Neue EU-Verordnung zur Waldrodung

"Die Umsetzung ist eine komplexe Angelegenheit"

7. Juli 2023
Sabine Cronau

Eine Neuregelung aus Brüssel will der weltweiten Rodung von Wäldern entgegenwirken. Das hat auch Folgen für Verlage und Buchhandel – weil die Lieferketten für Papier und Bücher betroffen sind. Enrico Turrin vom europäischen Verlegerverband FEP erläutert im Interview, was auf die Branche zukommt. 

Enrico Turrin, stellvertretender Direktor und Wirtschaftsexperte beim Dachverband Federation of European Publishers, kurz FEP

Was regelt die neue Anti-Entwaldungsverordnung der EU – und was ist ihr Ziel?

Die Verordnung zielt auf den Schutz der Wälder ab – indem sie den Beitrag der EU zur Entwaldung weltweit minimiert und das Angebot an Produkten aus entwaldungsfreien Lieferketten fördert. Sie verhängt ein Verbot für Rohstoffe und Produkte, die mit der Zerstörung von Wäldern in Verbindung stehen, wie Soja, Palmöl und eben auch Holz.

Die Buchbranche arbeitet nicht mit Holz, sondern mit Papier. Ist sie trotzdem betroffen?

Bedrucktes Papier fällt ebenfalls unter die Verordnung – und damit auch das Buch an sich. Das hat Konsequenzen für Verlage, besonders für solche, die außerhalb der EU drucken lassen oder Papier aus Ländern beziehen, die nicht zur EU gehören. Auch große Buchhandlungen sind von der Neuregelung betroffen.
 

Unternehmen müssen künftig bestimmte Sorgfaltspflichten erfüllen, bevor sie Produkte auf dem EU-Markt platzieren oder von hier aus exportieren.

Enrico Turrin, FEP

Papierfabrik Leipa in Schwedt/Oder

Worauf müssen sich Verlage und Buchhandlungen einstellen?

Unternehmen müssen künftig bestimmte Sorgfaltspflichten erfüllen, bevor sie Produkte auf dem EU-Markt platzieren oder von hier aus exportieren – und sie müssen eine entsprechende Sorgfaltserklärung gegenüber den Aufsichtsbehörden abgeben. Diese Sorgfaltspflicht umfasst das Sammeln von Informationen und Dokumenten, die zeigen, dass die Produkte »entwaldungsfrei« sind. Sie umfasst darüber hinaus aber auch eine Risikobewertung und Risikominimierungsstrategien. Das bedeutet: Unternehmen müssen die Informationen, die sie gesammelt haben, verifizieren und analysieren – und auf dieser Basis eine Risiko­bewertung vornehmen, die zeigt, ob es ein Risiko gibt, dass ihre Produkte die Vorgaben der Verordnung eben doch nicht erfüllen. Die Risikoprüfung muss nachweisen, dass kein oder nur ein vernachlässigbar kleines Risiko besteht, dass das Produkt aus Entwaldung stammt – sonst dürfen Unternehmen das entsprechende Produkt nicht auf den EU-Markt bringen oder aus der EU ausführen.

Wie können sich Unternehmen darauf vorbereiten?

Die Unternehmen sollten schon jetzt damit beginnen, ihre Lieferketten zu überprüfen, mit Lieferanten sprechen und Prozesse für den notwendigen Informationsfluss etablieren. Ergänzend dazu sollten Branchenunternehmen und Börsenverein das Gespräch mit der Aufsichtsbehörde suchen beziehungsweise intensivieren – um sich ein Bild von den konkreten Anforderungen zu machen, die mit der Umsetzung der Verordnung an sie gestellt werden könnten. In Deutschland ist das die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung.

Ab wann gelten die Regeln – und was sind die nächsten Schritte?

Die Verordnung ist seit Ende Juni in Kraft. Große Unternehmen müssen sie innerhalb von 18 Monaten umsetzen, kleinere innerhalb von 24 Monaten. In dieser Phase sollen Durchführungsbestimmungen erarbeitet werden, welche die genauen Anforderungen der Verordnung weiter spezifizieren. Genau deshalb ist es so auch sinnvoll, die Aufsichtsbehörde frühzeitig zu kontaktieren: um deren Erwartungshaltung besser kennenzulernen. Außerdem will die EU-Kommission ein »Benchmark-System« entwickeln, welches die Entwaldungsrisiken in einzelnen Ländern bewertet – mit geringeren Auflagen für Gebiete, in denen das Risiko eher klein ist.

