Einkauf von Romance-Titeln

"Die wissen, was sie wollen"

24. Januar 2024
Nicola Bardola

Die Novitätenzahl im Romance-Segment steigt ­rasant. Farbschnitt, Reichweite, Trope: Wie stellen Buchhandlungen ihre Auswahl für junge Leser:innen zusammen? Und wer aus dem Team ist für das Sortiment verantwortlich? Praxisberichte aus dem Einkauf.

Für die Münchner Buchhandlung Lehmkuhl war der KulturPass der Türöffner zum New-Adult-Segment. »Anhand der vielen Bestellungen haben wir unmittelbar festgestellt, dass sich die Jugendlichen sehr stark für dieses Genre und für Manga interessieren«, sagt Geschäftsführer Michael Lemling. Daraufhin hat die Buchhandlung den New-Adult- und Romance-Titeln ein ganzes Regal gewidmet. »Dieses Angebot wird sehr gut angenommen; die Jugend­lichen und jungen Erwachsenen wissen meist sehr genau, was sie wollen, und sind durchweg enthusiastische Vielleser.« Was Lemling in den aktuellen Vorschauen auffällt, ist die stark wachsende Zahl an New-Adult- und Romance-Novitäten – in vielen Verlagen, die sonst eher für anspruchsvolle Literatur bekannt sind.

Beratungstätigkeit je nach Alter

Als Expertin für New Adult bestellt Josephine Wunderberg in der Buchhandlung Erlesenes & Bücher­gilde in Mainz die Novitäten. Die Auszubildende ordert Titel, die sie gelesen hat und gern mag – und Bücher, die sie nicht selber kennt, von denen sie aber glaubt, dass sie in der Buchhandlung gekauft werden. Generell gilt: Bei Erlesenes & Büchergilde wird bestellt, was zum Laden passt. »In unserem ­großen New-Adult-Regal befinden sich mehrheitlich Bücher, die nicht komplett Mainstream sind«, sagt Wunderberg. Sie berücksichtigt Indie-Verlage, bevorzugt Stand-­alones gegenüber Serien – und präsentiert Liebesromane, von denen sie gehört hat, vor allem via Social Media. Diese Info-Kanäle sind für Wunderberg eine wichtige Inspiration: »So haben wir immer etwas da, wenn danach gefragt wird.« Meist bestellt Wunderberg nur ein Exemplar, »bei Titeln, bei denen wir wissen, dass sie gut gehen, auch mal drei oder fünf Exemplare«. 

Eine Bevorratung, etwa von Sonderausgaben mit Farbschnitt, mei­det sie ebenso wie Titel von ­Selfpublisher:innen. Gelegentlich stehen die Bücher sowohl im Belletristik- als auch im Jugendbuchregal. Bei der Beratungsintensität beobachtet Josephine Wunderberg drei Kategorien von Kund:innen. »Bei jungen Leser:innen, die für sich selbst Lesestoff suchen, müssen wir kaum beraten. Die finden ihre Bücher meist allein.« Die zweite Gruppe besteht aus jungen Leuten, die für Freund:innen Geschenke suchen: »Hier müssen wir ein bisschen beraten, denn die suchen oft Titel, die nicht so bekannt sind.« Bei der älteren Kundschaft schließlich, die für junge Leser:innen Geschenke sucht, fällt das Beratungsgespräch am intensivsten aus.

Bei jungen Leser:innen, die für sich selbst Lesestoff suchen, müssen wir kaum beraten.

Josephine Wunderberg

Josephine Wunderberg

Bauchgefühl und Kennzahlen

Bücher von Bestenbostel in Nordenham hat gleich zwei Expertinnen für Romance und New Adult: Viky Struth und Vici Hellenbrandt. Die beiden lesen die Genres selbst sehr gern und kennen sich dementsprechend gut aus. Ihre Titelwünsche geben sie an Chefin Anne v. Bestenbostel weiter, die sie dann auf der Vertreterbörse einkauft. Die Titelauswahl wird gründlich vorbereitet: »Wir beratschlagen uns mit den Vertreter:innen oder unserer Stammkundschaft. Bei Farbschnitten überlegen wir mittlerweile sehr genau, wie viele Exemplare wir bestellen«, so die beiden »Vikis«. Entscheidende Fragen für sie sind: 

  • Sind Cover und Klappentext ansprechend? 
  • Haben sie Kund:innen, die diese »Tropes« des Genres lesen – also Unterthemen wie »Enemies to Lovers«, »Second Chance« oder »Forbidden Love«? 
  • Passt der Farbschnitt zum Inhalt? 
  • Was gefällt ihren Kund:innen? Was haben sie bereits – und was ist neu und auffällig? 
  • Was gefällt ihnen selbst?

