Buchfest und Ideenlabor
Nach drei Jahren Corona-Zwangspause meldet sich die Leipziger Buchmesse mit ermutigenden Ausstellerzahlen und neuen Formaten zurück. Gastland in diesem Jahr ist Österreich.
Nach drei Jahren Corona-Zwangspause meldet sich die Leipziger Buchmesse mit ermutigenden Ausstellerzahlen und neuen Formaten zurück. Gastland in diesem Jahr ist Österreich.
Nach der Buchmesse ist vor der Buchmesse: Dieses geflügelte Wort aus dem Mund von Oliver Zille hat Corona über drei Jahre außer Kraft gesetzt. Heute fühlt sich der Direktor der Leipziger Buchmesse wie ein Spitzen-Skispringer, der nach 36 Monaten Training im Simulator wieder oben auf der Schanze steht. »Man weiß, wie die Dinge gehen, ist aber noch nicht im Rhythmus«, sagt Zille, bei dessen Team sich Routine und Neuanfang gerade in einer wilden Mischung ausbalancieren. Dennoch ist die Vorfreude, in neun Wochen endlich wieder loslegen zu können, bei allen mit Händen zu greifen – vom Direktor bis zum Personal an Kassen und Drehkreuzen.
Eine Freude, die die Messe-Organisatoren nicht exklusiv haben, auch das Publikum scharrt mit den Füßen: Als am 13. Februar mittags der Online-Kartenverkauf startete, lief es zwar nicht wie bei Rammsteins Stadiontouren. Dennoch gingen in den ersten Stunden 7 000 Tickets über den virtuellen Tresen, obwohl die ursprüngliche Begrenzung auf 130 000 Besucher in vier Tagen längst vom Tisch ist und man auch im April für zwei Euro mehr noch in aller Ruhe Hardtickets erwerben kann. Die gedeckelten 130 000 wären 60 Prozent der Zahlen von 2019 gewesen; die Benchmark, die andere große Messen nach Corona erreicht haben.
Termin: 27.-30 April 2023 |
Aussteller: ca. 2.000 |
Einzelstände: 1.250 |
erwartete Besucher: mehr als 130.000 |
Leipzig liest: 2.400 Veranstaltungen an 300 Orten |
29. Leipziger Antiquariatsmesse: 38./29. April 2023, Salles de Pologne |
Klimabuchmesse: 27.-30. April 2023 |
Auch bei den Ausstellerzahlen liegen Buchmesse und die parallel stattfindende Manga Comic Con (MCC) deutlich über Plan: Mit rund 1 250 Einzelständen hat man über 90 Prozent des vor-pandemischen Werts erreicht (2019: 1 350), bei der Gesamtzahl der Aussteller sind es fast 80 Prozent (2019: 2 550), weitere werden noch dazukommen. »Wir hatten in einem Best-Case-Szenario mit drei Viertel der verkauften Fläche von 2019 gerechnet«, erklärt Zille, »das haben wir schon jetzt deutlich überschritten.«
Ursächlich für den Rückenwind sind laut Zille drei Faktoren: zuallererst der unbedingte Wille der Branche, wieder sichtbar zu werden, das Frühjahr in Leipzig zum Erfolg zu machen. »Dieser Imperativ hat eine beträchtliche Schubkraft entwickelt.« Außerdem ist da der späte Termin im April, der zu einem stärkeren Sicherheitsgefühl geführt habe. Und natürlich die Unterstützung durch die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, die allen Ständen einen Rabatt von 15 Prozent, kleinen Ständen bis acht Quadratmetern sogar 30 Prozent beschert. »Wir haben die Planung im Frühjahr 2022 gemacht«, erklärt Zille, »da war diese positive Entwicklung noch nicht absehbar. Jetzt hilft sie uns, schnell wieder auf Betriebstemperatur zu kommen.«
»Leipzig liest«, der wie das Doppel-M zum Markenzeichen der Messe gewordene Literatur-Marathon, knüpft in seiner 29. regulären Auflage an die Zeit vor Corona an – mit leichten Abstrichen: 2 400 Veranstaltungen mit 2 500 Mitwirkenden an 300 Orten konkurrieren vom 27. bis 30. April um die Gunst des Publikums. »Unsere Vorfreude könnte nicht größer sein, Schreibende und Lesende endlich wieder ganz nah zusammenzubringen«, so Zille.
