Die "Charta 2017" (hier abrufbar) setzt ein mit den Worten: "Die Vorkommnisse auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse machen deutlich, wie widersprüchlich es in unserem Land zugeht: wie unter dem Begriff der Toleranz Intoleranz gelebt, wie zum scheinbaren Schutz der Demokratie die Meinungsfreiheit ausgehöhlt wird."
Wenn ein Branchenverband wie der Börsenverein darüber befinde, "was als Meinung innerhalb des Gesinnungskorridors akzeptiert wird und was nicht", wenn er zu "aktiver Auseinandersetzung" aufrufe und es dann im "Kampf gegen Rechts" zu Sachbeschädigungen komme, dann sei "unsere Gesellschaft nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt".
Im "Offenen Brief" schreibt die zweimal mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnete Sortimenterin: "Ich schäme mich als demokratischer Mensch, als leidenschaftliche Buchhändlerin und als eine in der DDR Geborene für diesen zutiefst respektlosen und würdelosen Umgang mit 'andersdenkenden' Verlagen und den dahinter stehenden Menschen." Dagen fügt hinzu, dass sie "in aller Ernsthaftigkeit" den Austritt aus dem Börsenverein erwäge.
Was die "Charta 2017" nicht erwähnt: Es kam während der Buchmesse auch zu gezielten Provokationen und Störmanövern von Rechts und bei mindestens einer Veranstaltung des Antaios Verlags mit Vertretern der Identitären Bewegung zu einer Machtdemonstration der Rechten, in deren Verlauf Buchmesse-Direktor Juergen Boos lautstark von der Bühne vertrieben wurde. Dies wurde anschließend als "Sieg" gefeiert.
http://meedia.de/2017/10/16/von-nazis-und-narzissten-die-deprimierenden-lehren-aus-dem-buchmesse-eklat/
Zitiert nach „Die Zeit“, 27.03.17
Sehr wünschen würde ich mir jedoch eine brancheninterne Diskussion darüber, wie wieder eine gemeinsame Linie im Umgang mit politischen Kundgebungen auf der Messe aussehen kann. Das "Angebot zum Dialog" von Seiten der Messe ist auf die geschäftsschädigendste Weise praktiziert worden: zum Schaden der Aussteller und des Images der Messe.
Mein Vorschlag: gebt den nationalen Verlagen und anderen sich gleichermaßen unverstanden und unterdrückt fühlenden buchhändlerischen Unternehmen eine eigene Halle, z.B. Halle 10, und lasst sie dort ihre Veranstaltungen abhalten. Da stören sie nicht und werden ihrerseits nicht gestört und alle sind glücklich.
Zweiter Vorschlag: Bitte keine "Lesungen" und "Diskussionsrunden" mehr an den Ständen. Der Lärm und das Gedränge stört schon im Normalfall. Lieber ein paar Lesebühnen und Lesezelte mehr errichten, wo sich Bernd Höcke, Dolly Buster oder Stefan Effenberg inszenieren können. Dann ist auch keiner gezwungen, das mitzuerleben.
Wär das was?
Der Börsenverein hat sich darüber hinaus auch inhaltlich zum rechten Gedankengut der Publikationen des Antaios Verlages positioniert und zur Auseinandersetzung damit aufgerufen. Finde ich gut! Alexander Skipis hat in unzähligen Interviews eine neue Debattenkultur gefordert. Anders geht es nicht. Mit Tumulten wie jenen am Messesamstag kommen wir nicht weiter. Die hat der Börsenverein aber weder provoziert noch dazu aufgerufen.
Und da ist sie wieder, die m.E. komplett verschobene Wahrnehmung: Wo und durch genau welche Statements, bitteschön, nehmen Sie denn bei den Kommentatoren einen Mangel an "Toleranz und Demokratieverständnis" wahr? Und wer ist denn jetzt ausgegrenzt worden? Meines Wissens wurden nur die Gegendemonstranten und auch Presseleute (Spiegel etc.) von der Messe geführt. Es gibt kein Grundrecht auf "freies Wort" und "unzensierte Schrift", wenn man nicht den freiheitlich-demokratischen Prinzpien folgt bzw. sich von diesen abwendet.
Und ich nehme für mich selbst ebenfalls in Anspruch, ein demokratischer Mensch und leidenschaftlicher Buchhändler zu sein. Gleichzeitig empfinde ich Frau Dagens Aufruf als höchst peinlich - also was nun?
Herr Tellkamp wird sich ja auch etwas dabei gedacht haben, dass er unterschrieben hat.