Interview mit Marie Schmidt

Cancel Culture: Umgang mit neuen Sensibiliäten

11. Januar 2023
Sabine van Endert

Cancel Culture ist das zentrale Thema der IG BellSa in diesem Jahr, der Impulsvortrag dazu kommt von der Literaturkritikerin Marie Schmidt. Was hinter dem Schlagwort steckt und warum Angst vor Shitstorms immer der falsche Weg ist, erklärt sie im Interview.

Marie Schmidt ist Literaturredakteurin der »Süddeutschen Zeitung«, 2019 wurde sie mit dem Alfred-Kerr-Preis des Börsenblatts ausgezeichnet.

Wenn Sie das Schlagwort Cancel Culture verwenden – schreiben Sie es mit oder ohne Anführungszeichen?

Ich glaube, man kann es inzwischen ohne Anführungszeichen schreiben. Cancel Culture ist zwar kein endgültig definierter Begriff, aber ein stehendes Schlagwort. Es wird vor allem in kritischer Absicht von jenen gebraucht, die glauben, dass ein linksliberaler moralisierender Mainstream das ausübt, was dann als Cancel Culture bezeichnet wird. Vielleicht versucht man sich mit den Anführungszeichen von dieser politischen Positionierung zu distanzieren. 
 

Was verstehen Sie unter Cancel Culture?

Der Begriff scheint mir eben nicht fest definiert zu sein, sondern eher eine Reihe sehr unterschiedlicher Ereignisse zu bezeichnen, die mit Debatten darüber zu tun haben, welche Positio­nen oder Akteure in einer Gesellschaft wie viel Aufmerksamkeit bekommen sollen. Und ich glaube, dass der Wortbestandteil Culture darauf abzielt, dass es sich eben nicht um eine gerichtete, autoritative Art der Zensur oder des Untersagens von etwas handelt, sondern eher um eine Art von kollektiv getragener Stimmung oder eben Kultur. 

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