Lese- und Hörtipp zur Roald Dahl-Debatte

Andreas Steinhöfel: "Ich fürchtete um die schönen Schimpfwörter"

23. Februar 2023
Redaktion Börsenblatt

Während der britische Verlag Puffin Books für die Neuübersetzungen der Roald Dahl-Bücher verletzende Wörter abgewandelt oder gestrichen hat, rücken die neuen deutschen Ausgaben sogar näher an die Originale. Darüber schreibt Katrin Hörnlein in der "Zeit". Zitiert werden dabei Andreas Steinhöfel und Sabine Ludwig, die die Bücher neu übersetzt haben. Auf Deutschlandfunk Kultur gibt es zum Nachhören ein Gespräch mit Rainer Moritz zur Debatte.

"Gute Nachricht: Salman Rushdie, Philip Pullman und all die anderen, die sich aufregen, weil in den Kinderbüchern von Roald Dahl herumgestrichen wurde, könnte man mit den deutschen Dahl-Übersetzungen glücklich machen", beginnt Katrin Hörnlein ihren Artikel "Mit Fräuleins" (online hinter einer Zahlschranke) in der "Zeit" vom 23. Januar. "In denen wurde nämlich nicht geglättet oder für besonders empfindsame Kinderseelen modernisiert – da ist weiterhin von 'Fettwülsten' und 'Fräuleins' zu lesen, auch wenn Letztere möglicherweise wirklich aus der Zeit gefallen sind."

Hörnlein reagiert mit ihrem Artikel auf die aktuelle Debatte um angebliche Zensur in den Neuausgaben der Dahl-Klassiker, darunter "Charlie und die Schokoladenfabrik", "Matilda" oder "Hexen hexen" durch den britischen Verlag Puffin Books, der zu Penguin Random House gehört.

"Ich wurde nicht gegängelt"

Hunderte Wörter in mindestens zehn Büchern seien verändert worden, könne man der empörten Presse entnehmen, berichtet Hörnlein. Sie fügt noch einmal an, dass Rick Behari, Sprecher der Roald Dahl Story Company, die die Rechte vermarktet, verlauten ließ, es sei absolut üblich, Bücher, die vor Jahrzehnten geschrieben wurden, zu modernisieren – auch die Sprache. Das geschehe meist stillschweigend, so Hörnlein. Aber im Falle Dahl hätten Medienberichte die Empörungswelle ins Rollen gebracht. Dass die Debatte im angelsächsischen Raum ein solcher Aufreger sei, überrasche wenig, denn Roald Dahl sei dort ein Kinderbuchstar.

Auch in Deutschland gebe es einen Aufschrei-Reflex, wenn in Kinderbuch-Klassikern wie Pippi Langstrumpf der "Negerkönig" in einen "Südseekönig" verwandelt wird oder ein Buch zu einem neuen Winnetou-Film vom Markt genommen werde. Im Falle von Dahl hätte aber eine "bemerkenswerte Verschiebung" stattgefunden, so Hörnlein: Die neuen deutschen Dahl-Übersetzungen seien sogar näher an die Originale gerückt. Penguin Random House Deutschland hatte die Rechte an den Dahl-Büchern 2021 gekauft und ebenfalls im vergangenen Herbst Neuausgaben in den Handel gebracht, eng abgestimmt mit den Kollegen in Großbritannien. Die deutschen Texte der neun neu erschienenen Bücher wurden frisch übersetzt – von Andreas Steinhöfel und Sabine Ludwig (unterstützt durch ihre Tochter Emma).

Für Steinhöfel, der ein großer Dahl-Fan ist, sei es eine Bedingung gewesen, Freiheit bei der Übersetzung zu haben. "Ich fürchtete um die schönen Schimpfwörter und darum, 'Fräuleins' in 'Frauen' verwandeln zu müssen", erklärte Steinhöfel gegenüber der "Zeit". Gearbeitet habe er mit Texten älteren Datums, in denen der englische Verlag noch nicht "herumgepfuscht" hatte, wie er es ausdrücke. Auch Sabine Ludwig sei dem Verlag dankbar, dass sie beim Übersetzen nicht "gegängelt" wurde. Sie erinnere sich nur an eine Diskussion über die "Fettwülste" des Augustus Gier, die dann bleiben durften. Es hätte nie zur Debatte gestanden, ob etwas "zu krass sein könnte oder nicht". Die englischen Neuausgaben halte Ludwig für "Mogelpackungen – Roald Dahl steht drauf, ist aber nicht mehr drin". Erstaunlich sei, resümiert Hörnlein, dass der Modernisierungswunsch beim deutschen Random-House-Ableger komplett anders ausgelegt werden konnte. 

Rainer Moritz: "Dann ist das lächerlich"

Solche zeitgemäßen Anpassungen von Literatur kritisiert der Leiter des Literaturhauses Hamburg Rainer Moritz in Deutschlandfunk Kultur in einem Gespräch mit Gabi Biesinger als "völlige Verkennung dessen, was Literatur ist". Im Falle Roald Dahls gehöre er zum Team Rushdie, so Moritz, an vorderster Front. Gegen solch ahistorische Verbesserungen müsse man sich wehren. Den Begriff "Zensur" würde er aber nicht unbedingt verwenden. Auch räumt er ein, dass man bei Kinderliteratur sensibler vorgehen müsse. Aber es gebe auch Grenzen. In Bezug auf die britischen Dahl-Bücher führt er als Beispiel einen Ausflug an, der in der neuen Fassung von Indien ins Großbritannien von Jane Austen verlegt wurde: "Dann ist das lächerlich, dann ist das albern". Weiter geht es allgemein um Sensitivity Reading. Er sei dafür, die Debatte emotional zu führen.

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