IG Nachhaltigkeit bei den Böv-Fokustagen

"Wir haben Lust auf Zukunft"

7. Juni 2024
Christina Schulte

Wie sehr das Thema Nachhaltigkeit die Buchbranche beschäftigt und wie viele offene Fragen es nicht nur bei der Entwaldungsrichtlinie gibt, war an den regen Diskussionen bei den Fokustagen des Börsenvereins zu sehen. Die IG Nachhaltigkeit hatte am Donnerstagnachmittag zu drei Veranstaltungen eingeladen, bei denen sich auch das Publikum engagiert einbrachte.

Vortrag von Katja Meinecke-Meurer (Tessloff)

Günther Bachmann, Regierungsberater und Netzwerker der deutschen Nachhaltigkeitspolitik, monierte das Normalitätsversprechen der deutschen Mainstreampolitik, das da laute: "Es gibt eine Klimakrise, die bekommen wir in den Griff und danach ist alles wie vorher." Man liefere einen sozialen Ausgleich und keiner merke etwas. Würden die Politiker dagegen offen und ehrlich agieren, müssten sie, so Bachmann, sagen: "Es tut weh!" Bachmann bezeichnet diese Situation als "Normalitätsdilemma" und wünscht sich einen ehrlicheren Umgang mit der Klimakrise.

In Sachen Nachhaltigkeit sieht er einen großen Vorteil für die Buchbranche: "Sie haben einen direkten Kontakt zu Ihren Kundinnen und Kunden und können mit ihnen in eine Diskussion eintreten." Das sei ein wichtiger Punkt, der anderen Branchen verwehrt bliebe. Zudem sei bei der Buchproduktion der Rückgriff auf Recyclingprodukte möglich.

Kritik äußerte Bachmann an den aufwendigen und kostspieligen Berichterstattungspflichten für Unternehmen und führte exemplarisch aus: "Wenn Wirtschaftsprüfer Nachhaltigkeitsberichte prüfen müssen, wird es eben extrem teuer." Bachmann glaubt, dass die Nachhaltigkeitspolitik durch eine bürokratische Überregulierung gefährdet sei. Schwarzmalen wollte er jedoch nicht: "Wir sind in Deutschland gut auf Kurs und müssen das Positive selbst besser zur Kenntnis nehmen."

Günther Bachmann

Der rot-grüne Teppich

Mariam En Nazer und Nadja Kneissler von der IG Nachhaltigkeit diskutierten mit Bachmann unter anderem über die Frage, ob die Buchbranche mit Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht werde. Andere Branche hätten sich ein Selbstverständnisbild gegeben, in dem die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spiele, führte der Experte aus. Um das Nachhaltigkeitsversprechen gegenüber Kund:innen sichtbar zu machen, hatte er einen plakativen Vorschlag: "Wenn Sie irgendwo einen roten Teppich ausrollen, z.B. bei Veranstaltungen, flechten sie einen grünen Faden für Ihre Nachhaltigkeitstätigkeiten ein. Dieser kann jedes Jahr breiter werden." Das sorgt für Gesprächsstoff und zeigt die Fortschritte.

Katja Meinecke-Meurer und Markus Wilhelm

Der Tessloff Verlag auf dem 1,5 Grad-Pfad

Ein konkretes Fallbeispiel lieferten Katja Meinecke-Meurer (Tesloff) und Markus Wilhelm (Publishing Consultants) im Gespräch mit Sonja Bröderdörp (ArchiTangle). Meinecke-Meurer rechnete vor, dass sich die Verlagsbranche derzeit auf einem vier bis sechs Grad-Pfad befände – mit der Tendenz zu sechs Grad. Bei Tesloff habe man das Ziel, die 1,5 Grad zu erreichen, denn: "Wir haben Lust auf Zukunft und Lust auf Zukunft für Kinder." Daher habe man sich auf den Weg gemacht.

Dan-Esra Gloe vom Berliner Büro des Börsenvereins, Wolfgang Lübbert (Arctic Paper). Nicht im Bild: Diskussionsteilnehmer Ralph Kirchbeck (Igepa)

Entwaldungsrichtlinie sorgt für jede Menge Fragen

Komplexe Vorschriften, unfertige Meldeportale, nur noch wenig Zeit zur Umsetzung: Die Entwaldungsrichtlinie fordert die Buchbranche, die Lieferanten und Papierhersteller. Das wurde bei der Gesprächsrunde mit Wolfgang Lübbert (Arctic Paper), Ralph Kirchbeck (Igepa) und Dan-Esra Gloe vom Berliner Büro des Börsenvereins mehr als deutlich. Lübbert führte aus, dass es größeren Unternehmen leichter fallen würde, die Regularien zu erfüllen. Als Beispiel nannte er Bezieher brasilianischen Holzes. Dort seien Wälder in den Händen großer Waldbesitzer und man könnte die benötigen Daten recht schnell erhalten. In Schweden wiederum hätte man kleinere Bezugsmengen von etlichen Waldbesitzern, was die Datenerhebung in Bezug auf die Geolokalisation erschwere. Zudem sei das Reportingsystem der EU noch nicht vorhanden, komplizierte Trainingssysteme mit Quellcodes, für die es IT-Experten brauche, nur schwer anzuwenden.

Dan-Esra Gloe erläuterte, dass der Börsenverein in engem Austausch mit der Politik stehe, um die Richtlinie verständlich in die Praxis umzusetzen. Auch arbeite man in dieser Sache eng mit anderen Verbänden eng zusammen. Alyna Wnukowsky (Libri) ermunterte alle Anwesenden, sich auch an ihre Politiker vor Ort oder an die Politiker:innen in den Landtagen zu wenden und auf die Probleme der Richtlinie hinzuweisen. Bei der Late-Payment-Regelung habe man auch etwas bewirken können. "Wir können gemeinsam viel erreichen", ermunterte die Libri-Chefin.

Staffelübergabe von Nadja Kneissler (rechts) an Mariam En Nazer (2. von links), ganz links Claudia Bachhausen-Dewart, die von Michael Kursiefen übernimmt

Abschiede und Neuanfänge

Bei der IG Nachhaltigkeit wurden auf den Fokustagen auch die neuen Mitglieder des Sprecherkreis vorgestellt. Claudia Bachhausen (Thalia) folgt auf Michael Kursiefen (Schweitzer Fachinformationen), Mariam En Nazer (Penguin Random House) folgt auf Nadja Kneissler (Ökobuch Verlag) und Jörg Paul (Libri) vertritt weiterhin den Zwischenbuchhandel.

Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, dankte Michael Kursiefen und Nadja Kneissler für ihren Einsatz. Kneissler bezeichnete er als " Pionierin der IG Nachhaltigkeit" , die einen starken Veränderungswillen gezeigt und durchgesetzt habe. "Ohne Dich wären wir nicht so weit, wie wir es sind" , betonte Kraus vom Cleff.