Lesetipp: Literarische Welt

Ist die unterrepräsentierte Frau im Literaturbetrieb bloß eine "Meistererzählung"?

13. September 2021
Redaktion Börsenblatt

Mara Delius fragt sich, was an der „Meistererzählung“ der unterrepräsentierten Frau im Literaturbetrieb wirklich dran ist. Vielleicht habe sich doch mehr getan, als etwaige Diskussionen suggerieren, bilanziert sie.

Eigentlich habe sich seit einiger Zeit in der deutschen Buchbranche viel entwickelt, findet Mara Delius, Herausgeberin der Literarischen Welt. Während vor fünf Jahren die Spitzen der großen Verlagshäuser noch von Männern besetzt waren, sind die Chefsessel von Verlagen wie Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch, S. Fischer oder Piper zunehmend in weiblicher Hand. In vielen Literaturredaktionen sehe es heute ganz ähnlich aus.

Delius stellt sich also die Frage, ob die oftmals bemängelte Unterrepräsentanz von Frauen im Literaturbetrieb, so stimmt. Grundlage ihrer Bestandsaufnahme ist das kürzlich erschienene „Frauenliteratur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“ (Kiepenheuer & Witsch) von Nicole Seifert, das eine Benachteiligung von Frauen im Literaturbetrieb beklagt. Darüber haben wir mit Siefert auch im Börsenblatt bereits gesprochen. So findet Seifert, dass Autorinnen in der Literaturkritik anders besprochen werden als Frauen und der Frauenanteil in Vorschauen großer Verlagen mit Prestige zu gering ist.

Konkret geht es in „Frauenliteratur“ auch um eine Studie der Universität Rostock, die festhält, dass Bücher von Männern doppelt so häufig besprochen werden wie Bücher von Frauen. Und Männer zu drei Vierteln Bücher von männlichen Autoren besprechen.

Delius suggeriert, dass sich diese Voreingenommenheit in der Literaturkritik gerade wandele und vermisst diesen Gedankengang bei Seifert. Die Journalistin fragt sich auch, ob die Annahme, dass eine Besprechung in der Kritik einem Buch zu mehr Verkäufen oder Sichtbarkeit verhelfe, überhaupt noch stimme.

Kritik gab es auch für die Annahme, dass der Frauenanteil in Vorschauen zu gering sei. Vielmehr findet Delius, dass Megabestseller und Literartenpopstars (Amanda Gorman, Sally Rooney) mittlerweile überwiegend Frauen seien, zunehmend in Vergessenheit geratene Autor*innen (Susan Taubes, Tove Ditlevsen) wiederentdeckt werden und auch große Literaturpreise wie den Literaturnobelpreis, Georg-Büchner-Preis, Bachmannpreis und Booker Prize allein im Jahr 2020 an Frauen verliehen wurden.

„Ist es nicht inzwischen normal geworden, einer über Jahrzehnte bestehende Unterrepräsentanz von Frauen im Literaturbetrieb auf lässige Art entgegenzuwirken?“, so Delius. „Vielleicht hat sich doch mehr getan, als in der Meistererzählung der ausgegrenzten Frau zu lesen ist.“

Die gesamte Bestandsaufnahme ist in der „Welt am Sonntag“ vom 12. September zu lesen.