabe zu haben. Sie ist nach dem Urteil vieler Kritiker und Forscher eine der maßgeblichen biographischen Darstellungen des großen Aufklärers. Kühns Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es Leben und Denken Kants in den politischen, kulturellen und intellektuellen Kontext seiner Zeit einordnet.
Immanuel Kant: Klarsicht mit Kant, Insel Verlag, ca. 175 S., 11 €, ET: 11.3.
Neuausgabe des von Ursula Michels-Wenz besorgten Auswahlbandes, der am Leitfaden zentraler Gedanken durch das Werk des großen Philosophen führt.