Timothy Sonderhüsken über plaudernde Buchhändler:innen

Zu Hause sein

6. März 2025
Timothy Sonderhüsken

"Ich will nicht stören, ich bin hier nur Kunde": Timothy Sonderhüsken liebt Buchhandlungen. Manchmal allerdings bekommt er dort unabsichtlich große Ohren.

Timothy Sonderhüsken

Timothy Sonderhüsken arbeitet seit 1992 in der Buchbranche, zuletzt als Verlagsleiter bei dotbooks

"Zuhause" ist ein schönes Wort. Daniel Schreiber hat eins seiner Bücher so genannt und ihm den Untertitel gegeben: "Die Suche nach dem Ort, an dem wir leben wollen". Ich schätze dieses Essay, ohne darin Heimat zu finden. Die bieten mir Buchhandlungen: Das sind Orte, an denen ich auf- und ausatme, wo ich gern bin, auch wenn ich kein Buch kaufen will (und es dann trotzdem mache). In Buchhandlungen kann ich die großen Probleme des Lebens vergessen. Was diese Wohligkeit stört? Buchhändler:innen, die sich auf ihrer Bühne berechtigterweise zu Hause fühlen ... und mich so vor die Tür fegen.

Logenplatz Lesesofa

Ich denke dabei daran, wie ich mich in einer literarischen Buchhandlung in eine Ecke zurückzog, um in einen Roman hineinzulesen – bis zwei Buchhändler sich dort plötzlich über die "politische Agenda" des Chefs erregten. Während ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, welche das sein könnte, wurde mir klar: Das Buch interessierte mich zu wenig … und es war besser, mich dezent zurückzuziehen.

Ähnlich ging es mir bei einem Filialisten, wo ich eine Bekannte besuchen wollte. Vermutlich hätte ich die Buchhändler, die neben einem Stapeltisch plauderten, auf mich aufmerksam machen sollen ... Aktiv stören wollte ich in meiner Freizeit-­Saumseligkeit nicht, also stellte ich mich in ihre Sichtachse und wartete, um nach der Filialleiterin zu fragen. Als ich ein paar Minuten später ging, hatte ich keine Antwort bekommen, aber mehr Informationen über das Verhältnis zwischen den Mitarbeitern und der Chefin, als mir lieb war.

Die Zeiten werden lauter, wir werden es auch. Manchmal an den falschen Orten.

Timothy Sonderhüsken

Auch die Buchhändlerinnen, denen ich in einer Stadtteilbuchhandlung zuhören musste, schienen die Anwesenheit der Kund:innen im Laden vergessen zu haben: Sie diskutierten, ob ein Leseexemplar über den Vertreter oder den Verlagskontakt zu beziehen sei. Ich antwortete, mehr aus Reflex als Übergriffigkeit: "Der Vertreter ist da nicht mehr, der hat gekündigt." Die Buchhändlerinnen schauten mich überrascht an und entschuldigten sich. – "Macht gar nichts", sagte ich, "Sie sind hier ja zu Hause."

Wer im Glashaus sitzt

Eine befreundete Buchhändlerin, mit der ich am Telefon darüber sprach, wunderte sich: "Das gäbe es bei uns nicht. Sobald ein Kunde den Laden betritt, reden wir mit ihm, nicht mehr miteinander." Das kam mir extrem vor. Die Dame, die sich unbemerkt neben mich auf die Parkbank gesetzt hatte, sagte dazu: "Buchhändler:innen müssen sich in ihren Läden wohlfühlen – und Sie sollten lernen, leiser zu telefonieren."

Die Zeiten werden lauter, wir werden es auch. Und manchmal an den falschen Orten. Vielleicht tut es uns allen gut, bewusst wahrzunehmen, wer uns zuhören kann – oder muss? Dann dürfen wir auch Orte ein Zuhause nennen, an denen wir nicht leben, aber gern unsere Zeit verbringen.

ZUR PERSON

Timothy Sonderhüsken

Timothy Sonderhüsken arbeitet seit 1992 in der Buchbranche, zuletzt als Verlagsleiter bei dotbooks

Timothy Paul Sonderhüsken
  • Timothy Paul Sonderhüsken arbeitet seit 1992 in der Buchbranche – nach seiner Ausbildung zum Verlagskaufmann als Lektor, Programmleiter und Verlagsleiter.
  • In einem Sabbatical lernt er gerade andere Seiten seiner Kreativität kennen und ist außerdem als Moderator und Berater für Verlage und Autor:innen aktiv.
  • Weil Bücher für ihn mehr sind als nur Beruf, führt er ein öffentliches Lesetagebuch: bei Instagram unter dem Namen timothypaulmuc und auf www.rababumm-buchblog.de.