In der Frühjahrsvorschau von Lyx waren die beiden sich bei einem Titel etwa unsicher, wie viele Exemplare sie mit Farbschnitt bestellen sollten. »Da haben wir kurzerhand einige unserer Stammkund:innen angeschrieben und eine kleine Umfrage gemacht, um ein Stimmungsbild zu bekommen.« In der Regel urteilen Viky und Vici nach ihrem Bauchgefühl: »Trotzdem ziehen wir natürlich noch die Kennzahlen zurate, einfach um unser Gefühl bestätigt oder – selten! – widerlegt zu sehen.«
 

Old School #BookTok

Gerade die aufwendige Ausstattung bei Romance- und New-Adult-Titeln mache deutlich, wie groß das Potenzial in diesen Genres sei, meinen die beiden Buchhändler:innen. »Was früher signierte Bücher waren, sind jetzt Farbschnitte. Kaum hat man ein Buch mit Farbschnitt, braucht man die anderen Bände auch alle in der gleichen Optik. Deswegen bestellen einige unser Kund:innen bei uns alle Bände einer Serie mit Farbschnitt vor, obwohl sie den ersten noch gar nicht gelesen haben.« Viky Struth begutachtet regelmäßig das Regal und bestellt fehlende Titel nach. Bei Selfpublishern hält die Buchhandlung nur Autor:innen vorrätig, die auf #BookTok erfolgreich sind und über das Barsortiment bezogen werden können. »Bisher hat Social Media kaum Einfluss auf unseren Einkauf. Wir achten da eher auf die Kundenmeinungen vor Ort. Das ist unser Old School #BookTok.« Sie merken aber, wenn die Verlage ihre Cover-Reveal-Days bei Instagram machen: »Dann schreiben einige Stammkund:innen uns direkt an mit der Bitte, das Buch zu bestellen. Aber oft ist es noch gar nicht im VLB gelistet, sodass wir es erst später vorbestellen können«, erklären Viky und Vici. »Wir selbst sind selten auf Insta und gar nicht auf TikTok, aber die Kundinnen fragen genau danach«, ergänzt Anne v. Bestenbostel. »Deshalb achten wir darauf, dass wir die #BookTok-­Liste vorrätig haben.«
 

Viktoria Struth und Victoria Hellenbrandt

Einige Kund:innen bestellen alle Bände einer Serie mit Farbschnitt vor, auch wenn sie den ersten Teil noch gar nicht gelesen haben.«

Viki Struth und Vici Hellenbrandt, Bücher von Bestenbostel

Vom Lesen zum Sammeln

Auch das Bestenbostel-Team stellt fest, dass viele New-Adult- und Romance-Kund:innen ganz genau wissen, was sie wollen. Einige seien aber auch offen für Neues und kämen mit Fragen wie »Was hast du zuletzt gelesen?« oder »Ich habe XY gelesen – was geht noch in diese Richtung?« Bei Manga seien die Kids noch mehr auf Zack und holten sich schon den neusten Klatsch direkt aus Japan, bevor die Titel in Deutschland groß herauskämen. Ob Manga oder Romance: Die Buchhändlerinnen beobachten »einen Wandel vom ›Nur‹-Lesen zum Collecten. Egal ob Farbschnitte, Charakterkarten oder anderes, alles wird gesammelt, um es dann in den sozialen Netzwerken zu präsentieren.« Das sei eine wunderbare Chance für den Buchhandel, aber auch ein Risiko: »Wenn wir mal keine Ausgabe mehr mit Farbschnitt haben oder keine Charakterkarten bekommen, gehen auch unsere Stammkund:innen zu den großen Ketten, die damit werben, dieses Buch oder jene Charakterkarte noch zu haben.«

Authentisch sein

Die Umsätze mit New Adult und Romance wachsen. Anne v. Bestenbostel hat kürzlich mit einer Kollegin neue Sachbücher im Laden vorgestellt und 700 Euro Umsatz gemacht. »Die beiden Vikis haben eine Woche später einen ›rosa Glitzerabend‹ gemacht und bei Lebkuchen und Glühwein nur Romance und Fantasy vorgestellt. 30 Leute haben 1.200 Euro dagelassen«, freut sich v. Bestenbostel. Sie ist froh über die Kompetenz ihrer Mitarbeiterinnen: »Ich könnte mit den jungen Mädels weder überzeugend diskutieren noch Begeisterung für TikTok heucheln.«

