Analyse zur Übernahme von Klostermann durch Nomos

"Wir bleiben Klostermann"

11. April 2024
Michael Roesler-Graichen

Mit der Übernahme durch die Nomos Gruppe hat Vittorio E. Klostermann im 75. Lebensjahr die Zukunft seines Frankfurter Verlags gesichert. Unter dem neuen Dach kann Verlagsleiterin Anastasia Urban wie bisher mit ihrem Team arbeiten. Doch nicht für jede Unternehmensnachfolge findet sich ein geeigneter Partner. Eine Einschätzung von Börsenblatt-Redakteur Michael Roesler-Graichen.

Vittorio E. Klostermann

Vittorio E. Klostermann

Als am 13. März der Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann bei einem Pressegespräch die Übernahme der historisch-kritischen Kafka-Ausgabe von Wallstein bekanntgab, stand im Hintergrund bereits ein ganz anderes Geschäft kurz vor der Unterzeichnung: die Übernahme des eigenen Verlags durch die Nomos Gruppe, rückwirkend zum 1. Januar 2024. Damit wird die Zukunft eines wissenschaftlichen Premiumverlags gesichert, der seit seiner Gründung im Jahr 1930 zahlreiche wichtige Autor:innen und Werke verlegt hat, die sowohl das kulturelle Erbe in den Geisteswissenschaften und speziell in der Philosophie als auch Denker:innen der Gegenwart repräsentieren. Einige Namen und Stichpunkte dürften genügen, um die Bedeutung und Strahlkraft des Verlagsprogramms zu unterstreichen: die Martin Heidegger Gesamtausgabe (bei aller Ambivalenz des Autors), die (ehemals von Springer Wien übernommene) Wiener Ausgabe der Werke Ludwig Wittgensteins, die Frankfurter Ausgabe der Sämtlichen Werke Friedrich Hölderlins, Werke von Hans-Georg Gadamer, Arnold Gehlen und Karl Mannheim sowie aus der Gegenwart von Kurt Flasch, Peter Trawny und vielen anderen. Ein weiterer Schwerpunkt sind die rechtswissenschaftlichen Publikationen, die in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie entstanden sind. Auch Literatur- und Sprachwissenschaften hatten seit jeher eine Heimat bei Klostermann, wie jüngst Ernst Osterkamps Lektüren zu Goethes Spätwerk – bis hin zu Büchern, mit denen man chinesische Schriftzeichen lernen kann.

Es spricht einerseits für die hohe Wertschätzung, die der Gesellschafterkreis der Nomos Gruppe, die Familie Beck, dem Frankfurter Verlag entgegenbringt, dass sie Klostermann als eigenständige GmbH, die ihre Aktivitäten als Tochterunternehmen fortführen kann, erworben hat. Andererseits ist Klostermann eine Perle in der Verlagslandschaft, die man nicht häufig findet. „Der Verlag hat nicht nur ein schönes Programm“ schreibt Vittorio E. Klostermann zum Abschied, „sondern steht auch ökonomisch bestens da, und so war es nicht schwer, eine passende Nachfolgeregelung zu finden.“

Die bisher von Nomos übernommenen geisteswissenschaftlichen Verlage, darunter zuletzt Karl Alber (2022 von Herder) und Georg Olms (2023) wurden hingegen als Imprints integriert. Verlagsleiterin Anastasia Urban, die seit 1990 im Verlag ist und mit ihrem gesamten Team die Programmarbeit des Verlags weiterführen wird, ist zuversichtlich, dass der Verlag “sein Gesicht behalten wird. Der Name Klostermann gehört zu Frankfurt. Wir bleiben Klostermann.“ Vittorio E. Klostermann, der dem Verlag „sein unverwechselbares Gesicht“ gegeben habe, so Urban, zieht sich nun im 75. Lebensjahr endgültig zurück.

Der Verlag hat nicht nur ein schönes Programm, sondern steht auch ökonomisch bestens da, und so war es nicht schwer, eine passende Nachfolgeregelung zu finden.

Vittorio E. Klostermann

Die Geschäftskontakte zwischen Klostermann und Nomos reichen schon in frühere Jahre zurück: Seit Herbst 2021 ist der Frankfurter Verlag Kooperationspartner der Nomos eLibrary, über die er die elektronischen Versionen seiner Bücher vertreibt bzw. Campuslizenzen vergibt. Die Gespräche über einen Kauf von Klostermann hatten damit laut Verlag nichts zu tun, sondern begannen erst zu einem späteren Zeitpunkt.

Mit der Übernahme von Klostermann haben die Beck-Gesellschafter nun zum wiederholten Male zum Erhalt eines Verlags oder einer Verlagsmarke im geisteswissenschaftlichen Bereich beigetragen. Der Erwerb von Karl Alber und jetzt Klostermann schärft das philosophische und geisteswissenschaftliche Profil der Nomos Gruppe, die in den Rechts-, Sozial- und Geisteswissenschaften ihre Schwerpunkte hat. Sieht man den Vorgang im größeren Kontext, so stellt sich in vielen unabhängigen, familiengeführten Fach- und Publikumsverlagen die Frage der Nachfolge, meist aus Altersgründen. So hat die Verlagsgruppe Beck zum 1. Januar 2023 den 1975 von Lucien Leitess gegründeten Unionsverlag in Zürich gekauft, der seine Arbeit als eigene AG nun unter dem Dach von C.H. Beck am bisherigen Standort fortsetzen kann.

In den folgenden Jahren wird die Zahl der altersbedingten Übergaben vermutlich noch zunehmen. Das Institut für Mittelstandsforschung hat bereits 2022 ermittelt, dass in Deutschland bis zum Jahr 2026 bis zu 190.000 Unternehmen zur Übergabe anstehen. Fast ein Viertel der mittelständischen Unternehmer:innen ist heute älter als 60 Jahre, so der Branchenberater Dieter Durchdewald in einem Beitrag auf Börsenblatt online. Und nur vier von zehn Firmen würden innerhalb der Familie weitergegeben. Wer mit Verleger:innen in der Buchbranche spricht, stellt nicht selten fest, dass auch schon das siebte Lebensjahrzehnt überschritten wurde – wie jetzt im Falle von Vittorio E. Klostermann.

Kommt eine Weitergabe innerhalb der Familie nicht in Betracht, bleibt nur eine externe Lösung. Dass eine Fortführung unter dem Dach einer größeren Verlagsgruppe sinnvoll sein kann, legt auch die Entwicklung des Markts für wissenschaftliche Publikationen nahe. Ein wachsender Anteil wird heute elektronisch distribuiert, vor allem an Bibliotheken und Forschungseinrichtungen. Die Investitionen, die in diesem Zusammenhang auf kleinere Verlage zukommen, lassen sich im Verbund besser bewältigen. Auch für Klostermann wird sich in den nächsten Jahren auf der Vertriebs- und Marketingseite einiges ändern. Noch sei es aber zu früh, so Anastasia Urban, dazu etwas zu sagen.