Neues Projekt im Buchhandel

Wenn das Schaufenster lebt

18. Oktober 2022
Stefan Hauck

Apotheken und Optiker setzen schon lange Bildschirme im Schaufenster ein. Seit September läuft auch ein Pilotprojekt in Buchhandlungen: erste Erfahrungen. 

Auch wenn man eigentlich gar nicht auf den Bildschirm schauen will: Kaum steht man davor, guckt man unwillkürlich doch hin. In wenigen Sekunden lösen Bilder Emotionen aus; bei bewegten Bildern wird die Aufmerksamkeit noch gesteigert. Videomarketing macht sich diesen Effekt zunutze und wirbt mit unterhaltsamen Zehn-Sekunden-­Geschichten für ein Produkt. 
In immer mehr Branchen kommen inzwischen Werbe­displays direkt am Point of Sale zum Einsatz, um einen un­mittelbaren Kaufimpuls auszulösen. Als Vorreiter dürfen hier wohl Apotheken gelten, die seit Jahren im Schaufenster ­unterschiedliche Spots in einer Endlosschleife zeigen: auto­matisch eingespielte Werbung aus der pharmazeutischen ­Industrie, eigene Spots der Apotheke für besondere Aktionen und Angebote, Gesundheitsinformationen, aktuelle Nachrichten und das Wetter.

Möglichst unkompliziert

Warum gibt es das nicht in Buchhandlungen? Das fragte sich Jörg Gerschlauer, Leiter des Geschäftsbereichs Medien bei MVB – und schob ein Pilotprojekt an den Start. 20 Buchhandlungen in ganz Deutschland stattete er mit 24-Zoll-Bildschirmen aus, die auf Dauerbetrieb ausgelegt sind und bei denen auch nach langer Laufzeit kein Qualitätsverlust im Bild eintritt. Sie sind internetfähig und so vorkonfiguriert, dass automatisch eine Website aufgerufen wird, auf der Werbematerialien in Form von Kurzvideos und Slides hinterlegt sind und auf dem Bildschirm in einer Endlosschleife abgespielt werden. 

»Die Buchhandlung muss lediglich den Bildschirm einmalig mit dem WLAN verbinden; danach genügt es, den Bildschirm täglich ein- beziehungsweise auszuschalten«, sagt Gerschlauer, dem wichtig ist, dass die Handhabung ohne große technische Kenntnisse funktioniert und so unkompliziert wie möglich ist. Das Werbematerial zu Novitäten wird bislang von sechs Verlagen zur Verfügung gestellt und wechselt wöchentlich.  

Inhalte müssen stimmen

Mit der Auswahl der in den Slides gezeigten Novitäten ist Irene Nehen zufrieden. Die Inhaberin der Buchhandlung Melchers in Bremen will den Bildschirm in ihrem Schaufenster bis Ende des Jahres testen: »Neue Formen von Werbung finde ich wichtig.« Sie würde gern auch individuelle Titel einspielen – um die Titel passgenauer für ihre Stammkundschaft auszuwählen. »Da sind wir gerade dran«, sagt Gerschlauer, »das wird im nächsten Schritt programmiert.« Noch registrieren Nehens Kund:innen den im Schaufenster im Eingangsbereich aufgestellten Bildschirm nicht so richtig, wenn sie mit dem Zeitungsausriss in den Laden stürmen, »aber er wird in der dunkleren Jahreszeit sicherlich viel stärker auffallen«. 

Die in den Slides vorgestellten Bücher hat Nehen ebenso vorrätig und um den Bildschirm gruppiert wie die Buchhandlung Tolksdorf in Hofheim am Taunus. Wenn Inhaberin Kim Otto abends unterwegs ist, sieht sie Menschen vor dem Monitor stehen, sehr oft Männer. Als der Fotograf morgens vor Ladenöffnung ein Foto schießen will, muss er hingegen warten, bis nacheinander schauende Frauen sich vom Monitor lösen.  

»Viele Kunden im Viertel haben einen Bildschirm in der Buchhandlung nicht erwartet und reagieren sehr positiv«, meint Rolf Schneider vom Buchplatz in Frankfurt-Sachsenhausen. Er selbst wohnt in Nähe der Buchhandlung und sieht abends die Leute vor dem Bildschirm stehen. »Man könnte jetzt denken, dass jedes bewegte Bild anzieht, aber wir merken, dass auch die präsentierten Bücher interessieren – sonst würden die Kunden nicht so lange zuschauen.« Einige »Wiederholungstäter« fragten schon gespannt: »Was kommt denn nächste Woche?«

Leichte Lektüre läuft gut

Zunächst hatte Schneider befürchtet, dass der Monitor zu groß sei im Verhältnis zu den Büchern – eine Sorge, die sich als unbegründet herausstellte. Schneiders Tipp: »Immer parallel zur Schaufensterscheibe stellen, damit es nicht spiegelt.« Und die WLAN-Verbindung muss stimmen: »Ganz am Anfang lief das WLAN nicht flüssig, da hat dann der Bilderfluss gestockt.« Mittlerweile läuft alles reibungslos.

Mit Blick auf die Verkäufe zieht Schneider eine erste Bilanz: »Alle gezeigten Krimi-, Spannungs- und Comictitel laufen gut, ­sozusagen die Feierabendlektüre, die vielleicht auch visuell leichter vermittelbar ist«, so seine Schlussfolgerung. Die präsentierten Bücher schwedischer Autoren zogen außerdem Verkäufe weiterer Bände nach sich. »Ganz wichtig: Die Titel müssen vorrätig sein! Der Bildschirm ist ja ein erweitertes Schaufenster – als einer der gezeigten Titel noch nicht da war, waren die Kunden enttäuscht.« 

»Positiv ist diese neue Werbeform auf jeden Fall«, meint Buchplatz-Inhaber Daniel Bogdanov, »sie wird sich weiterentwickeln.« Das sieht auch Jörg Gerschlauer so, der zur Messe mit der Subskription beginnen will: »Wenn sich bis zum 31. Januar 2023 mindestens 200 Buchhändler:innen melden, gehen wir in Serie.«

BEWEGTE SCHAUFENSTER

Bildschirm: 24 Zoll oder 43 Zoll
Videos: sechs neue pro Woche in Dauerschleife, eine individuelle Folie pro Woche ist möglich
Zugangsvoraussetzung: WLAN oder LAN-Kabel
Kosten/Monat: 10 Euro (24 Zoll), 15 Euro (43 Zoll)
Details: mvb-online.de/bewegte-schaufenster

Zur Frankfurter Buchmesse plant MVB den Start der Subskriptionsphase für weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Am Stand H61 in Halle 3.0 ist ein Muster-Bildschirm ausgestellt, das Team vor Ort informiert über die Details des Pilotprojekts und die Konditionen des geplanten Abomodels.