"Natürlich habe ich Angst, gecancelt zu werden"
Bedroht "Cancel Culture" den Kulturbetrieb? Oder ist der Streit um mehr politische Korrektheit notwendig? "Die Zeit" lässt zehn Persönlichkeiten aus dem Kulturbetrieb zu Wort kommen.
Bedroht "Cancel Culture" den Kulturbetrieb? Oder ist der Streit um mehr politische Korrektheit notwendig? "Die Zeit" lässt zehn Persönlichkeiten aus dem Kulturbetrieb zu Wort kommen.
Unter anderem befragt wurden:
„Dieses Aufrechnen tötet die Kunst“, verteidigt Verleger Bernhard Schmid seinen lang verblichenen Autor Karl May gegen feministische Kritik, im Werk kämen zu wenige Frauen zu Wort. Es ist beileibe nicht die einzige Debatte, die Schmid in den vergangenen Jahren geführt hat. Rassismus, kulturelle Aneignung usw – die Vorwürfe an Karl May sind Legion. „Dieser Zeitgeist ist schwer erträglich“, findet Schmid, der sich besonders für das Wort „Indianer“ einsetzt. Auch die Debatte um das Buch zum Film „Der junge Winnetou“ (das Börsenblatt berichtete, dass der Ravensburger Verlag den Titel aus dem Programm genommen hatte) findet hier noch einmal Erwähung.
Mein Verlag hat mir versprochen, zu mir zu halten und sich nicht von mir oder meiner Arbeit zu distanzieren, sollte einer meiner Texte einmal Gegenstand eines Skandals werden. Für meine Arbeitsfähigkeit ist dieses Versprechen zentral.
Juli Zeh in der ZEIT
Das berichtet Autorin Juli Zeh, die auch auf das Thema Sensivity Reading eingeht. Sie hat mit ihrem Verlag ausführlich über das Thema gesprochen – und ihre Ängste beim Schreiben und vor der Veröffentlichung von Texten. Faktenchecks hält sie für sinnvoll, aber Kommentare auf dem Manuskript, ob sich eine weibliche Figur nicht lieber in eine andere weibliche Figur statt in einen männlichen Protagonisten verlieben könnte, das verbittet sie sich. Diese Angst vor einem engen künstlerischen Korsett spiegelt sich auch in anderen Beiträgen im Artikel wieder.
„Identitti“-Autorin Mithu Sanyal berichtet über Erfahrungen von Angriffen von links und rechts auf ihre Person und ihr Werk. Sie wünscht sich „Dass wir aufhören, uns in die Tasche zu lügen, dass nur die andere Seite Redeverbote ausspricht. Und dass wir diese Debatte liebevoller führen.“ Ob dieser Wunsch bald in Erfüllung geht? Daran dürfen Zweifel angemeldet werden. Sanyal selbst gibt an, sie sei aus Angst davor, wieder gecancelt zu werden inzwischen vorsichtiger geworden.
Zuletzt hatte die Gegner der sogenannten „Cancel Culture“ (auch das schon ein Kampfbegriff) viel mediale Aufmerksamkeit erfahren, wie in teils erregten öffentlichen Debatten um Eingriffe ins Werk von Roald Dahl oder Agatha Christie zeigen.
Der Artikel ist erschienen in der Zeit vom 20.04.2023 / Seite 12f. ("Wie frei ist die Kunst?")