Einschnitte bei der Literaturförderung

"Was ist unser Kapital?"

20. September 2024
von Börsenblatt

Die Bundesregierung will die Mittel für den Deutschen Literatur- und den Deutschen Übersetzerfonds 2025 drastisch kürzen. Ein fragiles Ökosystem gerät damit aus dem Gleichgewicht. Ein Weckruf von Lars Birken-Bertsch, seit August 2023 Geschäftsführer des Deutschen Literaturfonds.

Sinnbild auf dem Dach der Bundeskunsthalle: Ein Hüpfburg in Buchform, mit der Aufschrift "Das Kapital" © FAMED & VG Bild-Kunst Bonn 2024, Foto Sarah Larissa Heuser, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Bonn

Ein auratisches Objekt

Wenn man sich auf das Dach der Bundeskunsthalle in Bonn begibt, kann man dort eine Installation im Rahmen der Ausstellung "INTERACTIONS 2024" nicht nur sehen, sondern auch spielerisch begehen: Eine Hüpfburg in Form eines aufgeklappten und aufgestellten Buches.

Als Titel prangt in Versalien DAS KAPITAL auf dem Cover. "Das Kapital" als aufgeblasenes übergroßes Big Book, als auratisches Objekt. Man wünscht es sich auf die Agora der Frankfurter Buchmesse, ins Herz der Branche, verbunden mit der Frage: Worin besteht denn eigentlich unser Kapital? In Geschichten, Content, Creative Intellectual Property? Ja, aber wer produziert diese Inhalte?

Literatur wird nicht von Institutionen oder Unternehmen gemacht, auch nicht von Verlagen, sondern von den Autorinnen, die sie schreiben, und den Übersetzern, die sie in einer anderen Sprache neu schreiben. Und wer Literatur schafft, braucht Freiheiten – auch in Form von Zeit und Geld.

Lars Birken-Bertsch

Wer Literatur schafft, braucht Freiheiten – auch in Form von Zeit und Geld.

Lars Birken-Bertsch, Geschäftsführer des Deutschen Literaturfonds

Es droht ein desolates Bild der Kulturförderung

Seit Jahrzehnten fördern der Deutsche Literaturfonds und der Deutsche Übersetzerfonds im Hintergrund kontinuierlich, verlässlich und effektiv die, die die Basis unseres literarischen Lebens bilden. Sie stärken unmittelbar die Einzelnen, ohne die es das große Ganze der Literatur nicht gäbe. Die Stärkung der Bundeskulturfonds im Haushalt 2024 war nicht ohne Grund eine der wichtigen kulturpolitischen Akzentsetzungen der Bundesregierung.

Die nun drohenden Kürzungen der Bundesmittel im Haushaltsentwurf 2025 um sage und schreibe ein Drittel bedeuten den Bruch in einer Erfolgsgeschichte. Sollten die Kürzungen so bestehen bleiben, die die Literatur besonders hart in Zeiten eines immer schwierigeren Marktumfelds treffen, ergibt sich ein desolates Bild der aktuellen Kulturförderung.

Die beiden bundesgeförderten Fonds – der Deutsche Literaturfonds und der Deutsche Übersetzerfonds – sollten für die künstlerische Arbeit an der Basis sowie für Projekte der literarischen Vermittlung nachhaltig gestärkt werden, ebenso sollte eine strukturelle Verlagsförderung aufgebaut werden – diese Anliegen der Koalition rücken nun in weite Ferne.

Die junge Generation rückt nach

Dabei haben sich die Antragszahlen für Stipendien und Projekte in den letzten Jahren verdoppelt, teils verdreifacht. Weniger Programmplätze in den Verlagen, geringere Vorschüsse und Tantiemen auf Grund sinkender Absatzzahlen und stagnierende Seitenhonorare bei Übersetzungen können Gründe dafür sein.

Weiter können wir beobachten, dass die jüngere Generation vehement nachrückt. Zusammen mit den arrivierten Stimmen zeigt sich ein großes Spektrum des gegenwärtigen literarischen Schaffens, inhaltlich wie stilistisch. Unsere Literatur ist reichhaltig und vielfältig wie nie. Zudem leben wir heute in einer Blütezeit des literarischen Übersetzens, zu der die vielfältigen Aktivitäten des Übersetzerfonds wesentlich beigetragen haben.

Beispiel Deutscher Buchpreis

Am Deutschen Buchpreis lässt sich beispielhaft aufzeigen, inwieweit der Literaturfonds das literarische Schaffen hierzulande mit befördert und ermöglicht: Von den 20 nominierten Autorinnen und Autoren auf der Longlist 2024 sind 9 (!) durch den Literaturfonds gefördert oder ausgezeichnet worden - auf der Shortlist sind es sogar 4 von 6.

Der Literatur- und der Übersetzerfonds sind die wichtigsten Förderinstitutionen im Bereich der Gegenwartsliteratur. Sie sind überregional ausgerichtet, erreichen die literarisch Produktiven und die vielen Initiativen der Literaturvermittlung in den Metropolen ebenso wie im ländlichen Raum. Dieses fragile Ökosystem gerät aus dem Gleichgewicht, wenn Stipendienprogramme zusammengekürzt und Projektförderungen gestrichen werden.

In Zeiten, in denen die Möglichkeitsräume der Literatur immer enger und umkämpfter scheinen, sollten wir unser Kapital nicht verspielen.

Buchmesse-Tipp: Das "Zentrum Wort" in Halle 4.1

  • Das neue "Zentrum Wort" auf der Frankfurter Buchmesse (Halle 4.1 F 21) ist der zentrale Messe-Treffpunkt zum Thema Literatur und Übersetzung mit einer eigenen Bühne und einem Networking-Areal.
  • Es wird gemeinschaftlich getragen vom Deutschen Übersetzerfonds und vom Deutschen Literaturfonds mit Mitteln der Beauftragten für Kultur und Medien und von der Kunststiftung NRW, in Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse und dem VdÜ.
  • Das Bühnenprogramm thematisiert Aspekte des aktuellen Schreibens und Übersetzens, etwa die Auswirkungen der generativen KI, die Sprache der sogenannten "Neuen Rechten" und Fragen der Übersetzung.