Sind nur neue Produkte von der Verordnung betroffen?

Nein, die Entwaldungsverordnung hat einen gewissen rückwirkenden Effekt – weil sie für alle Produkte gilt, die nach dem 31. Dezember 2020 auf den Markt kommen oder gekommen sind. Damit sollte verhindert werden, dass die Herstellung und der Verkauf von Produkten, die zur Entwaldung beitragen, in der politischen Diskus­sionsphase der Verordnung erst recht boomen. Das bedeutet für Unternehmen: Von ihren Lieferanten sollten sie eine genaue Dokumentation auch für Waren einfordern, die bereits ab 2021 produziert worden sind. 

Das klingt nicht ganz einfach …

Natürlich ist nachvollziehbar, warum die Verordnung rückwirkend greift. Doch die Umsetzung wird für Unternehmen dadurch in der Tat zu einer komplexen Angelegenheit. Der Dialog mit den Aufsichtsbehörden ist auch hier wichtig, damit beide Seiten abklären können, was von den Verlagen realistischerweise erwartet werden kann.
 

Welche Teile der Lieferkette sind im Detail betroffen?

Die Verantwortung liegt zunächst bei den »Hauptanbietern«, also bei den Unternehmen, die ein neues Produkt in der EU auf den Markt bringen. Bei Verlagen geht es also um Bücher, die außerhalb der EU gedruckt werden, bei Importeuren um solche, die aus Ländern außerhalb der EU eingeführt werden. Die Pflichten gelten aber auch für Händler weiter unten in der Verwertungskette. So müssen große Unternehmen in der Lieferkette dieselben Sorgfaltspflichten erfüllen wie der Hauptanbieter.
 

Und die kleinen und mittleren Unternehmen – die könnten das doch vermutlich gar nicht leisten?

Ausgenommen von der Pflicht zur sorgfältigen Prüfung der Lieferkette sind kleinere und mittlere Unternehmen mit weniger als 249 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro. Unternehmen dieser Größenordnung obliegt keine Sorgfaltspflicht für Produkte, die diesen Prozess bereits durchlaufen haben und für die eine Sorgfaltserklärung vorliegt. Nichtsdestotrotz tragen auch sie Verantwortung dafür, dass Produkte, 
die sie vertreiben, die Vorgaben der Verordnung erfüllen.

DIE »ANTI-ENTWALDUNGSVERORDNUNG« DER EU

  • Mit der »Verordnung zu entwaldungs- und waldschädigungsfreien Liefer­ketten« greifen neue unternehmerische Sorgfaltspflichten für den Handel mit Soja, Ölpalmen, Rindern, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Holz sowie für entsprechende Produkte. Darunter fallen auch bedruckte Papiere und damit Bücher.
  • Rohstoffe (und die daraus hergestellten Erzeugnisse) dürfen nicht auf Flächen gewonnen worden sein, auf denen seit dem 31. Dezember 2020 Entwaldung oder Waldschädigung stattgefunden hat. Zudem müssen die Rohstoffe und Produkte im Einklang stehen mit den Gesetzen des Ursprungslands und elementare Menschenrechte eingehalten werden, die in der Verordnung genauer spezifiziert werden.
  • Mit einer Sorgfaltserklärung müssen Unternehmen die Erfüllung der Sorgfaltspflicht und die Einhaltung der Verordnung bestätigen.
  • Am 30. Juni ist die Verordnung in Kraft getreten. Als unmittelbar geltendes Unionsrecht muss sie nicht in nationales Recht umgesetzt werden. Es sind jedoch zusätzliche gesetzliche Durchführungsbestimmungen erforderlich, die jetzt erarbeitet werden.
  • Für große Unternehmen gilt eine Übergangsfrist bis zum Dezember 2024, für kleine und mittlere Unternehmen bis Juni 2025. Die sogenannten KMU mit unter 249 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro müssen keine eigene Sorgfaltserklärung abgeben – tragen aber Verantwortung dafür, dass Produkte, die sie vertreiben, die Vorgaben der Verordnung erfüllen.
  • Kontrollbehörde in Deutschland ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Deichmanns Aue 29, 53179 Bonn. Bleiben Sie informiert und abonnieren Sie den Newsletter der BLE zu diesem Thema unter dem Kurzlink bit.ly/BLE-NewsletterHolz.
  • Ansprechpartner im Börsenverein ist das Team des Berliner Büros, E-Mail: berlinerbuero@boev.de.