Mit dem Gastland Österreich (Motto: »Meaoiswiamia«) begrüßt Leipzig nicht nur das drittwichtigste Exportland der deutschen Verlagsbranche (2020 gingen laut Außenhandelsstatistik Bücher für rund 216 Millionen Euro in die Alpenrepublik), sondern eine ungeheuer vielfältige Literaturlandschaft: Mehr als 200 Autorinnen und Autoren reisen zu 110 Veranstaltungen an, darunter Birgit Birnbacher, Ana Marwan, Arno Geiger, Michael Köhlmeier, Clemens Setz und Michael Stavarič.
Ein Gastspiel des Burgtheaters oder eine Ausstellung des begnadeten Zeichners Nicolas Mahler sind Highlights im Vorfeld. Was lange währt, wird gut: Vor zehn Jahren versandte der Buchmesse-Chef erste Einladungs-Depeschen; damals war Andrea Mayer, heute als Staatssekretärin für Kunst und Kultur so etwas wie das Wiener Pendant zu Claudia Roth, noch Leiterin der Kunst-Sektion.
Die Leipziger Buchmesse hat die dreijährige Zwangspause für eine Denk- und Findungsphase genutzt, um alte Zöpfe abzuschneiden und neue Formate ins Werk zu setzen – Dinge, die im heißlaufenden Betrieb oft unterbleiben. Die Förderung durch die Kulturstaatsministerin macht es möglich, die Messe auch ein Stück weit als ergebnisoffenes Ideenlabor zu begreifen. Im Fokus aller fünf neuen Projekte: das Wort, die Literatur und der Diskurs. Neben einer Buchhandelstour im Vorfeld (»Your Place to read«, 9. März bis 19. April) eröffnet heuer mit der #buchbar ein neuer Ort, der Begegnungen mit Autorinnen und Autoren intimer und womöglich kommunikativer macht: Kern des neu gestalteten Standes in Halle 2 ist ein »community table«, ein langer Tisch, an dem jeweils bis zu sechs Autorinnen und Autoren bei Kaffee und Croissants auf Publikum treffen. Für Oliver Zille ist das thematisch geclusterte Programm, in das sich Verlage einbuchen konnten, das womöglich experimentellste Forum der Messe: »Es ist ein Trau-dich-Format, das sowohl von Autoren wie vom Publikum Mut verlangt, da es nicht nur um einzelne Bücher geht.«
Im Forum Offene Gesellschaft widmen sich prominente Diskutanten wie Ilija Trojanow, Harald Welzer, Zoë Beck oder Asal Dardan in einstündigen Slots drängenden Themen von Demokratie und Integration bis zu Krieg und Menschenrechten. Zu den Partnern gehören die IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins, die Bundeszentrale für politische Bildung, das PEN-Zentrum Deutschland und das Aktionsbündnis Verlage gegen Rechts.
Der JugendCampus UVERSE in Halle 2 ist so etwas wie die Kreativwerkstatt für den Buchmesse-Nachwuchs zwischen zehn und 22 Jahren. Damit diese Vielfalt noch mehr Menschen erreicht, geht die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr erstmals on air. Auf einer großen LED-Wand auf dem Leipziger Marktplatz und natürlich im Stream auf der Buchmesse-Website werden Highlights wie die Eröffnung, wichtige Preisverleihungen, ausgewählte Lesungen und Interviews und das Programm ausgewählter Formate wie Forum Offene Gesellschaft übertragen. »Auch in puncto Digitalisierung«, so Oliver Zille, »wissen wir nach drei Jahren Corona-Modus erheblich besser, was essenziell ist, wo man experimentieren kann – und wo vielleicht auch nicht.«
Parallel zur Leipziger Buchmesse wird es auf dem Gelände der Kulturfabrik Werk 2 die 2021 aus der Taufe gehobene Klimabuchmesse (www.klimabuchmesse.de) geben, die inzwischen als gemeinnütziger Verein organisiert ist. Am Messefreitag und Messesamstag lädt die von abooks.de präsentierte, von der Buchmesse unterstützte 29. Leipziger Antiquariatsmesse in die Salles de Pologne in der Innenstadt ein; die vorläufige Ausstellerliste nennt aktuell gut 40 Firmen (www.leipziger-antiquariatsmesse-23.de).
Eine spezielle Veranstaltung aus dem großen Leipzig liest-Füllhorn mag Oliver Zille aktuell noch nicht herausgreifen. Der Buchmesse-Direktor freut sich wie sein Team auf die Rückkehr des großen Bücherfests. Und hält es, wie sein Frankfurter Ex-Kollege Peter Weidhaas, mit dem Prinzip serendipity, dem schönen Zufall. »Am Sonntagvormittag werde ich, wie zuletzt 2019, irgendwo in Halle 5 an einer Gangkreuzung stehen. Und mit Sicherheit auch dort tolle, überraschende Begegnungen haben.«