Der Nachrichtenticker funktioniert. Obwohl wir im Haus des Buches sitzen, also weit weg vom Messegelände, bekommen wir so einiges vom ersten Tag der Buchmesse mit.
Weil es bei den Buchmessentickets in diesem Jahr keine kostenlose Nutzung von Bussen und Bahnen gibt, hat sich eine Freundin aus Berlin einen interessanten Trick ausgedacht. Um zu vermeiden, jeden Tag in der Schlange vor den Fahrkartenautomaten zu warten, hat sie sich gleich zehn Einzeltickets auf einmal gekauft. Das erste wollte sie gleich nutzen und fragte einen Passanten, wo man denn – wie in Berlin – die Fahrkarten abstempeln könnte. »Da kann ja jeder kommen«, war die lapidare Antwort der Schalterbeamtin des RMV, als meine Freundin versucht hat, die Einzelfahrscheine gegen eine Wochenkarte umzutauschen …
Auch die Buchmesse löst Irritationen aus, weil sie den Stand des PEN Berlin mit PEN Deutschland betitelt hat. Darmstadt ärgert sich (»Es gibt nur einen Rudi Völler!«), Berlin ist belustigt. Das spanische Königspaar eilt von Stand zu Stand, schüttelt kurz Hände, und schon geht es weiter. Und im Übersetzer-Forum gibt es hübsche Untersetzer für Gläser oder Tassen. Natürlich steht da Übersetzer drauf …
Ansonsten sollen die Hallen voll sein, man begegnet sich wieder, die Sorge einer Corona-Ansteckung ist groß, aber hey – es ist Messe! Buchmesse!!
»Siehst du des Schutzmanns Brust oder Rücken…« Auf der Kreuzung neben der Paulskirche üben ein paar Polizeianwärter die Verkehrsregeln. Die Ampeln sind ausgeschaltet, die jungen Männer werden von ihren Ausbildern lautstark kritisiert – obwohl, so jung sehen sie gar nicht mehr aus, doch vielleicht gehört es ja dazu, dass man sich gleich im ersten Ausbildungsjahr einen Bart (mindestens 5 Tage) stehen lässt, um älter und erfahrener zu wirken.
Als ich nach Kiew gefahren bin, um Serhij Zhadan zu besuchen, habe ich viele junge Leute in Uniform durch die Stadt laufen gesehen, mehr Männer als Frauen, manche schon älter und erfahren, viele aber noch jung und vor allem glattrasiert. Auch die Tarnuniformen waren sauber und frisch gebügelt. Sie sahen sehr verletzlich, zugleich aber stolz aus, ihrem Land zu helfen – das zu sehen war ungewohnt für einen Kriegsdienstverweigerer wie mich, doch der Krieg zwingt uns fast täglich, unsere Vorstellungen von der Welt zu korrigieren.
Der Polizeiausbilder brüllt ein weiteres Mal die Anwärter an, bevor sie uns Fußgänger – endlich – über die Kreuzung lassen. Der Frankfurter Hof liegt zwei Straßen weiter. Dort hat Serhij Zhadan heute Vormittag schon drei Interviews gegeben.
Natürlich ist er gestern angekommen, und ebenso natürlich war ich viel zu früh am Flughafen, als wäre es möglich, dass eine Maschine unerwartet eine Stunde früher landen würde. Was aber macht man in dieser Zeit? Ein Schaufensterbummel ist in den Abholhallen nicht möglich, der Cappuccino kostet 5,75 Euro, die Eintracht führt im Pokalspiel souverän.
Also schaut man sich die anderen Wartenden an, die in Vorfreude des Wiedersehens unter all den Ankommenden den oder die richtige suchen, und wandert zwischen den Ausgängen hin und her, weil auf der digitalen Infowand der Ausgang für die Krakauer Maschine zwischen A, B1 und B2 hin- und herwechselt. Zhadan kommt schließlich aus einer anderen Tür als angegeben heraus.
Müde sieht er aus, aber er ist da …
… und so gehen wir heute zusammen ins Haus des Buches, um dort seine Rede einzustudieren. Er wird sie auf Deutsch halten, er spricht selbst schwierige Worte gut aus, sein W klingt wie ein »Wa«, und bei »Ameisenhügel« müssen wir beide lachen: »Am Eisenhügel«. Es bleibt Zeit für ein schnelles Mittagessen, und weil wir uns seit Tagen auf Rindergulasch mit Nudeln gefreut haben, das es bei dem Metzger »Maa Worscht« in der Braubachstraße gibt, überreden wir Serhij, dort zu essen.
Er freut sich über das Ehepaar aus Thüringen, das die Metzgerei führt, und vielleicht ist er sogar erleichtert, ganz normal an einem Imbisstisch zu sitzen, als im Frankfurter Hof zu dinieren. Ausführlich erzählt er uns über die in der Ukraine so beliebten Milchprodukte aus Belarus. Sie werden, wie auch alle Waren aus Russland, nicht mehr in die Ukraine geliefert. Am Abend treffen wir ihn beim Kritikerempfang des Suhrkamp Verlags wieder …
… gemeinsam mit Sasha Marianna Salzmann liest er Ausschnitte aus seinem neuen Buch. Sie haben sich heute erst kennengelernt und verstehen sich auf Anhieb. Der Applaus ist verhalten, was sowohl an den Weingläsern in den Händen liegt, die das Klatschen erschweren, als auch am Thema. Wie soll man auf das Vortragen von Texten, die im Krieg geschrieben wurden, reagieren?