Eine Frage der Konditionen

Bei Lünebuch in Lüneburg ist Marlene Siegl die Expertin für New Adult, Romance, Manga und Graphic Novels. »Es wäre sicher nicht verkehrt, wenn junge Kolleg:innen mit einer gewissen Aufgeschlossenheit gegenüber Social Media diese Bücher bestellen. Aber meiner Erfahrung nach ist es noch wichtiger, dass man die Romance-Bücher selbst gern liest«, meint Siegl, die in einem Haus voller Bücher und mit einer »kettenlesenden Mutter« aufgewachsen ist. »Bei den New-Adult-Romanen spielt die Optik eine wichtige Rolle. Wenn das Buch besonders hübsch ist und einen tollen Farbschnitt hat, kann man fast automatisch davon ausgehen, dass es sich auch gut verkaufen wird.« Bei Büchern von Autor:innen mit großer Reichweite ordert sie eine höhere Stückzahl als bei Debütant:innen. »Weiterhin helfen Erfahrung und Bauchgefühl sehr beim Einkauf«, erklärt Siegl. Lünebuch versuche, immer direkt über den Verlag zu bestellen. »Doch das ist auch immer eine Frage der Konditionen. Sind wir damit nicht einverstanden, bestellen wir auch über das Barsortiment.«

Bücher von Selfpublisher:innen bezieht Lünebuch über die Großhändler. »In manchen Fällen – gerade, wenn Autor:innen aus der Umgebung kommen – nehmen wir neue Titel gern auf Kommission ans Lager. Auf diese Weise machen wir keine Verluste, sollte sich das Buch nicht gut verkaufen«, sagt Siegl, die auf die Bedeutung von Social Media für den Einkauf hinweist. Ob ein Buch erfolgreich sein werde, hänge nicht nur von talentierten Autor:innen ab, sondern im wachsenden Maße von Marketing und Reichweite. »Wissen wir im Vorfeld, dass ein Buch groß auf Social Media beworben wird, kaufen wir entsprechend ein.«

Marlene Siegl

Erfahrung und Bauchgefühl helfen sehr beim Einkauf.

Marlene Siegl

Farbschnitte werden zur Norm

Für die Buchhandlung Peterknecht in Erfurt bestellt die Abteilungs­leiterin Belletristik (30 Jahre) unter Zuhilfenahme einer 26-jährigen Mitarbeiterin die ­Romance-Titel. Young Adult findet im Jugendbuch statt und wird auch dort bestellt. »Wir orientieren uns an der Bekanntheit der Autor:innen beziehungsweise am Abverkauf der Vorgängertitel. Wir kaufen zwischen drei und fünf Exemplare, bei zu erwartenden Spitzentiteln entsprechend mehr ein«, erläutert Inhaber Peter Peterknecht. »­Farbschnitte entwickeln sich zur ­Normalität, auch in anderen ­Warengruppen. Neue Ausgaben wie ›Fourth Wing‹ 
ordern wir zu Weihnachten drei­stellig«, erläutert Peterknecht. Für sein Lager bestellt er keine BOD-­Titel, eine Ausnahme macht er für regionale Autor:innen. »Bei Romance lehnen wir Hardcore wie den stark gehypten und oft auf der Bestsellerliste platzierten Nova MD Verlag für unsere Lagerhaltung ab«, sagt Peterknecht. Er vermisst richtig gute Umsätze im Romance-Bereich, »da es nur wenige Hardcover, ein paar Paperbacks und sehr, sehr viele Taschenbücher gibt«.  

Konkurrenz für andere Segmente

Auch Dirk Eberitzsch von Leuenhagen & Paris in Hannover konstatiert, dass für viele Buchhandlungen Romance nicht so umsatzstark sei wie die zeitgenössische Belletristik. Den Erfolg der Romance-­Titel bewertet Eberitzsch gleichwohl als »großartig« für den Buchhandel – »er führt aber auch dazu, dass viele erfolgreiche Autoren zeitgenös­sischer Romane Schwierigkeiten haben, mit ihren Paperbackausgaben auf die Bestsellerliste zu kommen – und auch nicht mehr so oft zu Lesungen eingeladen werden usw.« Ähnlich sieht es Bastei-Lübbe-Vorstand Simon Decot: »Natürlich sorgt das für mehr Konkurrenz auf den Bestsellerlisten – und auch bei der Sichtbarkeit verschiedener Warengruppen auf der nun mal beschränkten Fläche des Handels. Aber dem Erfolg des Buchs insgesamt hilft es.«