Jugendbuchmesse Bologna

Riesengroße Vielfalt

11. April 2024
Stefan Hauck

Ein omnipräsentes YA, vegane Vampire und ein wachsender Comic-Markt: Eindrücke von der Internationalen Jugendbuchmesse Bologna, zu der 31.735 Fachbesucher gekommen sind.

Der deutsche Gemeinschaftsstand in Bologna

Gute Stimmung im Kinderbuch

Von sommerlich warmen 27 Grad am Messemontag auf 15 Grad am Mittwoch und Regen: Das Wetter zeigt sich in Bologna wechselhaft, die Stimmung in den Hallen der Internationalen Jugendbuchmesse hingegen nicht. Ob man sich bei den großen Verlagen wie Carlsen und Ravensburger oder bei den vielen kleinen am Gemeinschaftsstand von Frankfurter Buchmesse und avj umhört: Die Stimmung ist gut. „Es gibt im Moment so viele schöne Titel zu entdecken, rein theoretisch könnte man hier ein ganzes Frühjahrsprogramm abdecken, was man natürlich nicht tut“, urteilt Thienemann-Verlegerin Bärbel Dorweiler über die Qualität vieler ausgestellter Titel. Wobei es keineswegs sicher ist, die Übersetzungsrechte zu bekommen: „Wir machen Angebote, aber es ist nicht immer einfach, den Zuschlag zu kriegen.“ Gerade bei den heiß umkämpften Titeln achten die Verlage zunehmend auf mehr als die höchstgebotene Summe: Entscheidend ist, wie der Verlag bereit ist, sich für den Titel zu engagieren, so die Erfahrung auch bei den europäischen Nachbarverlagen in Halle 30. In umgekehrter Richtung verkaufen die Rechtehändlerinnen fleißig ins Ausland.

Korean Rights Centre

Vegane Vampire und mehr Innovation

„Es wird jetzt wieder deutlich mehr Innovation gewagt, die Verlage trauen sich inhaltlich wieder mehr, nachdem sie in der Corona-Zeit meist risikoarme Strategien gefahren sind“, ist nicht nur der Eindruck von Midas-Verleger Gregory Zäch, der gerade die Buchmessen in London und Leipzig hinter sich hat. Und es gibt große Bereitschaft, mehr Geld in die Hand zu nehmen: „Es gab Jahre, da waren die Verlage deutlich zurückhaltender“, meint Martina Kutschek von der Literaturagentur Gerd Rumler, die viel Zeit im Rights Center verbringt. Das ist dieses Jahr ebenfalls in Halle 30 untergebracht und von den Dimensionen her noch ein Stückchen gewachsen und das, obwohl Länder wie Korea dieses Jahr sogar ein eigenes „Korean Rights Centre“ auf die Beine gestellt haben. Die aktuellen Trends fasst Kutschek treffend zusammen: „Romance ist omnipräsent, alle suchen Kindercomics, weil der Markt hier wächst. Ansonsten die üblichen Wellenbewegungen, bei fantastischen Stoffen etwa kommen die Dschinns wieder. Im Jugendbuch haben es realistische Stoffe gerade schwerer.“ Eigentlich gibt es hier nichts, was es nicht gibt, sogar vegane Vampire finden sich zwischen den Buchdeckeln. Eine solche geballte internationale Vielfalt wie in Bologna mit 1.500 Kinder- und Jugendbuchverlagen, da sind sich alle in den Messehallen einig, gibt es sonst nicht.

Tatjana Schenke-Olivieri, Vertreterin der deutschen Generalkonsulin in Mailand, beim Empfang am deutschen Gemeinschaftsstand

YA: Sich am Publikum orientieren, nicht am Genre

Wo immer man hinschaut, mit wem man auch spricht: Young und New-Adult-Titel gehen schneller über die Verlags- und Rights-Center-Tischchen, als man gucken kann. Das liegt nach Einschätzung vieler Lektorinnen daran, dass sich die Zeit des realen Erwachsenwerdens deutlich nach hinten verlagert hat; allein in Großbritannien, so berichtet eine, leben fünf Millionen junge Erwachsene noch zuhause bei den Eltern. Entsprechend aufnahmebereit ist die BookTok-affine Zielgruppe für die Irrungen und Wirrungen des Herzens als Lesestoff, gefragt sind in den meisten Ländern vor allem Rom-Coms/Liebeskomödien mit mehr komischen als richtig dramatischen Situationen sowie allen möglichen Hindernissen, die die Figuren überwinden müssen, um die Kurve zum Happy End zu kriegen. Am entschiedensten will sich gerade Macmillan Children’s Books hier neu ausrichten: Unter dem Motto „Das Lesepublikum zuerst“ launcht der Verlag ein publikumsorientiertes Young-Adult-Imprint namens First Ink, das sich auf Coming-of-Age-Geschichten konzentriert. Die ersten 15 Titel sind im BookTok-Bereich angesiedelt, mit den entsprechenden Berühmtheiten oder erfolgversprechenden Newcomern. Aber wenn sich das lesende Publikum woanders hin bewegt, will sich der Verlag mit ihm bewegen statt in Genre-Grenzen zu verharren. Was auch auffällt: Die jüngere Generation der Lektorinnen sprechen oft andere Stoffe an als die älteren.

Comic-Corner

Vielfalt und Me-too: die Comics

Dem wachsenden Comic-Markt (in Italien im vergangenen Jahr allein 1,2 Millionen verkaufte Comics für Leser:innen unter 14 Jahren) trägt ein deutlich größerer Comic-Bereich Rechnung. Was sich hier jenseits des Manga auch in künstlerischer Hinsicht tut, ist beachtlich, die Bandbreite reicht von aufs wesentliche reduzierten Comics für die Jüngsten über poetische Bildgeschichten in abwechslungsreich gesetzten Panels bis zu komplexen zeitgeschichtlichen Themen wie „La guerre de Cathérine“ (Rue du Sèvres) über ein jüdisches Mädchen, das den Krieg überlebt und fotografisch die Zeit der Befreiung von Paris festhält. Auch ukrainische Verlage sind vertreten, der Verlag Vydavnytstvo hat eine Graphic Novel in Arbeit („Short History of a Long War“), das den Krieg in der Ukraine aus Sicht der Betroffenen zeigt. Jede Lektorin, die hier unterwegs ist, sucht das Besondere, Außergewöhnliche, gut Verkäufliche – die Quadratur des Kreises. Bei Manga hingegen, so viele Einschätzungen, sei der Zenit erreicht. So viele Manga-Zeichner gibt es nicht, wie sie der markt gerade bräuchte, selbst in Japan herrscht da Fachkräftemangel, und ewige Me-too-Bücher ermüden Markt und Käufer. Hier wird eine Normalisierung erwartet. Das lenkt wiederum den Blick auf die anderen Comics, die sich in ihrer Vielfalt gerade zu überbieten scheinen.

Bologna 2024: Gastland Slowenien

31.735 Besucher und viele künftige Illustratorinnen

Insgesamt 31.735 Fachbesucher (rund 10 % mehr als 2023) nahmen von 8. bis 11. April an den 385 Veranstaltungen der Jugendbuchmesse und den mehr als 220 von den Ausstellern auf dem Messegelände und in der Stadt organisierten Veranstaltungen teil. Auch in Halle 30, wo die deutschsprachigen Verlage angesiedelt sind, war mehr Andrang als im Vorjahr. Traditionell gehören dazu die Warteschlangen der Illustratorinnen, die sich geduldig für die Mappenschauen an den Verlagsständen anstellen, sich dort Einstufungen ihrer Kunst, Ratschläge für die künstlerische Weiterentwicklungen oder im besten Fall die Einladung für ein weiteres Gespräch holen - vielleicht wird dann ein Auftrag daraus. "Wir bieten täglich zwei Stunden an für die Mappenschau, aber das reicht einfach nicht", zieht NordSüd-Geschäftsführerin Nina Grünberger Bilanz. "Gleichzeitig ist es toll zu sehen, dass so viele junge Künstlerinnen in die Buchbranche und sich im Bilderbuch verorten wollen." Das bedeutet oft Standvermögen, bei Verlagen wie Loewe steht der Nachwuchs bereits eine Stunde, bevor die Mappenschau beginnt. Was Grünberger und anderen Lektoren aufgefallen ist: "Die Qualität der vorgelegten Illustrationsbeispiele in den Mappen ist auffallend hoch im Vergleich zu den vorigen Jahren."

 

2025 wird die Internationale Jugendbuchmesse Bologna von 31. März bis 3. April stattfinden; Gastland ist dann Estland. Sie folgt unmittelbar auf die Leipziger Buchmesse, die von 27. bis 30. März 2025 geht, Gastalnd ist dort Norwegen.

Das lange Warten vor der Mappenschau ermüdet: Einige der anstehenden Illustrator:innen haben schon mal in der Warteschlange eine Bodenpause eingelegt

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